PROF. P.’S RHYTHM AND SOUL REVUE – FUNKIDELITY
SAY WHAT? YEAH!
Der Professor verordnet intensiven Genuss von: The Delines, The Sonic Dawn, The Grand East, Daddy Long Legs und Hamish Anderson.
Es war ein heißer Sommer am Willamette River. Tagsüber drückte die Sonne selbst die feistesten Fliegen auf den Asphalt. Die Stadt dampfte und schwitzte. Man schaute sich dennoch lächelnd in die Augen. Nickte noch dem fremdesten Fremden in freundlicher Verbundenheit zu, gewiss, dass der Sommer kurz währen und die Hitze bald vom kalten Atem des Herbstes vom Hof geblasen werden würde. Vorerst aber suchte man sich ein schattiges Plätzchen und trank Halbvergorenes in einem der Millionen Backyard-Speakeasies. Abends, wenn eine freundliche Brise vom Fluss hinaufwehte, kramte man ein frisches T-Shirt aus der Tasche, ließ die Tür des Motelzimmers ins Schloss fallen und machte sich auf, die Nacht zu erobern. Ein Sommer vor ein paar Handvoll Monden, Freunde, in Portland im fernen Oregon, dort, wo die Highways von hohen Tannen gesäumt und Amerikas Träume noch nicht im mediokren Mainstream ersoffen sind. In the outskirts of town lag ein Ort, verwunschen und vertrocknet wie die bleichen Knochen eines vor dreizehn Wintern gestrandeten Pottwals am Pazifikstrand. Die Meadows, Portlands Pferderennbahn. Ein halb im Staub des Vergessens versunkener Ort. Alte Trenchcoats, aus denen fleckige Hosenbeine schauten, verwaschene Palmen auf zu großen Hawaiihemden, Hüte mit Plastikobst auf der Krempe, darunter gut gelaunte Omas mit wenig Zähnen im Mund. Hier traf der Professor auf Willy Vlautin. One-Dollar-Beer-Night, milde Luft, keuchende Pferde und rau krächzende Jockeys. Willy, Musiker von Haus aus, Richmond Fontaine, wenn’s jemandem was sagt, neomelancholischer Americana-Country-Folk. Und Autor. Hatte seinerzeit gerade einen neuen Roman draußen, Lean On Pete, geschrieben auf eben jenen Meadows, oben auf der Galerie, wo die Geister vergessener Wettpaten in kalter Sehnsucht an bessere Tage denken. Ein Buch, das Tränen aus den trockensten Augen treibt, zart und brutal. Willy, Mann weniger Worte, jedes mit der Kraft des letzten linken Hakens eines in die Ecke getriebenen Boxers. Wie auch jede Zeile seiner Songs. Short Storys über zerschellte Träume, Sätze wie: “We used to think the Freeway sounded like the river.” Man trank billiges Bier, bis der Strom ausfiel und die Meadows im Dunkel abtauchten. Man gab sich die Hand, auf irgendwann. To be continued…
Bisweilen darf man dankbar sein, dass der Trampelpfad des Lebens sich kreuzt mit dem eines echten Trappers des Glücks. Jener Abend auf den Portland Meadows war für den Professor einer dieser raren Momente, ein von Karma und billigem Dosenbier begünstigtes Zusammentreffen. Jene Stunden im Staub der galoppierenden Pferde waren nicht das letzte Kapitel der Geschichte. Willy Vlautin, Mann der Musik und des Wortes, schreibt weiterhin die fragilst-fulminantesten Bücher dies- und jenseits des Willamette Rivers, zuletzt erschien Don’t Skip Out On Me (Deutsch: Ein feiner Typ). Ich rate jedem, der ein Herz in der Brust schlagen hat, sich ohne Rettungsring ins literarische Œuvre von Mr. Vlautin zu stürzen. Musikalisch aber hat er sich neu aufgestellt, seit ein paar Jahren schon. Richmond Fontaine ist Geschichte, leider, muss man sagen, und dann auch wieder nicht. Denn jetzt gibt es The Delines. Deren grandioses Songwerk wird weiterhin von Willy Vlautin geschrieben, auch die melancholische Gitarre gehört zu ihm. Am Mikrofon aber steht Amy Boone, Sängerin aus Texas, nun ebenfalls Oregon. Vier Jahre dauerte es vom ersten wunderbaren Werk Colfax bis zur zweiten Platte The Imperial. Jahre, in denen Boone sich, vom Schicksal getroffen, ins Leben zurückkämpfen musste. Autounfall auf einem Supermarktparkplatz, jemand trat aufs falsche Pedal, Beine in Trümmern, und nicht nur die. Aber als wär’s ein Song aus Willys Feder, das Leben geht weiter. Mit Krückstock und mit frischem Elan spielten The Delines jetzt ihr einziges Deutschlandkonzert, nur drei Steinwürfe entfernt von des Professors Shotgunbude. Ein Abend, ach, Leute, dafür ist hier kein Platz. Denn dies muss ja noch gesagt werden: The Imperial – schönste, zarteste, folksouligste Platte der vergangenen und der kommenden 150 Jahre. Die ersten Töne von „Cheer Up Charley“: Amy Boones Stimme tropft auf die Seele wie kühles Gold. Der Titelsong „The Imperial“: Sanfte Story über einen Ex, der nach Jahren aus dem Gefängnis kommt, Narben halbvergessener Verletzungen, ein letzter gemeinsamer Drink, you hold my hand under the table until I leave… Freunde, das ist Songwriting aus unbekannten Dimensionen. Retro-Country-Soul, Geschichten über Trailerparkträume, verdunstete Liebschaften, zu früh erwachsen gewordene Kinder … Der Professor sagt: Listen!
An alle, die meinen, der Professor sei ein zusammenhanglos knarzender Kauz, der unter einer borkigen Mangrove auf einem morschen Schaukelstuhl wippend seiner einäugigen Katze fragwürdige Gedanken diktiert, überladen mit klebrigen Adjektiven, während auf der Terrasse beschwipste Alligatoren Two-Step tanzen: Ihr habt recht, damn it, folks. Doch lasst Euch gesagt sein, hinter ergrautem Brusttoupet und rostigen Rippen aus Stahl schlägt ein weiches Herz. Der professorale Pulsschlag, er pulsiert gerne auch im Takt sanfter Töne, deren Echo im raschelnden Mangrovenwipfel nachhallt wie das Liedchen einer wirren Waldschnepfe. Und da wären wir beim neuen Werk von The Sonic Dawn, deren ersten beiden Platten Perception und Into The Long Night hier in Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue bereits ausführlich hochgelobt wurden. Nun hat das Trio aus Kopenhagen mit Eclipse die psychedelische Dreifaltigkeit komplettiert, ein erneut zauberhaft flirriges Retro-Album, Sixties-Zeppelin-Groove kombiniert mit skandinavischem Pophymnenflair, ach, mir gehen wohl die musikwissenschaftlichen Analogien aus, Freunde … Aufgenommen wurde Eclipse mit ausschließlich analogem Equipment in den Heavy-Psych-Sound-Studios in Rom, einem Label eigentlich für Rustikales made bei zum Beispiel Brant Björk, spezialisiert eben auf Stoner Rock und Artverwandtes. The Sonic Dawn aber: Klingen nach Beatles nach Einnahme wirklich guter Drogen. Anspieltipps: „Forever 1969“ (Schlaghosen-Regenbogen-Blues, sønnenheißer Søul, danish dynamite, wenn man so will), „Psychedelic Ranger“ (Schrammelhighspeedsoul, der klingt wie die akustische Interpretation einer Warhol-Lavalampen-Installation im Zeitraffer) und „The Stranger“ (erinnert an „Emily Lemon“, das luftige Opus von Into The Long Night. Macht gar nichts. Geniales darf man gerne zwei Mal aufgießen!).
Schöne Momente im Leben des Professors sind, wenn ich Euch Künstler nahebringen darf, die der FIDELITY-Lesezirkel garantiert nicht kennt. Also, wärmt Eure Vorstufen vor und schnallt die Tanzpantoffeln an die müden Füße, folks, die Party möge beginnen. The Grand East begegneten mir dereinst vor circa 365 Tagen im Vorprogramm eines Konzerts der professoralen Hausband DeWolff, jenem frühreifen, halbpsychedelischen Vollblutbluesrocktrio aus den Niederlanden, dessen Wirken hier in Prof. P.’s Rhythm and Soul Revue ja quasi im Liveticker begleitet wird. Dort wurde man Zeuge, wie sich Sänger Arthur Akkermans in purester Rampensaubegeisterung selbst von rechts auf links krempelte, sich die Seele aus dem engen Hemdchen riss in der Intonation eines monumentalen Gospelfunkrocks namens „Kiss The Devil“. Diesen Song vom ersten Album Movano Camerata aus dem Jahr 2016, das predigt der Professor heute am Sonntag, muss einjede und einjeder, bevor man einst sein Haupt aufs letzte Kissen bettet, unbedingt gehört haben, das Lebensschaffen wäre sonst unvollendet. Das neue zweite Werk What A Man nun: Grandios, um eine vielgenutzte Vokabel zu recyclen, The Doors im Tomatentreibhaus. Hört hier mal rein: „Away“ (aus dem Orgelintro schält sich ein treibender Beat, Drums des Teufels, gefühlsschwangerer Gesang, Bluesgitarre, Schweineorgelorgasmus …) und Titelsong „What A Man“ (müsste eigentlich im Restaurant am Ende des Universums ebenso in heavy rotation laufen wie es das im professoralen Oberstübchen tut, verschwitzter Flachlandsoul mit Hitqualitäten, feinster Gospeltrash in spartanisch-prickelndem Hymnenarrangement. Da wippen alle Tulpen und Treibhaustomaten mit den Blütenköpfen oder Fruchtständen, bin ja kein Botaniker). Die Platte wurde übrigens in den niederländischen Electrosaurus Studios aufgenommen. Produzent: Pablo van de Poel, Sänger und Gitarrist von DeWolff. Und weil hier die Rädchen ineinandergreifen sollen, praktizieren wir postmoderne Leser-Blatt-Bindung und kündigen als Cliffhanger an: Nächstes Mal gibt’s mehr von DeWolff.
Gospelgebrumm wie im letzten Juke Joint am Ende der Straße, dazu eine hektisch keuchende Harp, im Keller poltert die Percussion, dann tritt einem der Blues zwischen die Beine wie einst bei Howlin’ Wolf, mit ringenden Grizzlybären im Herzen und dem Soul des Teufels in der Kehle. Ja, so darf es losgehen. „Theme From Daddy Long Legs“: Fulminantester Album-Introsong des Jahres. Daddy Long Legs, Trio aus Brooklyn, New York, offenbar im Auftrag des Herrn unterwegs, den Blues so roh und rau und rockandrollgetränkt wie nur möglich in die Welt zu tragen. Da werden Gospel, Cajun und staubiger Landstraßencountryblues mit dreckigem Punkrock zusammengebraten, Leute, Leute, da tropfen mir Tränen des Glücks aus den Ohren. Lowdown Ways ist schon das vierte Album der Band, die mit zwei Gitarren, Mundharmonika und Schlagzeug bestens auskommen, um dem erstaunlich authentischen Bluesgesang von Leadshouter Brian Hurd ein Zuhause zu gewähren. Aufgenommen wurde es in Chicago, produziert von Jimmy Sutton, seines Zeichens Stehbassist in der Band von JD McPherson, dessen schönen Blues-Rockabilly der Professor hier auch schon ins Rampenlicht verfrachtet hatte. Noch zwei Anspieltipps auf Lowdown Ways: „Pink Lemonade“ (Dancehall-Gospel, bzw. Mississippi meets Punk) sowie „Bad Neighborhood“ (Countryblues mit urbaner Ghettocredibility, akustischer Louisiana-Techno … Say What? Yeah! Let the good times roll!).
PS: Für alle Feuilletonistenfreunde: Ja, Daddy Long Legs ist auch ein 1912 erschienener Briefroman der amerikanischen Schriftstellerin Jean Webster sowie ein furzlangweiliges Fred-Astaire-Musical aus dem Jahr 1955. Hinlegen, weiterschlafen.
Wie Ihr wisst, wenn Ihr hie und da beim Professor vorbeischaut: Er verbringt bisweilen halbe bis dreiviertel Ewigkeiten knietief im weltweiten Wirrwarr, mit Schürfpfanne den Datenstrom siebend, um ihm gülden glänzende Informationsnuggets zu entreißen, diese zu legieren und zu lektorieren, auf dass Eurer Wissensstand, verehrtes Publikum, durch die Decke knallen wird. Dies fand ich nun: Am 3. Oktober 2014 gab B.B. King sein letztes Konzert, im House Of Blues in Chicago, im Alter von 89 Jahren, von Alzheimer geplagt, ein trauriges Schauspiel, wenn man Zeitzeugen trauen darf. King fand keine Töne und verlor sich im Nichts, schon einige Monate zuvor war er, der alte Meister von der Beale Street, in St. Louis ausgebuht worden. Eine Schande, muss man sagen, aber eher fürs Publikum und auch sein Management, nicht für B.B., jenen Veteranen, der vom Jungen auf den Baumwollfeldern zu einer amerikanischen Ikone geworden war, 70 Jahre auf der Bühne stand, am Ende dann jedoch am Ende war. Das Vorprogramm von B.B. Kings letzter Tour, auch am letzten Abend an jenem 3. Oktober, bestritt ein junger Mann aus Melbourne, Australien. Hamish Anderson, Fan nicht nur von King, auch von Dylan, Hendrix, Green und Clapton, der nun bereits sein viertes Album veröffentlicht. Und das darf der Professor nun aus größter Überzeugung empfehlen. Von dezent verjazztem Soul („What You Do To Me“) über grantelig-psychedelischen Southernrock à la Cream („You Give Me Something”) bis zu feinem Soulfunk im Geiste Curtis Mayfields („The Fall“). Mein persönliches Highlight: „World’s Gone Mad“, ein gitarrengetriebenes Bluesrock-Opus. B.B. King wird zufrieden sein, wenn er im Gefilde der Seligen aus dem Fenster seines Apartments hinabschaut.