Punkt Zwölf in Nottingham
Was ist nötig, um einen hervorragenden Plattenspieler in eine fantastische Musikmaschine zu verwandeln? Ein langer Arm, ein PSU und fünf Minuten Zeit.
Es ist immer wieder verblüffend: England tickt einfach anders, und das kann höchst unterhaltsam, ziemlich schräg oder auch einfach irritierend sein. Und manchmal auch alles zusammen – wie im konkreten Fall. Ausgangspunkt für ein feines Doppel-Tuning (größerer Tonarm und externes Netzteil) ist das Laufwerk EnVogue Astra. Der gewichtige Dreher (FIDELITY Nr. 8, Ausgabe 4/2013) macht bereits serienmäßig eine vorzügliche Figur, ist klanglich wie haptisch das reine Vergnügen. Optisch darf diskutiert werden, ob sein tiefes Schwarz das Wohnzimmer verschönert oder nicht; es ist halbwegs dezent. Dezent ist auch der Tonarm, den EnVogue zum Einstieg auf das dicke, fette Laufwerk montierte. Der Ace Space 9″ stammt – wie der Astra auch – von Nottingham Analogue. Ein guter, günstiger Tonarm, der sich klanglich mit dem Dickschiff bestens versteht. Ich finde allerdings, dass der ultrasouveräne Auftritt des Astra einen (noch) besseren Tonarm als den kleinen Ace Space 9″ ohne weiteres verträgt.
Also griff Nottingham-Distributor Hans Obels ins oberste Regal und schickte das Topmodell der Engländer, den Anna Arm 12″, mitsamt einer passenden Tonarmbasis. Und weil wir schon mal dabei waren, die Talente des hervorragenden Astra zu fördern, legte Obels gleich noch das externe Netzteil namens PSU dazu.
Das Brikett und der Asphalt
Um das PSU auszuprobieren, ist keinerlei Eingriff am Plattenspieler nötig: einfach dessen Netzstecker von der normalen Dose auf das Netzteil umstecken, vergleichen, gut finden, mitbestellen – so einfach ist das. Denn das PSU strukturiert den Bass- und Grundtonbereich besser, lässt auch Mittel- und Hochtonlagen geschmeidiger fließen und – stramme Rock ’n’ Roller dürfen die Stirn kräuseln – lenkt die massive Wucht des Laufwerks quasi von der lustvoll verschlängelten Land-straße auf einen perfekt asphaltierten Rundkurs, lässt es zivilisierter, straffer und disziplinierter, aber auch beweglicher erscheinen, und zwar ohne musikalische Energieverluste. Einziger Nachteil: Das PSU ist dermaßen unhübsch, dass man es am besten irgendwo unterbringt, wo es nicht zu sehen, aber gerade noch erreichbar ist. Denn der unbeschriftete Knopf auf der Front regelt stufenlos die Geschwindigkeit des Motörchens. Nur der Netzschalter auf der Rückseite irritiert mich zunächst, da der Astra beim Hochlaufen ja immer einen manuellen Anschub braucht. Nun, Neurotiker schalten hier komplett den Saft ab, Pragmatiker lassen PSU und Dreher sowieso durchlaufen, weil’s einfach besser klingt. Punkt.
Der Lange Kerl und die Musik
Apropos Punkt: Auch der große Tonarm besitzt ein Einpunktlager, wie alle Nottingham-Designs. Ich wechsle den langen Anna Arm mitsamt eigener Basisplatte in wenigen Minuten gegen den kurzen Ace Space, freue mich weiterhin über den unkomplizierten Zugang aller entscheidenden Dreh- und Angelpunkte, aber auch über die klassisch-imposante Erscheinung, die das Gespann aus dickem Astra und langem Anna Arm jetzt abgibt. Noch mehr allerdings freue ich mich über den klanglichen Zugewinn an – nun ja: an allem! Auf dem LignoLab TT-100 bestens positioniert und vom Nottingham PSU mit „Rundkurs“-Strom versorgt, ist der Wechsel vom – ich kann mich da nur wiederholen – grundsätzlich sehr guten Ace-Space-Neunzöller auf den langen Kerl ein klanglicher Sprung, den ich zwar schon erhofft hatte, der mich nun trotzdem häufig grinsen lässt. Dieser Arm breitet die ganze Palette an Klangfarben schlichweg breiter und feiner aufgefächert aus, durch(sch)reitet trickreiche Rhythmuspassagen gelassen und konzentriert zugleich, meistert größte Dynamiksprünge und subtile Feindynamik in erhabener Könnerschaft. Anna umarmt mit Grados die Mittenlagen gleich noch ein bisschen mehr, wirkt für das unvermeidliche DL-103 wie ein Turbolader (ohne Turboloch!) und blüht mit einem Ortofon MC 30 zu geradezu unantastbarer Erhabenheit auf.
Dieser Zwölfer räumt jede Bühne auf und stellt sie mit perfektem Zoom in den Raum, er durchleuchtet rhythmische Strukturen mit großem Überblick und stupendem Auflösungsvermögen. Annas federnde, bewegliche Bass- und Mittenlagen gehen mit der ultrastabilen, unerschütterlichen Energie des EnVogue Astra eine so synergetische Verbindung ein, dass ich wohl den etwas abgelutschten Spruch des guten alten Aristoteles bemühen muss: Das Ganze ist größer als die Summe aller Teile. In diesem Fall also sehr, sehr groß! Ich werde mit Hans Obels sprechen müssen.