Bringen uns Seitensprünge voran?
Illustration: Ralf Wolff-Boenisch
Anlässlich des TechDAS-Laufwerks in alten HiFi-Illustrierten gestöbert – in echt und im Netz – und ein paar merkwürdige Entdeckungen gemacht. Nein, nicht nur die ewige Wiederkehr des Immergleichen, das auch, aber darüber hinaus eine Art sprachlicher Doppelbelichtung, eine begriffliche Werteverschiebung, die mir im Zusammenhang mit Hörgewohnheiten zu stehen scheint. Jene wiederum korrespondieren mit den technischen Errungenschaften der Zeit, dem oft leichtfertig so genannten Fortschritt.
Was war das für eine Euphorie, als es um die Sauberkeit der CD ging Mitte der Achtziger! Weder wollte man damals die unerträglich beißenden Höhen der ersten digitalen Jahre als solche zur Kenntnis nehmen, noch konnte man ahnen, welch andauernden Fluch digitale Produktionsweisen uns Audiophilen aufbürden würden. Die Sterilität und Kühle der frühen CDs galt als Durchbruch der realistischen Wiedergabe und wurde mit typischem Vokabular, aber offenbar verschobener Wahrnehmung, gefeiert. Den Kollegen von damals ist selbstverständlich kein Vorwurf zu machen, Sprache entwickelt sich langsamer als Technik. Andererseits, wenn wir Sprache als Code mit definiertem Inhalt verstehen, müssten wir uns heute einer gänzlich anderen bedienen. Einer, die ausschließlich feine Abstufungen zwischen Superlativen kennt. Glücklicherweise ist Sprache flexibler als Lautsprecherkabel und lässt sich unkompliziert unter Miteinbeziehung zeittypischer Verständnischiffren recyclen.
Ein verkürztes Beispiel, um den Unterschied zwischen Fortschritt und Seitensprung deutlich zu machen: Mit der digitalen Wiedergabe verschoben sich Prioritäten der Wahrnehmung, der warme Sound der Siebziger wirkte eine Dekade später nun zu analog und wurde als veraltet verschrien. Lautsprecher bekamen unkontrolliert kreischende Diamantfräsen als Superhochtöner verpasst. Spitze Spikes, die das Parkett ruinierten, verhalfen dem Sound der CD zu ungeahnter Nachdrücklichkeit. Noch vor, sagen wir, zehn Jahren hatten Boxen ohne Metallspikes generell einen schwierigen Stand. Heute schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung, obwohl sich an der Wirksamkeit von Spikes nichts geändert hat. Ist trotzdem Fortschritt erkennbar? Aber ja, Plattenspieler sind auf breiter Front zurück, und in toto ging die Lautsprecherabstimmung wieder in eine harmonischere, analoge Richtung; obwohl die DSP-Revolution schon ihren breiten Schatten vorauswirft. Sogar das angestrebte Klangideal hat sich fast unmerklich neu kalibriert. Möglicherweise vollzieht die Entwicklung der HiFi-Technik aber auch eine Aufwärtsspirale, der wir Journalisten nur nicht folgen können, weil die Komparative begrenzt sind? Entscheiden Sie doch einfach selbst, ob Sie lieber Vintage-HiFi hören oder vollaktiv und digital. Von mir gibt’s eine „dicke Empfehlung“ für beides – das versteht man immer.