Paul Simon – There goes Rhymin’ Simon
Kaum jemand mochte es glauben. Simon & Garfunkel, das erfolgreichste Duo der Popgeschichte, verkündete einfach so seine Auflösung – und das auf dem Höhepunkt des Erfolgs!
Gerade hatten sie ihr fünftes Studioalbum veröffentlicht, Bridge Over Troubled Water (1970), ein Album, das alle Rekorde brach. In mehr als zehn Ländern stand es auf Nummer eins der Albumcharts. Drei Jahre lang sollte es die erfolgreichste LP der Welt sein. Sechs Grammys gewann es, davon allein vier für den Titelsong. Doch bereits bei den Aufnahmen zu diesem Album soll es zwischen Paul Simon und Art Garfunkel nicht mehr gestimmt haben. Zwei plötzlich reich gewordene junge Männer, die einen unterschiedlichen Lebensstil pflegten, unterschiedliche Prioritäten setzten. Simon – der Songkomponist, Musiker und gesellschaftskritische Lyriker. Garfunkel – der Bonvivant und angehende Schauspieler, der nur noch für seine Gesangsparts ins Tonstudio kam. Zwei ehemalige Nachbarskinder, die erwachsen geworden waren.
Sämtliche Originalsongs des Duos hatte immer Paul Simon geschrieben – und viele Stars hatten sie gecovert, darunter Joan Baez, Bob Dylan, Elvis Presley, Frank Sinatra oder Barbra Streisand. Die Plattenfirma erwartete daher weiterhin Großes von ihm. Doch Paul Simons erstes Album nach dem Split (es hieß einfach Paul Simon) war nicht ganz so erfolgreich wie erhofft. Dies vor allem, weil er eine Tournee verweigerte: Er fühlte sich noch nicht reif dafür, allein im Scheinwerferlicht zu stehen. Art Garfunkels erstes Album war dagegen überraschend erfolgreich, obwohl Garfunkel nur ein zusammengeklaubtes Repertoire sang. Daraufhin erwartete die Plattenfirma von Paul Simon eine starke Antwort. Ein großes zweites Album und eine Tournee.
Die Aufnahmen für There Goes Rhymin’ Simon entstanden nicht nur in New York und London, sondern auch im US-amerikanischen Süden – Simon suchte die Nähe zur angesagten Black Music. Auf fünf der zehn Stücke ist die Muscle Shoals Rhythm Section zu hören, eine soulige Studioband aus Alabama. Weitere Gäste auf dem Album sind die Dixie Hummingbirds (ein Gospel-Quartett), die Onward Brass Band (aus New Orleans) und eine Reihe von afroamerikanischen Jazzmusikern (Bob Cranshaw, Richard Davis, Grady Tate u. a.). Quincy Jones fertigte ein Streicher-Arrangement („Something So Right“), Allen Toussaint leitete eine Bläser-Section („Tenderness“) – beide Stücke haben das Feeling von bluesigen Jazzballaden. Der Song „One Man’s Ceiling“ ist sogar beinahe ein „echter“ Blues – mit Honkytonk-Piano und Shufflebeat.
Aufnahme: September 1972 bis Januar 1973
Veröffentlichung: Mai 1973
Label: Columbia
Produktion: Paul Simon u. a.
Titel
1. Kodachrome 3:32
2. Tenderness 2:53
3. Take Me To The Mardi Gras 3:27
4. Something So Right 4:33
5. One Man’s Ceiling Is Another Man’s Floor 3:46
6. American Tune 3:43
7. Was A Sunny Day 3:41
8. Learn How To Fall 2:44
9. St. Judy’s Comet 3:19
10. Loves Me Like A Rock 3:31
Musiker
Paul Simon – Gesang, akustische Gitarre
Barry Beckett – Keyboards
Pete Carr – akustische und elektrische Gitarre
Jimmy Johnson – elektrische Gitarre
David Hood – Bassgitarre
Bob Cranshaw – Bassgitarre
Roger Hawkins – Schlagzeug
The Dixie Hummingbirds – Gesang
Onward Brass Band – Blasinstrumente
u. v. a.
- Der größte Hit des Albums ist „Kodachrome“, Paul Simons Abrechnung mit seiner Highschool-Zeit. Ursprünglich sollte der Song daher „Going Home“ heißen, aber das erschien ihm dann doch zu gewöhnlich – er wählte einen Titel, der ähnlich klang. Der Refrain „Kodachrome“ evoziert die Vorstellung eines Albums mit alten Schulfotos.
- In England wurde „Kodachrome“ nicht als Single veröffentlicht, weil sie im Radio nicht gespielt worden wäre. Die damaligen BBC-Statuten verboten nämlich Songs mit Markennamen darin.
- Die zweite Single-Auskopplung war „Loves Me Like A Rock“, eine Art Gospelsong über die Unerschütterlichkeit mütterlicher Liebe. Ira Tucker, Leadsänger der beteiligten Gesangsgruppe The Dixie Hummingbirds, gewann mit einer Coverversion davon 1974 einen Grammy für die beste Gospel-Performance.
- Dank der vorab ausverkauften Tournee „Rhymin’ Simon“ und dank den erfolgreichen Single-Auskopplungen erreichte das Album Platz zwei der amerikanischen Billboard-Charts.
- Die letzten drei Songs des Albums beschäftigen sich mit dem Thema Kindheit. Am 7. September 1972 war Paul Simons Sohn Harper geboren worden.
- Die Ballade „American Tune“ wurde zum Song des Jahres 1973 gewählt. Man hat ihn mit der Watergate-Affäre in Verbindung gebracht, aber Simon betonte, er habe den Song schon kurz nach Nixons Amtsantritt (1969) begonnen. Die Hauptmelodie entspricht dem Bach-Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“. Kein Song auf dem Album wurde häufiger gecovert – u. a. durch Willie Nelson und Dave Matthews sowie eine Reihe von Jazzvokalisten/-vokalistinnen.
- Der Song „Take Me To The Mardi Gras“, eine Hommage an New Orleans, enthält einen Falsett-Teil, der gut zu Art Garfunkels Stimme gepasst hätte. Simon wählte dafür den Gospelsänger (Reverend) Claude Jeter. Sein Gesang soll Simon einige Jahre vorher auch zum Song „Bridge Over Troubled Water“ inspiriert haben.
- Der Jazzstar Bob James spielt die Keyboards auf zwei angejazzten Balladen des Albums („Something So Right“ und „American Tune“). Von „Take Me To The Mardi Gras“ fertigte er 1975 eine instrumentale Coverversion an, die häufig im Hip-Hop gesampelt wird.
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