Prof. P.’s Rhythm and Funk Revue – Dinge, die aus dem Sumpf kommen
Der Professor empfiehlt heute: Puts Marie, Big Boy Bloater & The Limits, Dr. Dog, Neil Young and The Bluenotes und Mavis Staples.
Da saß Euer liebster analoggepolter Dampfablasser, the P. who’s me, also zu Tische und steckte den Kopf unter ein Frotteehandtuch. Sinn und Zweck der Übung war, heiße Düfte verschiedenster Krautwaren ins Oberstübchen zu inhalieren, auf dass die Synapsen, befreit vom herummarodierenden Fremdpartikelchen-Mob, wieder zu voller Leistungsfähigkeit aufspielen konnten. Ich spreche von Salbei, Myrrhe und Kamille, Freunde, nicht dass hier Missverständnisse aufkommen. Es ist, da ich diese Zeilen auf dem Krankenbett meiner Muse ins Ohr hechele, die Zeit der keuchenden U-Bahn-Kolchosen, in der man dergestalt von wildfremden Gestalten angebölkt wird, dass man noch Wochen später seine Freude daran hat. Nun, zur Zerstreuung beim Bedampfen der grauen Kerkerzellen unterm professoralen Stoppeltoupet lief ein nordländischer Piratensender im Radio, und von dort aus kommend inhalierte ich unbedacht ein musikalisches Bakterium made in Switzerland. „Pornstar“ nannte sich das Stück, dargeboten von einer Gruppe mit dem seltsamen Namen „Puts Marie“. Der Zufall wollte es, dass nun diese Mannschaft justamente am geheiligten Tag, dem Geburtstag des Professors, in dessen Heimatort aufspielte. In einer Spelunke, mehr ein Spelünkchen, muss ich sagen, unter einer Eisenbahnbrücke, mit einem fantastischen Schimmelpilz auf dem Herrenklo. Wen das interessiert: Bitte Augen nach rechts und weiterlesen. Rock on, party people!
Mein lieber Monsieur Chansonverein, heute möchte ich, dass Ihr Euch an den Händen fasst und einen Kreis bildet, wir gründen jetzt eine Sekte. Die Sekte der vergessenen Schweizer wollen wir uns nennen, grüezi miteinand’, und da flippe ich nun ein passendes musikalisches Meisterwerkli in den Schacht der Macht. Masoch I–II von Puts Marie, einer Alpen-und-Täler-Kombo aus dem Land der dunklen Tannen und grünen Wiesen im Sonnenschein, die bereits seit 17 Jahren mit einem dieser typischen Drückerkolonnen-Busse unerkannt durch die Welt gondelt. Selten sahen meine Ohren – Ihr merkt, Sektenfreunde, die freudige Verwirrung treibt selbstverstümmelnde Stilblüten aufs Papier – Schöneres aus den unbekannten Tiefen des Universums. Die vorliegende CD ist ein Zusammenschluss zweier EPs, die nun von einer neuen Plattenfirma, jener, die auch Sophie Hunger behütet, ins Rennen um vermehrte Aufmerksamkeit geschickt wird. Der Professor sah Puts Marie aus dem französischsprachigen Biel vor kurzem live und in Farbe und war Zeuge, wie Sänger Max Usata über Schimmelpilze in der Herrentoilette der Astrastube von und zu Hamburg fabulierte. Große Kunst, geneigte Leser, ganz große Kunst. Jeder, in einzelnen Buchstaben j e d e r Song ist die wunderbare Wiederentdeckung der Langsamkeit unter Berücksichtigung zeitgenössischer Strömungen des Stoner Rock, modernen Blues’ wie auch Tex-Mex-Funk. „Quantum of Sun“ etwa vereint megamelancholischen Gesang zur fragmentarischen Pling-Gitarre, bis weiter hinten im Song die Stoner-Urväter von Kyuss vorbeizuschrammeln scheinen. Das Beste aber auf der CD: „Pornstar“, Sprechgesang im Stile von Spearhead, auf eine funky Ballade gerappt, wie man sie nur alle paar Jahrhunderte vernimmt. Und ach, „Hecho en México“: Mariachi-Gitarre, treibende Trommel, dazu eine Stimmung, als würde gleich Clint Eastwood am Galgen baumeln. Arriba, arriba, andale!
Ein Gitarrenriff aus der Hölle, dann ein Orgelgewitter aus dem Hades, dazu eine Stimme, von der es heißt, sie sei zehn Jahre in Terpentin mariniert worden – so geht’s los auf Luxury Hobo mit einem Lied, das den schönen Namen „Devils Not Angels“ trägt. Das lässt des Professors Aorta vibrieren, Freunde, da feiern die Erythrozyten eine rauschende Fete in allen verfügbaren Herzkammern. Und schon geht’s weiter, „It Came Out Of The Swamp“ prügelt sich dermaßen treibend durch die siedenden Sümpfe meiner kochenden Hirnsuppe, falls Ihr versteht, was ich da meine, es ist der Wahnsinn. Nie hörte ich zuvor von Big Boy Bloater und seinem Quartett The Limits, doch das gehört ja nun zum Glück ins Reich der Vergangenheit. Der Mann ist Brite, klingt aber selbst wie irgendein Ding, das aus den verwunschenen Sümpfen Louisianas an Land gekrochen ist, ein Mikro entdeckt und den Blues auf links gekrempelt hat. Luxury Hobo ist bereits das dritte Album von Mr. Bloater, und kaum dass der Professor ans Ende dieser Litanei gekommen sein wird – lasst mich hier einfach mal Futur II bemühen –, werde ich wirr durch die Straßen laufen auf der Suche nach einem Kiosk, der mir die beiden ersten Alben verkauft. Luxury Hobo macht zum Junkie: Slideguitar, Brutalo-Schlagwerk, rostig-röhrendes J.-Walker-Organ und Songtitel mit wunderbaren Namen wie „I Love You (But I Can’t Stand Your Friends)“ oder „Robot Girlfriend“. Leute, Leute, das ist Dreck deluxe.
Bei diesem Werk, das muss der Professor Euch geständnisverständnishalber ins Knopfloch nageln, überzeugte mich zunächst der Titel: Alles, was mit Sümpfen zu tun hat, wird bei mir am heimischen High-End-Herd mit Vorschusslorbeeren umrankt, bevor auch nur der erste Ton ins ausgebaute Dachgeschoss meines Unterbewusstseins gestolpert ist. Stammleser wissen, dass der Prof. einst durch den Mississippi kraulte und die Bayous deep down south unsicher machte, daraus resultiert bis heute eine gewisse Swampness, Freunde. Dr. Dog nun, die Schöpfer des schönen Titels The Psychedelic Swamp, sind ein Sextett aus Philadelphia, dessen bereits neunte Platte hier in einem schön wattierten Umschlag den Weg in den Rhythm-and-Funk-Briefkasten fand. Dabei bewegt sich das Werk, das laut Informationstext der Vermarktungsabteilung auf einem 15 Jahre alten, nun aufgepeppten Demotape der Bandgründer basiert, stilistisch eher in den äußersten Vororten meines Universums, macht mir aber dennoch eine Menge Freude. Denn hört man genau hin, tropft hier eine Träne Soul, funkt dort tatsächlich ein Fünkchen Funk. Nehmen wir den Song „Dead Record Player“: Da scheinen doch die White Stripes mit den Beatles und irgendeiner längst vergessenen Memphis-Stax-Kapelle fusioniert. „Engineer Says“ wird belebt von einer polternden Beat-Funk-Gitarre und einer Stimme, als hätte der Sänger vorübergehend in der WG der Band Puts Marie (siehe irgendwo anders in dieser Zeitschrift) gewohnt. Insgesamt finde ich hier Fragmente des Blues und Soul, der Black Keys, eine Ahnung Elliot Smith, ein wenig Booker T und jede Menge schöne Background-Uhh-Uhhs. Und: Noch im April 2016 kommen Dr. Dog nach Berlin (19.4.) und Hamburg (20.4.).
Liebster Lesezirkel, da liegt er nun, der Professor, das Haupt aufs Sofakissen gebettet, die Füße hoch, huch, ein Loch im Socken, egal, it’s hippies’ time. Aus den Boxen des Glücks a blast from the past, wie wir Dänen sagen. Liveaufnahmen vom Wimbledon-, äh, Woodstock-Veteranen Neil Young aus der düstersten Periode der internationalen Musikevolution, den achtziger Jahren. Aber wie schön ist das denn: Auf Bluenote Café, gerade als elfte CD erschienen in der „Neil Young Archives Performance Series“, spielt der kurz darauf als „Godfather of Grunge“ gefeierte Althippie Blues und Soul, wie sie des Professors Herz unter der bewaldeten Brust zum Hüpfen bringen. Es sind Aufnahmen von der „Sponsored By Nobody“-Tour 1988. Neil Young hatte eine diffuse Dekade mit Country- und Rockabilly-Experimenten auf dem Geffen-Label in den Knochen und bewarb sein aktuelles Album This Note’s For You und das kommende Freedom-Werk. Hier nun finden wir eine 13-minütige Fassung von „Ordinary People“, das eigentlich auf Freedom erscheinen sollte, aber erst 2007 auf Chrome Dreams II das Licht der Welt erblickte. Überhaupt sind auf Bluenote Café sieben Songs, die zuvor noch auf keinem der 367 Young-Alben zu hören waren, darunter die bombastisch-bluesigen „Soul Of A Woman“ , „I’m Going“ und „Doghouse“. Mir persönlich gefallen zwei Songs am besten: das zehnminütige „Don’t Take Your Love Away From Me“, da weint Youngs Gitarre so herzerweichend, schreit die Bläsersektion gen Himmel, dass ich hier gleich mal den Tränenstrom auffeudeln muss. Und „Tonight’s The Night“, Titelsong des 1975 veröffentlichten sechsten Studioalbums, hier in einer knapp 20-minütigen ejakulativen Version, no further words necessary, my friends.
Es ist nicht lang her, da ich an dieser Stelle mit euch abhob von der FIDELITY-Startbahn und in den tiefen Süden enteilte, um einem Werk mit dem Namen Staples vorne drauf zu huldigen: Don’t Lose This war das, die letzten tränenrührenden Aufnahmen von Pops Staples, der großen Gospel- und Soul-Seele und Vater der berühmten Staples Singers, posthum verfeinert und veröffentlicht von seiner Tochter Mavis. Nun gibt es schon wieder Neues zu verkünden von der Kanzel, Brothers and Sisters: Mavis Staples, bald 77 Jahre alt, hat wieder ein eigenes Album eingespielt. Livin’ On A High Note aber lässt den Professor etwas ratlos im Mississippi-Monsun stehen. Da grooven einige Songs, die mir das schöne Gefühl geben, unten am Fluss am Fuße der Weide zu sitzen, die Beine im Wasser, eine Angelrute in den Händen, wunderbar. „Love and Trust“ etwa, geschrieben von Ben Harper, ist eine feine Gospel-Ballade, ideal für Staples rauchige Soulstimme. Oder „Action“: Gospel-Funk, da würden die Moskitos auf der Veranda Ringelpiez tanzen, wäre jetzt Sommer. Anderes aber, „Love And Trust“ oder „Cry“, balladiert doch arg belanglos durchs Gehör, rein und schon wieder raus, good-bye. Ich bin ja kein Freund von Weisheiten, die früher mehr Lametta sahen. Aber es fehlt mir doch an mancher Stelle dieser gewisse Südstaaten-Groove, diese Noten aus dem Voodoo-Zwischenreich, die keiner sieht, aber jeder spürt. Ob der gut 40-jährige Country-Songwriter M. Ward die richtige Besetzung als Produzent gewesen ist, wagt der Professor zu bezweifeln. Will aber nicht mit Worten des Unwohlseins schließen: Mavis Staples, good news, erhielt gerade eine Grammy als „Best American Roots Performance“ für den Song „See That My Grave Is Kept Clean“. Der aber ist auf der Vier-Song-EP Your Good Fortune aus dem vergangenen Jahr beheimatet und ein Cover des alten Staple-Singers-Covers eines Songs von Blind Lemon Jefferson.