Nachruf auf Ken Shindo – Shindos Röhrenklang
Wenn man gebeten wird, einen Nachruf zu schreiben, löst das immer ein etwas mulmiges Gefühl aus. Gerade in diesem speziellen Fall, in dem ich zugeben muss, den Menschen hinter den Geräten eigentlich gar nicht gekannt zu haben. Oder vielleicht doch – denn was Ken Shindo mitzuteilen hatte, steckte sicher in seinen Komponenten, also seinen Verstärkern und seinen Lautsprechern. Mit Letzteren bin ich nicht sonderlich vertraut, bis auf ein kurzes Zwischenspiel, das mich damals sehr beeindruckt, aber auch etwas ratlos ob der teilweise antik wirkenden Technik zurückgelassen hatte. Heute bin ich ein Fan von solchen Konzepten.
Über viele Jahre rückblickend habe ich ziemlich viel über eine ganze Reihe von Shindo-Geräten geschrieben, Ken Shindo auch persönlich kennengelernt, das allerdings zu einem frühen Zeitpunkt, an dem ich zugegeben noch nicht allzu viel von seiner Art von HiFi begriffen und bis dato nur eine Vor-/Endstufen- Kombi eingehend gehört hatte. Damals traf sich eine, na ja, nennen wir es einmal „Clique“ bei Auditorium 23 in Frankfurt. Eben, weil Ken Shindo, der häufig nach Deutschland reiste, zu dieser Zeit wieder einmal in Frankfurt war. Und wie das bei solchen Treffen halt so ist, gab es eine Menge HiFi-Gequatsche. Aber irgendwann erhob sich Shindo und legte eine Platte auf … Und damit war alles gesagt. In seinem Tokyoter Laden gab es übrigens nicht nur Röhrenverstärker, sondern auch Schallplatten zu kaufen.
Ken Shindo besaß zweifellos Charisma sowie die Bestimmtheit und das Selbstbewusstsein des Könners, aber auch die (Wort-)Kargheit und die Nachdenklichkeit eines philosophierenden Samurai, der die Klinge gegen den Lötkolben getauscht hatte und das Bauen von Röhrenverstärkern vielleicht sogar als eine Form der Meditation auffasste. Sicherlich tat er genau das, was er am liebsten machte und am besten konnte, wobei der Begriff „Können“ hier fast fehl am Platz ist, denn er beschreibt nicht einmal annähernd, auf welchem Niveau sich hier vermeintlich simpler Verstärkerbau zur Kunst erhob. Kunst, die weder zufällig noch kreativ herbeigebetet war oder auf die Tagesform des Künstlers zurückgeführt werden konnte. Seinen ersten Verstärker baute der junge Ken Shindo übrigens schon im Alter von 13 oder 14 Jahren für seinen Vater.
Meine Annäherung an Ken Shindo ist oder war praktisch ausschließlich auf sein Vermächtnis – seine Geräte – beschränkt, weshalb diese Geschichte sicherlich einen klassischen Fall von grandioser Themaverfehlung darstellen wird, denn ich kann nur versuchen, Ihnen ein wenig von dem zu vermitteln, was so speziell an seinen Verstärkern war. Ich möchte Sie dabei aber nicht schon wieder mit unbeholfenen klanglichen Beschreibungen oder gar mit einem Referat über die von Shindo verwendeten (Schaltungs-)Techniken konfrontieren, weil es letztlich um etwas ganz anderes geht. Nämlich um die Rezeption von Musik aus Tonkonserven. Also um die Frage, wie die Musik via Anlage beim Zuhörer ankommt und was der Zuhörer dabei empfindet. Es existieren ja keine Regeln, welche die Befindlichkeit eines Zuhörers definieren, weil es daran nicht nur wenig Interesse, sondern auch keine reproduzierbaren Maßstäbe, Messmethoden oder Definitionen gibt; „gut“ oder „schlecht“, Gefallen oder Nichtgefallen bleiben undefinierbare, sogar höchst individuelle Grauzonen. Ich habe im Laufe von mehr als 40 Jahren intensiver Beschäftigung mit dem Thema leider zu viele, meist sehr teure und im landläufigen Sinne „perfekte“ Verstärker gehört, die mich überhaupt nicht beeindruckten, ja sogar langweilten. Und ich habe beispielsweise winzige batteriebetriebene D-Verstärkerchen in der Preisklasse eines Junkfood-Menüs genossen, die ihre Zuhörer zu Freudentränen rühren konnten.
Womöglich ist es ein hilfloser Versuch von mir, dieses Übertragungsproblem auf zwei Dinge – oder zwei Hälften – zu reduzieren: eine halbwegs objektive Komponente (die Summe reiner Information in Bezug auf Frequenzgang, Verzerrungen, Transparenz, Details usw.,) sowie auf einen weiteren, ebenso wichtigen Faktor, nämlich jenen, ob es ein Verstärker bewerkstelligt, die eigentliche Aussage, also sozusagen das Wesen einer Musik zu übermitteln. Genau daran scheitern sehr viele Geräte, wenngleich sie in der Lage sind, die reine Information sogar perfekt zu reproduzieren. Es ist dieser geheimnisvolle Faktor, der bei der Beurteilung (falls man – oder jemand – überhaupt Antennen dafür hat) so sehr zu schaffen macht, denn er kann dazu führen, dass eine „perfekte“, womöglich irrsinnig aufwendige Komponente ihren Zuhörer so kalt lässt, dass der genervt oder bestenfalls nur gelangweilt auf den Ausschalter drückt. Eine teure Katastrophe, die es nach dem Stand der Technik gar nicht geben dürfte.
Die Unmöglichkeit, das echte Erlebnis trotz immensen Aufwands zu reproduzieren, könnte (oder muss?) durchaus zu einer konsequenten Schlussfolgerung führen, nämliche jener, dass (HiFi-)Wiedergabe wohl eher eine eigene Kunstform ist, also letztlich nur eine weitere Interpretation darstellen kann. Bei der man nicht den falschen, weil unmöglich zu erreichenden Idealen nachjagen, sondern sich vielmehr darauf konzentrieren sollte, inmitten einer ordentlich abgefassten Nachricht quasi zwischen den Zeilen die eigentliche, viel wichtigere Information zu transportieren.
Das ist genau das, was Ken Shindo bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt – oder schon immer – verinnerlicht hatte, und dazu kam bei ihm die Fähigkeit, Gerätschaften zu bauen, die genau das konnten. Er verstand sich als „Sound Create Producer“, was man vielleicht so interpretieren könnte, dass er sich – so Keith Aschenbrenner vom Shindo-Vertrieb Auditorium 23 – eher dem „schönen Ton“ verpflichtet fühlte. Sicher eine radikal andere Herangehensweise als das, Entschuldigung, ganze Blahblah von der möglichst „exakten Reproduktion“.
Seltsamerweise sind sogar einige, alles andere als perfekte Übermittler (womöglich ein altes Röhrenradio, vielleicht ein Grammophon, mancher total simple Röhrenverstärker, ein Vintage-Gerät, oder, als Gegensatz, einige aktuelle Komponenten) durchaus in der Lage, diesen „Wesensfaktor“ dem Zuhörer zu vermitteln, ihn zu fesseln, zu binden und ihm so die eigentliche Geschichte, die eine Musik erzählt, verständlich zu machen. Vorwiegend schreibt man diese Fähigkeit in entsprechenden Zirkeln ja Röhren, Vintage-Geräten oder Vintage-Bauteilen zu, was ich persönlich so nicht unterschreiben würde; ich habe moderne Verstärker, ja sogar volldigitale Konzepte gehört, denen diese Zauberei scheinbar mühelos gelang. Nur kommt das leider viel zu selten vor.
Ken Shindo gründete seine Firma 1977, wobei der Betrieb zunächst eher von Reparatur und Restauration alter amerikanischer Geräte lebte; einen weiteren Schwerpunkt stellte der Verkauf von Bauteilen dar. Tatsächlich war Shindos erster kommerzieller Verstärker ein Transistor-Design mit der Bezeichnung „S.Peterson 626“. Diesen Namen wählte der passionierte Pfeifenraucher wahrscheinlich als Hommage an einen Pfeifenhersteller. Seitdem hat der Japaner eine unglaubliche Anzahl verschiedenster Geräte produziert. Und es ausnahmslos (!) vermocht, seinen Kreationen jenen ganz besonderen Wesenszug mitzugeben, geplant und bewusst, also mit Vorsatz und Können. Er konzentrierte sich nun ausschließlich auf Röhrenverstärker, obwohl ich persönlich die Meinung vertrete, dass er seine Kunst, wenn er nur gewollt hätte, jeder Art von Verstärkerschaltung hätte beibringen können, ebenso wie er das mit seinen Lautsprechern tat, die untereinander sehr verschieden und praktisch immer vom Einsatz von Vintage-Materialien geprägt waren.
Das traf auf die Amps von Shindo Laboratory übrigens nicht zu, die teilweise eine erfrischende, ziemlich undurchschaubare Mischung aus Alt und Neu darstellten und bekanntermaßen nach berühmten Weinen benannt waren. Was für sich genommen schon die tiefere Absicht des Erbauers erklärte. Einen einheitlichen „Shindo-Klang“ in Bezug auf eine eher objektive Beurteilung gab es nämlich nicht. Über die Jahre begegneten mir „grüne“ Kreationen, die völlig unterschiedliche klangliche Geschmäcker (oder Bedürfnisse?) ansprachen, aber immer den Faktor X enthielten, ihren Zuhörer also einfangen, ja gefangen nehmen konnten. Unter den Frühwerken und den damals noch angebotenen Bausätzen scheint es dabei durchaus Produkte gegeben zu haben, die an heutigen Ansprüchen gemessen durchaus einseitigen Vorstellungen entsprachen; man denke etwa an die eigenwilligen Phonoentzerrungen. Was sich im Laufe der Jahre auch wieder änderte: Modifikationen flossen in stetigem Rhythmus in die Fertigung ein, sodass man durchaus von einem Maß an Individualität sprechen kann, dessen Kontrolle nach zeitgemäßer Vorstellung von Produktion unmöglich erschien. Wie ich hörte, ging letztlich ausnahmslos jedes Gerät über Ken Shindos Arbeitstisch – der sich allerdings weder durch ausufernde Messtechnik noch durch penible Dokumentation auszeichnete. Shindo, der die Fachhochschule für Elektronik besucht und früher sowohl als Elektroinstallateur als auch als TV-Elektroniker bei Matsushita gearbeitet hatte, baute, wenn man das einmal so formulieren darf, „auswendig“. Dazu passt die vom deutschen Vertrieb gehörte Story, dass er, auf der Veranda sitzend, in ein paar Stunden einen Haufen Bauteile und ein leeres Gehäuse in einen komplexen und wunderschön gebauten Vorverstärker verwandelte, ohne irgendwelche Unterlagen zu konsultieren. Solche Routine, verbunden mit tiefem Wissen und absoluter Beurteilungssicherheit beim Hören, erklärt den Mythos Shindo vielleicht ansatzweise.
Jahrelange Entwicklungsarbeit an einem Gerät dürfte im Shindo Laboratory angesichts des umfangreichen Produktportfolios und einer laufenden Produktion gemeinhin weit unterschätzter Stückzahlen unmöglich gewesen sein. In verblüffender Geschwindigkeit und mit schon traumwandlerischer klanglicher Sicherheit entstanden in der Manufaktur (sie hat vier Mitarbeiter und liegt 45 Kilometer von Tokyo entfernt in Saitama) unterschiedlichste Amps, die offenbar weder an einem bestimmten schaltungstechnischen Grundkonzept aufgehängt noch festen Röhrentypen verbunden waren. Anders als man das vielleicht vermuten würde, ging
Shindo mit dem Thema Röhre an sich pragmatisch bis zur Kaltschnäuzigkeit um, was eingefleischten Fans seltsam vorkommen mag. Vor Jahren fand einmal eine „Modenschau“ statt bei einem deutschen Röhrenhändler, den man damals durchaus noch als Schatzkästchen bezeichnet hätte, doch sie rührte den Meister, wie mir erzählt wurde, herzlich wenig. Vielleicht, weil er um Wichtigeres wusste.
Aus bestimmten Röhrentypen fast eine Religion zu machen war also nicht seine Sache. Im Laufe der Zeit verbaute er Trioden, Pentoden oder sogar Tetroden sowohl im Single-Ended- als auch im Push-Pull-Betrieb und scheute weder vor Single-Ended-Parallel-Schaltungen noch vom Einsatz russischer Sendetrioden zurück. Dabei kamen auch unterschiedlichste Topologien zum Einsatz – Zwischenübertrager, Eingangsübertrager oder auch simple RC-Kopplung, wobei Vor- oder Phonostufen mit Ausgangsübertragern schon zu einem Zeitpunkt entstanden, an dem kaum sonst jemand auf diese Technik vertraute. Die Verwendung von NOS-Vintage-Bauteilen war übrigens gang und gäbe, aber offensichtlich nicht die Regel. Viele Geräte wurden beispielsweise mit alten Übertragern ausgestattet, aber zwischendurch kamen ebenso neu angefertigte Trafos oder auch aktuelle Widerstandstypen vor. Doch was auf den ersten Blick wie ein Sammelsurium erschien, basierte offenkundig auf tiefem Wissen. Wobei niemals grob überdimensionierte Netzteile anzutreffen waren, aber durchaus der eine oder andere Transistor in den Stromversorgungen auftauchte.
Über die (Vintage-)Bauteile- und Röhrenvorräte der Manufaktur lässt sich nur spekulieren, sie müssen aber beträchtlich sein. So wurde etwa die Western Electric 300B Single Limited immer noch mit originalen WE300Bs aus der letzten Fertigung von 1988 ausgestattet, ganz zu schweigen vom Top-Vorverstärker des Hauses, dem „Petrus“, der auf WE-Pentoden des Typs 349A basiert, die als noch viel rarer gelten müssen. Doch während man in den letzten Jahren an der Produktion ganz klar eine Hinwendung zu neuen elektrotechnischen Vorschriften beobachten konnte – immer mehr Geräte erschienen mit komplett geschlossenen Gehäusen –, scheint Ken Shindo nach meinem Wissensstand auf der Verwendung von Röhren aus alter Produktion beharrt zu haben. Von solchen kamen im Laufe der Zeit recht geläufige, sprich bekannte Typen wie etwa EL34, EL84, KT88, 6V6, 6L6, 6CA7, F2a, 300B oder 2A3 zum Einsatz, darüber hinaus aber auch Exotischeres wie beispielsweise WE421, PX25, VT52, 6B4G, AT20, GM70, E2D oder 6BG6G. Von den in Vor- und Phonostufen eingesetzten Gläsern ganz zu schweigen: Hier fräste sich Shindo mondän durch die bessere Hälfte von allem, was in den USA, England oder Europa in der Röhrentechnik Rang und Namen besaß. Wie fein er die Geräte dabei „justierte“, konnte man allein schon daran erkennen, dass Verstärker, die vom Besitzer mit Ersatzröhren desselben Typs, aber eines anderen Herstellers ausgestattet worden waren, aus der „Wartung“ mit geänderter Schaltung zurückkamen.
Mir persönlich haben sich von den Shindo-Kreationen, die ich hören konnte, vor allem zwei Geräte fest im Klanggedächtnis eingeprägt. Beide hatte ich für längere Zeit als Leihgabe in Betrieb, beide zählten zu den älteren Werken des Japaners.
Der Vorverstärker „Allegro“ hatte sicherlich etwas zu viel wunderbaren Tiefton-Speck um die Hüften, faszinierte darüber hinaus aber durch elegant-lässige Spielfreude und eine barock-bunte Klangfarbenpalette, die sich scheinbar nie erschöpfte. Damit wären zumindest ich und mein Rondo-Breitbänder für die einsame Insel gerüstet gewesen.
Und dann traf mich noch das genaue Gegenteil, nämlich Monos mit dem schönen Namen „Pavillon Rouge“, quasi mitten ins Herz; ein Push-Pull-Design mit altem Triad-Zwischenübertrager und der Beam-Power-Tetrode 6BG6G. Der strukturell äußerst simple Amp war wie der Gegenentwurf zu einer Single-Ended-Triode und musizierte ohne jede Ausschmückung auf eine völlig reduzierte, trockene und straffe Art und Weise. Was übrig blieb, war nur mehr das, worauf es wirklich ankommt – die Nachricht wurde auf wenige Zeilen reduziert, ihr Gehalt aber in den Vordergrund gestellt. Das passt präzise zum Pavillon Rouge des Chateau Margaux – ein sogenannter Zweitwein, der die einfachere und preisgünstigere Linie des berühmten Weinguts darstellt. Und manchmal ist genau das die Essenz. Oder schlicht die Wahrheit. Ein Zitat von Ken Shindo verdeutlicht zum Schluss vielleicht, für welche Philosophie sein roter Pavillon stand: „Kein überflüssiger Klang”.