Illustration: Ralf Wolff-Boenisch
Im Zuge des Langstreckentests mit dem Lyra Kleos SL ergaben sich einige Fragen, die nicht unmittelbar die Objektivität bzw. Subjektivität solcher Praxistests betrafen, sondern Phänomene aufzeigten, die nicht dem Organisationsrahmen des Testers unterlagen. Mal erlaubte mir das Tonabnehmersystem, sozusagen transzendent Musik zu hören, sie zu durchschauen, ganz und körperlich zu erfassen, am nächsten Tag erschien mir dieselbe Platte flach und gepresst, gerade so, als seien große Teile meiner Anlage verpolt – oder gar ich selbst. Wie kann das sein, wo ich doch penibel auf identische Vergleichbarkeit des Umfelds achte?
Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, beobachtete der Hellene Heraklit schon um 500 v. Chr., aber erst gut tausend Jahre später begann man zu verstehen, wie er das gemeint haben könnte; ein Prozess, der noch andauert. Alles ist in Bewegung, das Sein ein ständiges Werden: Wer morgen in den gleichen Fluss steigt, ist ein anderer, genau wie der Fluss nicht mehr derselbe ist. Unsere Wahrnehmung ist weniger Schlüssel zur Realität als vielmehr Filter vor ihr. Vor diesem Hintergrund ist es nur logisch, dass eine Platte auch auf unveränderter Wiedergabekette nie gleich klingt, aber dagegen unmöglich und zwingend eine Sinnestäuschung, wenn sie es doch zu tun scheint. Es ist nicht mehr dieselbe Platte des Vortags, ebenso wie Plattenspieler, Verstärker, Lautsprecher und Rezipient andere sind. Und Vergleichbarkeit ohnehin nur unter der Prämisse der eingeschränkten Wahrnehmung des Letztgenannten denkbar ist. Natürlich macht diese Erkenntnis auch vor angeblich objektiven Messungen oder digitaler Signalkorrektur nicht halt – nichtsdestotrotz glauben wir daran in der stolzen Gewissheit, mit einer Elle die Entfernung zwischen Atomen messen zu können. Folgt daraus, dass Vergleichs-, Blind- und Langzeithörtests, eventuell sogar High End an sich, nur Illusion sind? Sicherlich, ja – was eine gute Nachricht ist, denn wir können den ganzen teuren HiFi-Krempel an jemand verkaufen, der immer noch an die Konstanz des Konkreten glaubt.
Andererseits steht uns die Intention, die vernachlässigte Schwester des Gewissens, zur Seite. Sie weiß ohne konkreten Wahrnehmungsbeweis, was richtig und falsch ist, was gut klingt und was nicht so gut. Auf dem Gebiet der Unfassbarkeit bildet sie die einzig verlässliche Konstante. Die Erde mag rund sein, aber die Welt ist und bleibt eine Scheibe. Wie eine Schallplatte. Nichts ist, alles wird. Es fließt.