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Nagra Melody und MSA

Nagra Melody und MSA

Klein & fein

Verstärker-Liebe auf den ersten Blick

Nagra Melody und MSA

Nagra ist im Haus. Meine Frau sagt: „Die sind ja süß!“ Ich sage: „Ja, gell, aber pass auf, die kommen aus der Schweiz, Nagra hat die Rolexe unter den Tonbandgeräten gebaut, das Design haben sie dann für ihre HiFi- Komponenten übernommen, schau, wie fein und präzise …“
Tja. Typisch Frau. Typisch Mann.
Aber so ist das eben mit Nagra. Die Kombination aus legendärem Ruf in Profi-Kreisen und genuin schweizerischem Feinmechanik-Sexappeal ist einzigartig und (zumindest für Männer) unwiderstehlich. Dann halte ich sie in Händen: die nagelneue Vorstufe Melody und den Stereo-Endverstärker MSA. Und ja, ich gebe zu: Sie sind wirklich süß.

Was fürs Auge

Wenn Nagra einen neuen Vorverstärker ankündigt, dann ist auf eines Verlass: die Optik. Wie ihre Vorgänger ist auch die Melody wieder ein kompakter Quader ohne auch nur den Anflug von Überdimensionierung. Kein Problem, das leichtgewichtige Gerätchen einhändig in der Aktentasche zu verstauen. Fürs Auge prangt ein „Modulometer“ genanntes Zeigerinstrument auf der Front, es dient im Betrieb als Aussteuerungsanzeige und ansonsten als Reminiszenz an die Nagras – eben jene anfangs erwähnten portablen Profi-Tonbandmaschinen. Lautstärkeregler und Quellenwahlschalter sind allerfeinst CNC-gefräste, zierliche Aluriegel, nützliche Zusatzfunktionen wie Mono-Betrieb oder Anhebung des Verstärkungsfaktors werden mittels kleiner Kippschalter angewählt. Die Anschlüsse finden sich nun anders als bei den Vorläufern PL-L und PL-P allesamt an der Rückseite, nachdem sich die seitliche Platzierung gemäß historischem Bandmaschinenvorbild als wenig praktikabel erwiesen hat. Einziger Stilbruch: Die (überraschend ergonomische) Fernbedienung könnte aus dem Star-Trek-Fundus stammen. Ansonsten gilt: Showbusiness ist anderswo.

Kühle Transistoren

Die Transistor-Endstufe MSA residiert in einem tief zerfurchten Aluminium-Gebirge. Erinnerungen werden wach, an horrende Stromrechnungen und die sie verursachenden Verstärkerboliden, die im Wesentlichen aus Metall-Lamellen und Hitze zu bestehen schienen. Haben die Schweizer, die sonst auch gerne auf „böse“ Röhren wie die ordentlich Leistung schluckende Triode des Typs 845 setzen, hier ein kleines Class-A-Monsterchen auf die Kegelfüße gestellt? Nichts dergleichen. Die MSA wird höchstens lauwarm. Außerdem: Class A kann ja jeder. Dagegen ist Nagras Mosfet-Stereo-Amplifier ein technisch interessantes Konstrukt auf klassischer Class-AB-Basis, aufgepeppt mit einem selten anzutreffenden technischen Kniff. Wir kommen gleich zu den Details.
Melody und MSA stellen, man mag es kaum glauben, die Nagra-Interpretation von Einstiegsgeräten dar. Die Vorstellung des Preamps folgt – auch in gebührendem zeitlichen Abstand – jener des röhrenbestückten Schwester- und Topmodells namens Jazz. Das mit dem Einstieg relativiert sich allerdings bei genauerem Hinsehen. Melody und Jazz wurden gemeinsam entwickelt, Nagra selbst betont die starke Verwandschaft der Konzepte.

               

Zweieiige Zwillinge

Unterschiede finden sich vor allem in der Wahl der verstärkenden Elemente – aufwendige Röhrenschaltungen in der Jazz vs. kostengünstigere Transistoren in der Melody – und in der Bestückung der Melody mit einem internen Netzteil, wohingegen der Jazz serienmäßig das teure externe Umspannwerk ACPS II beiliegt. Optisch gleichen sich die Geschwisterchen wie ein Ei dem anderen. Identische Bedienelemente, identische Anschlüsse, beide fernbedienbar.
Die Möglichkeit, dank eingebautem Netzteil viel Geld zu sparen, später aber jederzeit aufrüsten zu können (dann wird das interne Netzteil komplett umgangen), macht die Melody zu einer verlockenden Offerte. Einen grundlegenden Unterschied gibt es aber doch: Anders als die Jazz bietet die Melody die Möglichkeit, einen Eingang zum Phonoeingang umzuwidmen. Die passenden Platinen entsprechen de facto jenen der hochgelobten hauseigenen Phonostufe BPS. Sie sind für eine Einbaulösung erstaunlich flexibel: Akzeptiert werden MM- und MC-Systeme, für Letztere stehen gar zwei unterschiedliche Verstärkungsfaktoren zur Wahl, um auch „laute“ High-Output-Tonabnehmer anschließen zu können. Mittels kleiner Steckmodule lässt sich zudem die Eingangsimpedanz anpassen.

Verarbeitung nach Militär-Standard

Wer sich für das elektrische Innenleben interessiert, bekommt Erfreuliches zu hören. Meine persönlichen Favoriten: vierlagige, vergoldete Leiterplatten nach Militär-Spezifikation; hochgradig selektierte Bauteile, die Transistoren im Signalweg teils in Militär-Qualität ausgemessen und gematcht; kürzestmögliche Signalwege, einfach gehaltene Schaltungen. Sehr viel Wert wurde auf Störfreiheit gelegt, nicht nur elektrisch etwa durch kluge Masseführung oder Mu-Metall-Abschirmung des internen Netzteils, sondern auch mechanisch, indem alle Platinen auf Gummidämpfern gelagert sind. Der mechanische Aufbau ist – gleichsam im Widerspruch zur filigranen optischen Wirkung und optischen Eleganz – beeindruckend rigide, die stabilen Buchsen nehmen auch dicke Kabel sicher auf, nichts wackelt oder klappert. Anders als die XLR-Anschlüsse vermuten lassen, ist die Melody unsymmetrisch aufgebaut. Die Nagra- Kundschaft goutiere aber, so heißt es, die überlegene Mechanik von XLR-Verbindern, deswegen die Buchsen. Gleiches gilt für die ihren XLR-Eingängen zum Trotz unsymmetrische Endstufe.

               

Aluminium, veredelt

Überflüssig, der MSA eine stabile Physis zu attestieren. Ein Blick genügt: Das Ding ist ein Kraftpaket. Aber eins mit Stil. Die Oberseite des alleine drei Kilo schweren Kühlkörpergebirges schmückt ein Zierschliff, Uhrenfreunde kennen ihn als „Genfer Streifen“. An der Front dann wieder ein Modulometer sowie ein Drehschalter, mit dessen Hilfe nicht nur ein- und ausgeschaltet, sondern auch ein Auto-Modus gewählt werden kann, bei dem der Verstärker von einem ankommenden Signal automatisch aus dem Standby-Schlaf geweckt wird. Die wirklich interessanten Features verstecken sich an der Rückseite: Per Kippschalter lässt sich die Empfindlichkeit jedes Kanals einzeln in zwei Stufen schalten und die Endstufe in eine von drei Betriebsarten versetzen: Stereo, Doppel-Mono (für vertikales Bi-Amping, beiden Endstufenzügen wird das gleiche Eingangssignal zugeführt) und gebrückter Monobetrieb mit doppelter Leistung.
Die MSA ist, wie bereits erwähnt, technisch interessant. Oberflächlich betrachtet handelt es sich um eine Transistor-Endstufe mit je einem Paar MOSFETs (Metalloxid-Halbleiter-Feldeffekttransistor) pro Kanal, mit moderaten 60 Watt Ausgangsleistung, davon 20 Watt aus verzerrungsarmem Class-A-Betrieb.

Hightech für Effizienz

Dann ist da aber noch ein technisches Schmankerl: ein Leistungsfaktor-Korrekturfilter. Dem begegnet man normalerweise in Geräten mit Schaltnetzteilen, wo es dazu dient, Strom- und Spannungsanteile in Phase zu halten und damit die sogenannte Blindleistung zu minimieren. Der australische High-End-Hersteller Halcro war bisher der Einzige, der diese Technologie in Audio-Verstärkern angewandt hat. Nun also Nagra. Die Schweizer reklamieren eine verbesserte Effizienz des Netzteils, eine besonders reine Stromzufuhr (tatsächlich dürften Netzfilter hier überflüssig sein) und Unempfindlichkeit des Verstärkers gegenüber komplexen Musiksignalen. Die Verstärkerschaltung selbst wird mit minimaler Gegenkopplung betrieben, laut Nagra eine Folge der wieder extrem aufwendigen Bauteilselektion.
Um das Paket zu vervollständigen, schickte mir der Vertrieb auch zwei der optionalen Gerätebasen zu, die Nagra für ihre Vollformat-Komponenten fertigt. Für den nicht unerheblichen Preis von 1650 Euro erhält der Perfektionist das Set VFS mit drei Kegelfüßen, zu befestigen an der Bodenplatte des jeweiligen Geräts, und zwei aufeinander zu stapelnden, makellos CNCgefrästen Aluminiumplatten, jede mit weicher Gel- Entkopplung zur Unterseite und eingefrästen Mulden für die Kegelfuß-Kugelspitzen an der Oberseite. Angesichts der Tatsache, dass die serienmäßigen Hartplastik- Gerätefüßchen von Melody und MSA eher symbolischen Nutzwert haben, ist der Erwerb der wirklich wunderschönen VFS-Plattformen quasi obligatorisch und von vornherein einzukalkulieren. Sie erfüllen ja, wie wir gleich sehen werden, auch einen klanglichen Zweck. Genau: Stichwort Klang.

               

Schweizerisch sinnlich

Wer ohne Länderklischees ist, der werfe den ersten Stein. Elektronik aus der Schweiz, mit humorlosem Studio-Hintergrund und einer Fertigungsqualität von uhrmacherischer Perfektion – das kann gar nicht anders als trocken, präzise und Regieraum-mäßig analytisch klingen. Oder?
Das Gegenteil ist der Fall. Melody und MSA verblüffen den Nagra-Neuling mit Fülle, Wärme und einer stereofonen Holografie, die ihresgleichen sucht. Ich habe das Glück, mit den Ayon Seagull/c Lautsprecher zu besitzen, deren Paradedisziplin das Verschwinden ist. Der tiefe virtuelle Raum zwischen und hinter den Boxen gehört beinahe unabhängig von der angeschlossenen Elektronik zum Alltag. Da braucht es schon Ausnahmekomponenten, um für Aufhorchen zu sorgen. Die Nagras, die bestens eingespielt bei mir eintrafen, erzeugten mit den ersten Tönen das Äquivalent vom Umschalten von Full-HD-Video auf 3D-Projektion. Wobei der Witz nicht ein Mehr an Auflösung war, sondern die Fülle an, wie soll ich sagen: Plastizitätsinformationen. Herrlich zu hören etwa an Perkussionsinstrumenten, deren Klang plötzlich Informationen über Volumen, Holzhärte, Felldicke oder Schlagrichtung zu enthalten schien. Man nehme also: kleine Jazz-Ensembles, mit Fingerspitzengefühl abgemischt, damit kein Instrument oder eine Stimme sich aufbläht und effektheischerisch in den Vordergrund spielt. Und man staune, wie packend echt Trommelschläge, Anblasgeräusche, ja selbst Parkettknarzer und fernes Türenschlagen in die heimischen vier Wände transportiert werden. Klassik-Anspieltipp: Deutsche Grammophon, die Liveaufnahme Horowitz in Moskau – achten Sie im ersten Stück, wie eine links zuschlagende Tür für einen Augenblick die Saalluft erbeben lässt. Gänsehaut.

Plattengenuss integriert

Bei der Gelegenheit sei den Phonoplatinen der Melody- Vorstufe ein dickes Lob ausgesprochen. Nicht nur verrichten sie sagenhaft rauscharm und faktisch brummfrei ihren Job, sie spielen auch locker in der Spitzenklasse ihrer Zunft mit und unterscheiden sich im direkten Vergleich zu einer doppelt so teuren externen Ausnahme-Phonostufe (Bauer Audio) lediglich durch etwas weichere Konturen und sanfteren dynamischen Griff. Die Impedanz lässt sich mit Widerstandsmodulen in sechs Stufen zwischen 33 und 1000 Ohm einstellen, ich hörte mein Dynavector 17D2 Mk II allerdings der Vergleichbarkeit zu meiner Bauer wegen ohne Modul, entsprechend 47 kOhm. Schrieb ich gerade von Fülle und Wärme? Ja, die Nagras erzeugen ein wunderbar fließendes Klangbild mit den schönsten Mitten, die ich seit langem von Transistorverstärkern hören durfte. Da derzeit auch ein mit 300B-Trioden bestückter Röhren-Vollverstärker meinen Hörraum temperiert, waren Vergleiche unvermeidlich, und tatsächlich lassen sich in Disziplinen wie Homogenität und Wärme Parallelen finden. An dieser Stelle muss das optionale Vorstufen-Netzteil ACPS II erwähnt werden. Auch das ist mit 1650 Euro kein Schnäppchen, für meinen Geschmack aber dennoch ein sehr empfehlenswertes Upgrade, verleiht es doch dem Klangbild ein nicht unwesentliches Plus an Offenheit und Prägnanz. Dann zur Abrundung noch die Geräte auf die VFS-Plattformen gestellt, die die virtuelle Bühne weiter stabilisieren und dem akustischen Geschehen ultimative Ruhe und Souveränität verleihen, und es bleiben wirklich keine Wünsche offen.

               Nagra Melody und MSA

Was fürs Auge, Ohr und Herz

Die MSA-Endstufe mit ihren nominell 60 Watt ist übrigens ein höchst kultiviertes Kleinkraftwerk. Was man ihr kaum zutraut: wie gerne sie laut spielt. Die blitzblank saubere, obenrum niemals penetrante tonale Abstimmung bleibt bei jedem Pegel erhalten, und weil auch dem Bass nicht die Puste ausgeht, lässt sich mit den Schweizer Audio-Pretiosen durchaus gepflegt Party machen. Zum Rabauken mutiert der Amp dennoch nie, immer bleiben innere Ruhe und souveräne Gelassenheit die prägenden Charakterzüge. Reprise: Für gewöhnlich nehme ich Optik und Physis neuer Gerätschaften zur Kenntnis, finde sie schön oder auch nicht. Selten aber sprechen mich Komponenten auch äußerlich so intensiv an wie die Nagras. Ja, sie sind wirklich süß. Aber auch traumhaft verarbeitet. Die Drehregler entlocken (wenigstens männlichen) Besuchern wohlige Seufzer. Mich begeistert das filigrane Steuerzentralen-Flair, die so praktischen Anpassungsmöglichkeiten, die ästhetisch perfektionierte Werkzeugqualität. Meinetwegen, in einem Wort: das Nagrahafte. Sehr, sehr schöne Gerätchen.

www.gaudios.eu

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