Music Hall mmf-9.3 – Aus Erfahrung gut
Roy Hall entwickelt seit 40 Jahren Laufwerke und zeigt mit dem Music Hall mmf-9.3, dass er immer für eine Neuentwicklung gut ist.
Man sieht sich immer zweimal im Leben. Diese Devise gilt auch für Begegnungen mit HiFi-Gerätschaften. Vor über zehn Jahren, kurz bevor ich ins Lager der Direktantriebler wechselte, hatte ich das Vergnügen, meine vinylen Gelüste ein gutes Jahr lang mit einem Music Hall mmf-7.1 zu befriedigen. Eine Zeit, an die ich mich gern zurückerinnere, weshalb ich auch sofort zusagte, als die Anfrage kam, ob ich einige Zeit mit dem neuen Modell mmf-9.3. verbringen wolle.
Gewagte Optik bei Music Hall
Damals wie heute fasziniert mich die Optik der Music-Hall-Laufwerke, die in ihrem geschichteten Aufbau ein Alleinstellungsmerkmal haben. Wobei man hier allerdings von „Form follows function“ sprechen sollte. Music-Hall-Mastermind Roy Hall verfolgt mit seiner speziellen Sandwichtechnik ein technisches Ideal. Halls Ziel war es über die 40 Jahre seiner Laufwerksentwicklung immer wieder, den Abtastvorgang von äußeren Einflüssen jeglicher Art zu befreien. Dies brachte ihn zur Entwicklung der dann als Markenzeichen eingetragenen SPIT – „Split Plinth Isolation Technology“. Dabei wird die bestehende Grundkonstruktion in mehrere (hier drei) Chassis mit unterschiedlichen Aufgaben aufgeteilt.
Die akustisch relevanten Bauteile, der Tonarm und der darin eingebaute Tonabnehmer sowie das invertierte Lager aus Sinterbronze und der Plattenteller befinden sich auf dem obersten Chassis. Das untere Chassis nimmt mit drei Spikes Kontakt zur Stellfläche auf und trägt das Anschlussterminal. Das mittlere Chassis fungiert als „Troubleshooter“ und entkoppelt über Sorbothan-Halbkugeln die beiden anderen Chassis voneinander. In dieser Konstruktion ist der mmf-9.3. deutlich schwerer und massiver als ein Brettspieler, bringt aber noch nicht die Masse und Behäbigkeit eines echten Masselaufwerks mit. Dennoch würde ich nach einigen Wochen des ausgiebigen Hörens das Dreifach-Chassis aufgrund seiner ausgeprägten Laufruhe und der Fähigkeit, den Sound grundtonstark aus dem Bassbereich aufzubauen, als kleines Masselaufwerk bezeichnen, wobei es optisch wesentlich leichtfüßiger wirkt.
Perfekte Vorjustierung
Selten habe ich einen Plattenspieler schneller und einfacher aufgebaut als den mmf-9.3, der als Komplettpaket mit einem Goldring Eroica LX und einem von Pro-Ject produzierten 9-Zoll-Tonarm bei mir ankam. Hilfreich sind hier das mitgelieferte Bordwerkzeug und die kleinen Zusatzhelferlein, etwa die integrierte Libelle zur geraden Ausrichtung. Insbesondere die Justage des Gegengewichts hat es mir angetan, nicht nur dass das Ausbalancieren des Arms und das Eindrehen des Gewichts ein Kinderspiel ist, ein Nachmessen mit der Profitonarmwaage zeigt, dass auf die Zahlen des Gegengewichts Verlass ist und man keineswegs Spezialwerkzeug in der Hinterhand benötigt. Dass das Eroica LX perfekt vorjustiert war, versteht sich da beinahe von selbst. Alles in allem ein Plattenspieler für den ambitionierten Auf- und Umsteiger, der seine Ambitionen aber nicht mit frickeliger Mehrarbeit und stundenlanger Online-Recherche nach optimierten Einstellungstipps bezahlen möchte.
Geräuschlose Kraft
Der Lackmustest für einen Plattenspieler ist für mich immer die Wiedergabe verschiedener Klavier-LPs, zeigt sich hier doch die Gleichlaufqualität des Motors wie unter einem Brennglas; ebenso die Stimmigkeit von Arm und System. Kleinste Antriebsprobleme offenbaren sich in Tonhöhenschwankungen ausklingender Akkorde, Probleme bei der Arm-System-Kombination und beim Antiskating resultieren bei lauten Diskantpassagen in Verzerrungen. Greifen wir also zur ersten LP eines Stapels gerade neu erstandener Japan-Pressungen und legen Keith Jarretts Doppel-LP Staircase auf. Das Studioalbum aus dem Jahr 1977 ist wesentlich dynamischer und fokussierter als die bekannteren Liveaufnahmen aus Köln oder Tokyo.
Obwohl ich kein ausgewiesener Fan der Kompositionen und Improvisationen Jarretts bin, bleibe ich doch tatsächlich volle vier LP-Seiten bei der Sache. Nicht nur, dass die Mächtigkeit einzelner tiefer Passagen der linken Hand sich hier wie bei einem schwergewichtigen „echten“ Masselaufwerk anhören, vor allem trüben keinerlei Schwankungen den Hörgenuss, ganz wie bei einem durchzugsstarken Direktantrieb, jedoch mit einer Portion mehr Gelassenheit. Ich gebe zu, das hätte ich diesem unscheinbaren Motörchen nicht so ohne Weiteres zugetraut. Der auf einer gedämpften Basis stehende Motor ist im Sinne der SPIT-Technologie ausgelagert und wird für eine bessere Bedienbarkeit links vor dem Laufwerk platziert; das mag optisch irritieren, ist aber äußerst funktional im Sinne der Bedienbarkeit.
Aufgrund des integrierten Sinusgenerators kann der Motor auf eine korrigierende Nachregelung verzichten. Ein Ergebnis, das überzeugt. Hinzu kommt, dass ich selten einen leiseren Außenmotor gehört habe oder, um genauer zu sein, eben nicht gehört habe. Auch bei näherem Heranrücken an das Laufwerk sind weder Pulley noch Riemen zu vernehmen, lediglich eine leichte Wärme beim Berühren der Motordose zeigt, dass in diesem mächtig gewerkelt wird. Ebenso erfreut nehme ich im Verlauf des Albums wahr, dass der Tonarm, dessen Antiskatingqualität ich aufgrund der Technik des Überwurffadens zunächst misstraut habe, sich mit souveräner Führungsqualität auch durch die schwierigen Diskantlagen dieser Aufnahme arbeitet.
Mag der kardanisch gelagerte Carbonarm aufgrund seines leichten Gewichts und seiner nicht optimalen Anfassqualität wie das schwächste Glied in der Kette wirken, so wird man doch schnell eines Besseren belehrt. Auch bei hart angeschlagenen Tönen in den oberen Oktavlagen verzerrt nichts, sowohl hart herausgemeißelte Einzeltöne als auch flirrende Läufe sind frei von störenden Artefakten, die von einer unzureichenden Technik herrühren könnten.
Ausgewogenes Frequenzspektrum
Um sicherzugehen, dass wir es hier nicht mit einer generellen Zurückhaltung im oberen Frequenzspektrum zu tun haben, schwenke ich auf eine genau gegenteilige Klavier-LP um. Wilhelm Kempffs verstörend merkwürdige Aufnahme der Bach’schen Goldbergvariatonen zieht auf einer Japan-DGG ihre Runden. Merkwürdig, weil der 75-jährige Kempff auf viele der vorgeschriebenen Verzierungen verzichtet, sich also jenseits jeder barocken Tradition bewegt, aber dennoch um eine fein ziselierte Anschlagstechnik bemüht ist. Die LP ist, auch in der japanischen Pressung, alles andere als ein Dynamikwunder, im Gegenteil: Es ist eine sehr leise, fast fragil anmutende Klangästhetik, die da erklingt. Und hier zeigt der mmf-9.3., dass er nicht zu künstlicher Zurückhaltung, auch nicht im oberen Frequenzspektrum, neigt. Da er den Klang stimmig von unten aufbaut, bleibt bis in die Höhen genügend Energie vorhanden, diese so zurückhaltende Aufnahme mit Nachdrücklichkeit erklingen zu lassen, selbst bei gedämpfter Lautstärke zu später Stunde.
Do the DJ
Aber bevor wir bei Bachs Goldbergvariationen komplett vergeistigen, schwenken wir zum Härtetest um. Nun ist der Music Hall natürlich alles andere als ein DJ-Turntable, aber der stabile Durchzug sollte doch wie gemacht für ein paar härtere Sachen aus dem Club sein. Aber Obacht: Lassen Sie nicht befreundete Vinylisten mit DJ-Allüren an den Tonarm, der könnte in seiner Leichtfüßgkeit bei rein händischem Betrieb womöglich Schaden nehmen – also immer schön auf den Tonarmlift hinweisen. Sei’s drum, eines der wenigen Vinylexemplare von Kendrick Lamars Megaseller Dawn aus dem Regal gefischt, um dem Hip-Hop-Überflieger der letzten Jahre eine Chance auf dem mmf-9.3 zu geben. Tief, schnell, präzise – das Laufwerk treibt das synthetische Bassfundament dermaßen energiegeladen voran, dass sich jedes Grübeln über etwaige Clubqualitäten erübrigt. Und auch das Eroica LX lässt nicht zwingend den Wunsch nach einem Ortofon Concorde aufkommen. Gespickt mit vielen Samples aus Fernsehshows, eingesprochenen Texten und Nebengeräuschen, ist Lamars Dawn beinahe ein Hörspiel, und das kann man hier bei jeder Umdrehung beinahe in Surroundqualität erleben.
Music Hall: Differenzierte Musikalität
Aber auch komplexer ineinandergreifende Instrumentalstrukturen löst das Hall’sche Gesamtpaket wunderbar auf. Die vollmundig tönenden Jazzscheiben des CMP-Labels gehören zu meinen klanglichen Lieblingsproduktionen, erfüllen sie doch beinahe schon klischeehaft das Ideal analoger Wärme und Sounddichte. Leider sind die Aufnahmen des Theo Jörgensmann Quartetts bis heute häufig nur Insidern des deutschen Jazz bekannt und dann noch solchen, die ein Faible für die unterrepräsentierte Klarinette haben. Dabei ist nach über 35 Jahren die Jörgensmann’sche Melange aus Free Jazz, Fusion und Hardbop auf dem Album Next Adventure immer noch up to date. Wenn etwa in dem Track „Manege“ ein Ritardando der Klarinette sich in einem Beckenwirbel auflöst und nahtlos in einen Klaviertriller übergeht, dann stehen diese Klangereignisse jeweils für sich in einer einzigartigen, individuellen Klangsignatur im Raum, verbinden sich aber dennoch stimmig miteinander. Der Kombination mmf-9.3 und Goldring Eroica gelingt es, einzelne musikalische Elemente zu fokussieren, diese aber stets in einen großen musikalischen Fluss einzubinden; eine Klangästhetik, die süchtig machen kann.
Warum nicht mal aufsteigen?
Roy Halls neuester Wurf ist ein echter Allrounder, der keine Musikrichtung bevorzugt und keine musikalischen Einzelparameter herausstellt. Der mmf-9.3. ist der richtige Spielpartner für all diejenigen, die deutlich mehr Genuss und Spielfreude von ihrem Plattenspieler als von einem Einsteigermodell erwarten, die sich aber deswegen auch nicht zum Laufwerksspezialisten ausbilden lassen wollen, um alle Eventualitäten zu berücksichtigen, die in dem Bermudadreieck von Laufwerk, Tonarm und Tonabnehmer versteckt liegen können. Das Goldring Eroica LX und der von Pro-Ject zugelieferte Carbon-Tonarm sind die perfekten Spielpartner für das Laufwerk. In der Summe kann man hier auf ein Paket aus 40-jähriger Konstruktionserfahrung vertrauen, das optisch, technisch und vor allem klanglich zu überzeugen weiß.
Wir meinen
Ein ausgeklügeltes und nicht alltägliches Konstruktionsprinzip, das technisch und optisch den fortgeschrittenen
Analoghörer mehr als erfreut. Unbedingt im Paket mit dem Goldring Eroica ordern.
Info
Plattenspieler Music Hall mmf-9.3
Laufwerk: manuell
Chassis: dreiteiliger Aufbau in „Split Plinth Isolation Technology“ (SPIT)
Antriebssystem: Riemenantrieb mit außen laufendem Rundriemen
Umdrehungsgeschwindigkeiten: 33 und 45 U/min
Geschwindigkeitsregelung: elektronisch
Stromversorgung: 230/115 V, 50/60 Hz
Netzteil: 15 V DC
Motor: separate Motoreinheit, integrierte Steuerung mit Sinusgenerator
Plattenteller: 29-mm-Acrylteller, antimagnetisch auf Inverskeramiklager
Tonarm: kardanisch gelagerter 9″-Carbonarm
Effektive Masse: 8,5 g
Antiskating: mechanisch
Ausstattung: Staubschutzhaube
Maße (B/H/T): 47/19/34 cm
Gewicht: 17 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis inkl. Tonabnehmer: um 2500 € (Schwarz) bzw. 2600 € (Walnuss)
Kontakt
Reichmann Audiosysteme
Graneggstraße 4
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