Prof. P.`s Rhythm and Funk Revue
Der Professor verschreibt heute: Dylan’s Gospel, The Black Keys, Nickel Creek, Gov’t Mule und Lack of Afro
Verehrte Glücksrittertafelrunde. Kurz nach dem WM-Finale sitze ich hier an der heimischen Schoß-Schreibmaschine und versuche meine vom wochenlangen nächtlichen Matelimonadetrinken klammen Finger zu koordinieren. Auch muss das Frequenzspektrum meiner Ohren entschwurbelt sowie die eustachischen Röhren durchgepustet und gebohnert werden. Aus musikalischer Sicht ist so eine Weltmeisterschaft ja ein Fiasko. Die Brasilianer brüllten millionenfach a cappela ihre Humptata-Hymne, vor jedem Spiel flötete im Stadion-Hintergrund Mr. Williams „Happy“, und alle Fifa-Fairness-Fernseh-Jingles wurden von so einem Shakira-Song-Fetzchen begleitet, das mir nach 64 Spielen endgültig die Gehörknöchelchen weichkochte. Nun ist mir klar, dass zum Zeitpunkt, da Ihr diese Zeilen filterlos inhaliert, das Geschehen do Brasil in weite Ferne gerückt ist. Dennoch ist es nie zu spät für eine kollektive Prof.-P.-Sound-Therapie. Freiwillige also einen Schritt vor. Der Professor hat für Euch sein Voodoo-Schränkchen geöffnet, damit Ihr, Helden des High-End-Verkostens, daran teilhaben könnt. Somit möchte ich heute den leider schon lange ins Blues-Nirvana gewechselten Screamin’ Jay Hawkins zitieren und Euch gleich fünf Mal entgegenscreamen: I put a spell on you!
Dylan’s Gospel – The Brothers and Sisters
Liebe Gemeinde, folgt Eurem liebsten Prediger, the P. who’s me, zurück in den Sommer 69. Es ist Juni, es ist heiß, wir sind in der Stadt der Engel, und es ist die Stunde von Lou Adler. Guter Mann. Fan von Dylan – und regelmäßiger Besucher der Baptisten-Kirchen von L.A. So kommt das, thank god, Unvermeidliche: Produzent Adler, Betreuer von Sam Cooke, Johnny Rivers und später des Erfolgsalbums Tapestry von Carole King, lädt all die stimmgewaltigen Sisters und Brothers der kalifornischen Gospelszene zum kollektiven Bob-Covern. Mit dabei: Gloria Jones, Urmutter der späteren Synthie-Pop-Hymne „Tainted Love“. Und die an den Wassern des Mississippi in New Orleans ins Licht der Welt getretene Merry Clayton, Stimme im Stones-Hintergrund von „Gimme Shelter“ und Neil Youngs „Southern Man“. Ihr wurde jüngst im Background-Sänger-Dokumentarfilm 20 Feet From Stardom ein Denkmal gesetzt. Hier singt sie die beglückende Lead-Stimme von „The Times They Are a Changing“. Und „All Along The Watchtower“ ist, jetzt weiß man es, in Wahrheit ein Gruß aus Gottes Küche – auch der Allmächtige hat, verehrte Sündige, Soul. Die Platte wurde erstmals 1969 auf Ode Records veröffentlicht, jetzt hat das in Seattle beheimatete Label Light In The Attic mit der Wiederveröffentlichung ein wahrhaftig gutes Werk vollbracht – Petrus wird es den Verantwortlichen danken. Dylan wurde in den letzten 200 Jahren zwar von jedem, der ein Stimmband hat, gecovert. Nie aber so. Man verzeihe dem alten Wanderprediger Prof. P. die Blasphemie: Das hier ist das wahre Neue Testament.
Nickel Creek – A Dotted Line
Tja, beste Abonnenten des Glücks, hier muss der gute Professor sein Haupt senken und um Asche bitten. Ich gestehe: Nickel Creek sagten mir bis zum Eintreffen dieses Werks nichts. Schlagt meinethalben Eure Hände über den Scheiteln zusammen. Grammy, Platin, ok, ok, ok. Aber es ist nie zu spät für den Kuss der Erkenntnis. Und zur Entschuldigung: Bereits 2007 war das Trio aus San Diego auseinandergegangen, erst jetzt haben sie sich wiedergefunden: Chris Thile (Mandoline) sowie die Geschwister Sara (Violine) und Sean Watkins (Gitarre). Schön, schön, schön: Sara Watkins Stimme weht wie eine sanfte Mittsommerbrise, während die Jungs sich zu freundlichen Saiten-Duellen treffen. Was für ein Comeback! Für den brillant-sanften Sound ist Eric Valentine verantwortlich, ein Mann, der bei Queens of the Stone Age und Slash auch mal härter durchgreift. Progressive Bluegrass nennt sich der Stil von Nickel Creek, danke Wikipedia. Ich würd’s eher als Mischung aus Lounge-Country, Chill-out-Bluesgrass und Hiphop-Folk bezeichnen – wobei Letzteres auf dem rasant-poppigen „Hayloft“ basiert. Alle anderen Stücke pendeln zwischen freudvoll-balladesk („Love of Mine“) und Eins-Zwei-Schwingt-das-Bein („Elephant In The Corn“). Da will man sich gleich frisch verlieben – bevor einem einfällt, dass man ja bereits glücklich verheiratet ist. Und ich weiß nicht, ob ich jetzt lieber zu einem Rodeo oder in eine dieser Bars mit bequemen Sofas und schönen Frauen mit teuren Second-Hand-Sonnenbrillen gehen will, wenn Ihr versteht, was der Prof. Euch sagen will.
Gov’t Mule – Shout!
So, Freunde des Handwerks, Helme auf! Warren Haynes, Gitarrist der Allman Brother Band, hat erneut Energie umgeleitet in sein Projekt Gov’t Mule. Und wer jetzt nicht aufpasst, dessen Gebein wird sich fortan dauerelektrisiert in wilden Zuckungen durch die Welt bewegen. Diese Doppel-CD wagt Wunderbares. Auf Disc eins spielt das Haynes-Quartett elf neue Southern-Blues-Stücke. Gut, gut, gut. Aber dann: Auf Disc zwei werden diese gecovert von einem ganz und gar erlesenen Ensemble an Gastmusikern: Ben Harper, Elvis Costello, der frühere Black-Sabbath-Bassist Glenn Hughes, Steve Winwood und Reggae-Mann Toots Hibbert von Toots & the Maytals. Und, ihn habe ich mir für einen Extra-Satz aufgehoben: Dr. John, des Professors große Liebe. Wie der gute alte Mac Rebennack hier aus dem Blues „Stoop So Low“ ein vor feinstem Cholesterin triefende zehnminütige Funk-Rock-Hymne zaubert, verehrte Bewerber fürs Elysiums, das ist schwarze Magie. Alle Songs dieser schönsten Disc zwei aller Zeiten möchte ich Euch nicht nur ans Herz legen, sondern direkt in alle vorhandenen Herzkammern verpflanzen. Es seien, da wir schon fast am Ende dieser Textspalte sind, zwei herausgegriffen: Das Gitarrensolo von Ben Harper in „World Boss“ bläst Euch das Toupet straightaway, man verzeihe den Ausflug ins Englische, von hier bis in die Sümpfe deep down south. Und „No Reward“ mit Glenn Hughes beamt uns alle, die wir unseren Südstaaten-Blues ohne Messer und Gabel zu uns nehmen, in irgendeine Kaschemme am Ufer des Mississippi. Für immer.
Black Keys – Turn Blue
Um mal die deutsche (!) Schlagzeile der USA Today nach unserem 7:1-Triumph über Brasilien zu zitieren: „Oh! Mein! Gott!“ Dan Auerbach und Patrick Carney sind doch tatsächlich in eine unentdeckte Paralleldimension der Populärmusik vorgedrungen. Turn Blue schrammelt auf so rauschhafte Art Psychedelic Rock, rauen Mississippi-Blues und grobkörnigen Funk zusammen, dass einem auf Grund spontaner Kieferluxation die Jacket-Kronen im Vorrachenraum glühen. Produziert wurde das Ding, wie schon Attack & Release und El Camino, von Danger Mouse, der auch Gnarles Barkley, die Gorillaz, Norah Jones und „Portugal. The Man“ in Richtung Chart-Erfolg schubste. Perfekte Kooperation. Und perfekter Sound. Während das rumpelnde Frühwerk Thickfreakness vom Gitarren-Schlagzeug-Duo noch in Eigenregie innerhalb von nur zwölf Stunden im Keller von Drummer Patrick Carney im Städtchen Akron, Ohio, auf einem Tascam-388-Eight-Trackrecorder aufgenommen worden war, begab man sich für Turn Blue erneut in gute Studios in Nashville und Hollywood. Jetzt brettern die beiden in Breitwand und HD drauflos, vom psychedelischen Eröffnungsstück „Weight Of Love“ über das poppige „Fever“ bis hin zur Druckwellen-erzeugenden Ballade „10 Lovers“. Drei Jahre hat man warten müssen auf Turn Blue. Warum? Weil Dan Auerbach in der Zwischenzeit Dr. Johns grandioses Locked Down und das wahnsinnige Werk des Tuareg-Funk-Blues-Musikers Bombino, Nomad, produzierte. Der Professor sagt: Auch um diese beiden Platten kommt niemand herum, der es ernst meint mit dem Leben.
Lack of Afro – Music For Adverts
So, liebe Freunde des Fußwippens und Frisurenschüttelns: Es begab sich vor zwei Jahren, da der gute Professor eines Abends sein Auto nicht verlassen wollte. Im Radio spielte der von der Funk-Muse geküsste DJ ein Stück der Doppel-CD My Groove Your Move einer mir bis dato nicht bekannten Formation namens Lack of Afro. Alle in Silber gepressten Werke sind nun mein, inklusive des neuen Wurfs Music For Adverts. Mittlerweile weiß ich: Die „Formation“ besteht aus einem jungen Engländer aus Exeter in der Grafschaft Devon, Adam Gibbons. Des Professors Soundverwertungsorgane wollten dies nicht glauben, glauben es eigentlich bis heute nicht. Da steckt dermaßen viel Chicago-Funk, Südstaaten-Soul und Bronx-Hiphop im Œuvre des blonden Knaben! Der „Band“-Name dieser One-Man-Show macht also eigentlich keinen Sinn, gibt es doch manch schwarze Gruppierung im Musikgeschäft, die deutlich weniger Afro-Blutkörperchen in ihrem Kreislauf zirkulieren hat. Lack of Afro zelebriert moderne Tanzmusik mit heftigstem Retro-Soul-Einschlag. „Freedom“ auf der nun fünften Platte ist treibender Shout-Funk, „One For Trouble“ präsentiert zartes Querflöten-Spiel und seltsame Sounds auf einem Funky-Funky-Gebets-Gitarren-Teppich, und „Brown Sugar“ mischt Funk mit Rap. Einzig zu beanstanden wäre: Drei, vier Stücke (etwa das R’n’B-profane „The Gypsy“) kommen etwas pling-pling-belanglos daher. Das ist Lack of Afro auf den vorherigen Werken wie dem grandiosen Press On von 2007 und dem erwähnten Doppelalbum My Groove Your Move von 2009 nicht passiert.