MQA -Auf Umwegen zum Erfolg?
Keine zweite Entwicklung sorgte in den vergangenen Jahren für ähnlichen Wirbel wie MQA. Vom Heilsbringer bis zum Teufelchen des Streaming-Zeitalters wurde den drei Buchstaben etliches angeheftet. Doch um es realistisch bewerten zu können, muss man das komplizierte Konstrukt erst einmal verstehen.
Illustration: Ralf Wolff-Bönisch
Zur falschen Zeit am falschen Ort. Mit dieser Formel lässt sich die Markteinführung von MQA treffend postulieren. Branchenkenner waren erstaunt über den negativen Konsens, den das Konstrukt aus der Feder von Bob Stuart auf sich zog. 2014 fing es an. Auf der HIGH END stellte der aus seinem Unternehmen ausgeschiedene Meridian-Gründer den Audio-Standard „Master Quality Authenticated“ vor. Richtig, wir sprechen nicht, wie oft fälschlich angenommen, von einem Tonformat, sondern von einer Produktions- und Wiedergabe-Standardisierung. MQA – Missverständnis Nummer zwei – wurde auch nicht entwickelt, um HiRes-Audio durchs Internet zu transportieren. Dieser Nebeneffekt kam erst später zum Tragen.
Übersetzt bedeutet MQA „beglaubigte Master-Qualität“. Bob Stuart wandte sich einem Problem zu, von dessen Existenz die meisten HiFi-Kenner nicht einmal etwas ahnen: Vom Aufnahmestudio übers Mastering zum Tonträger, Player und D/A-Wandler wird ein Signal immer wieder manipuliert. Zum Beispiel durch die Konvertierung des Studio-Standards 24 Bit/48 Kilohertz ins gebräuchlichere 16/44. In der weiteren Verarbeitung wird es mitunter von S/PDIF in DSD gewandelt. Hinzu kommen Filter. Ein durchschnittlicher CD-Player besitzt gleich zwei davon, eins auf digitaler, eins auf analoger Ebene. Die Filterung verfärbt nicht nur, sie beeinträchtigt auch das Timing der Frequenzen. Mag die Musik auch noch so wundervoll aus den Boxen tönen, mit „High Fidelity“, „hoher (Klang-)Treue“, ist das in den meisten Fällen so eine Sache …
Diesen Makel schüttelt MQA ab. Nach Stuarts Konzept soll ein Album vom Mastering-Ingenieur in einen verriegelten Container geschnürt werden. Bei diesem „Behälter“ handelt es sich um den „Free Lossless Audio Codec“ oder um „Apple Lossless“. Das Tonformat ist also FLAC oder ALAC. Durch einen dezenten Hinweis in der Dateiinformation erkennt ein befähigter Player den Standard und reicht die entpackten Signale nach einer vordefinierten Digitalfilterung an den Verstärker durch. Manipulation ist theoretisch ausgeschlossen, durch hohe Standardisierung kann das Tonstudio die gesamte Wiedergabekette „vorausplanen“. So weit ist die Idee also unanfechtbar genial, wenn auch nicht revolutionär neu. Schon JVCs XRCD (ab 1995) band den Produktions- und Wiedergabeprozess an strenge Vorgaben.
Studioprofis war sofort klar, dass so etwas nur mit einer geschlossenen Kette aus dedizierter Hard- und Software möglich ist. Das dämmerte bald darauf auch den HiFi-Herstellern und -Fans. Stuart hatte nicht nur eine pfiffige Problemlösung ersonnen, sondern zugleich ein ertragreiches Lizenzmodell konstruiert.
In vielen Branchen wäre das selbstverständlich. Immerhin stecken hinter MQA Patente, Hirnschmalz und jahrzehntelange Erfahrung. Schon in seiner Zeit bei Meridian verfolgte der Entwickler mit Formaten und Übertragungsstandards ähnliche Ziele. Die HiFi- und Studiofraktion jedoch witterte Ausbeutung. Aus Gründen, die sich nachvollziehen lassen: Zum einen ist die Branche verwöhnt. MP3, FLAC, WMA, OGG, WAV – alles kostenlos! Selbst Apples Formatcontainer AAC und ALAC wurden vom Lizenzgeber aus Cupertino freigegeben. Die meisten Wiedergabeprogramme sind ebenfalls gratis oder zumindest erschwinglich. Und jetzt wollte jemand Geld dafür sehen, dass er eine unangetastete, lupenrein highfidele Wiedergabekette gewährleistet? No way!
Ein anderer Grund dürfte sein, dass die Branche durch den Tonträger-Wahnsinn der vergangenen Jahrzehnte überreizt ist: LP, CD, SACD, lokales und Web-Streaming, hinzu kommen Sackgassen wie die Minidisc, DVD-Audio oder Blu-ray-Audio, um nur die Prominenz zu nennen. Und jetzt wieder neue Geräte und Tonträger anschaffen? Für die meisten Anwender kam das nicht in die Tüte.
Bob Stuart ahnte die Bedenken und baute einen Plan B und C in den Standard ein. Einerseits gibt es auf der Wiedergabeseite keinen Zwang zu neuer Hardware. Würden ab morgen alle Musikverlage nur noch MQA produzieren, könnte man den betagten Streamer trotzdem weiternutzen. Wie gesagt: Es handelt sich um übliches FLAC oder ALAC. Unfähige Komponenten ignorieren den MQA-Hinweis der Datei und spielen die Musik dennoch ab – ohne „Authenticated“, versteht sich. Ausbeutung sieht anders aus. Und dann gibt es ja auch noch den Twist, der MQA am Ende doch noch zum Einsatz brachte.
HiRes-Audio hat zwei Vorzüge: Durch größere Wortbreite (die Zahl der Bits) können feinere Dynamikunterschiede abgebildet werden. Eine höhere Taktung erweitert derweil die Bandbreite. Beides beansprucht aber mehr Platz auf dem Datenträger. Ähnlich wie schon Fraunhofer mit MP3 und MP4 ließ sich Stuart Tricks einfallen, die Platz sparen, ohne zu viel Informationen einzubüßen. MQA setzt einerseits auf die Erkenntnis, dass die untersten Bits eines Audiosignals derart leise Informationen enthalten, dass ihre Relevanz für die Wiedergabe bezweifelt werden kann. Möchte ein Mastering-Ingenieur mehr Dynamik in seine Musik bringen, kann er die unteren Zellen des 16-Bit-Signals verwenden, um dort Hochbit-Informationen zu „verstecken“. Der MQA-Decoder fügt sie oben wieder an und reproduziert die volle Dynamik. Das ist verlustbehaftet, keine Frage, doch wie gesagt: Über die Relevanz von leisem Hintergrundrauschen kann man streiten.
Kniff Nummer zwei folgt einer ähnlichen Überlegung: Niedrige Frequenzen sind langwellig und entsprechend grobschlächtig. Man kann Informationen herausschneiden, ohne dass es akustisch ins Gewicht fällt. Den freigewordenen Platz nutzt der MQA-Encoder, um dort Frequenzanteile oberhalb 20 Kilohertz zu verstauen. Die Bandbreite des Signals wird erweitert, die Taktrate bleibt gleich. Zuletzt werden FLAC und ALAC nach Art eines Zip- oder Rar-Archivs komprimiert. Mit einem Speicherbedarf knapp unterhalb von CD-Audio bringt MQA also deutlich mehr Information unter.
Im A/B-Vergleich hört man das. Der Standard klingt gegenüber der CD oft transparenter und differenzierter. Vor allem die Darstellung großer Räume gelingt dem Standard besser. Allerdings sollte man mit solchen Gleichnissen vorsichtig sein. Viele (vor allem ältere) Produktionen werden eigens für MQA remastert, sie entsprechen daher nicht der CD-Version. An eine echte Hochbit-Aufnahme reicht MQA indes nicht ganz heran. Die Kompromisse beziehungsweise Verluste fordern ihren Tribut.
Erster kommerzieller Nutzer von MQA war der Streaming-Dienst Tidal. 170 000 Songs* werden mittlerweile angeboten. Der Web-Service kennzeichnet die Titel mit dem Zusatz „Master“. Für die Abonnenten ist MQA definitiv ein Hauptgewinn. Ohne Aufpreis erhalten sie mehr Qualität. Und die kommt auf immer mehr Komponenten zur Geltung. Weit über 50 Marken listet MQA auf seiner Homepage. Die strengen „Authenticated“-Vorgaben wurden für die breitere Abdeckung allerdings aufgeweicht. So ist mittlerweile auch die Computer-Software Roon MQA-fähig, was keine Garantie über den nachfolgenden DAC beinhalten kann.
Vielleicht auch wegen der geringen Gegenliebe wendet sich der Lizenzgeber ohnehin zunehmend von der HiFi-Branche ab. In jüngerer Vergangenheit engagiert er sich für Livestreams, HD-Videos oder die highendige Sprachübertragung im Netz. Man darf also gespannt sein, wo die Reise für MQA hinführt.
*Angabe von Tidal, Stand Anfang November 2020
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