253.000 Besucher, 1.805 Aussteller (nicht Marken)! Knapp 160.000 Quadratmeter vermietete Ausstellungsfläche und ein geschätztes Ordervolumen von rund 4,7 Milliarden Euro! Das war die IFA 2017 in Berlin, eine Messe der Superlative, die sich stetig weiter entwickelt.
Natürlich spielt das Thema Audio in Berlin nur eine untergeordnete Rolle, aber dennoch, geringgeschätzt wird es keinesfalls. Die Halle 1.2, traditionell die „Audio-Halle“, ist mit ihren 6.058 Quadratmetern nicht klein. Addiert man dann noch alles zum Thema Audio in den anderen Hallen hinzu, könnte man nochmals mindestens eine weitere Halle im Format der Halle 1.2 füllen. Berlin bietet geschätzt somit zwischen 12.000 und 15.000 Quadratmeter Fläche für Audio. Das ist eine Menge, galt das Thema doch noch vor wenigen Jahren als Totengräber der Messe.
Wie wichtig Audio in Berlin ist, sieht man erneut bei Technics. Der Prototyp und die Ankündigung des kommenden Laufwerks SP-10R, Thronfolger der legendären SP-10-Reihe, die 1970 mit dem Ur-SP-10 begann, wird wie der SL-1200 GAE letztes Jahr in Berlin der Weltöffentlichkeit vorgestellt, nicht auf einer HiFi-Messe. Panasonic wird Gründe dafür gehabt haben. Sogar Technics-Präsidentin Michiko Ogawa reiste eigens aus Japan an. FIDELITY hatte in Berlin exklusiv die Möglichkeit, sich ausgiebig mit ihr zu unterhalten. Uns interessierte natürlich, warum Technics diese Ikone des Plattenspielerbaus wieder auferstehen lassen will, denn die Zeiten, in denen Plattenspieler in großen Stückzahlen im Rundfunk eingesetzt wurden, sind lange vorbei. Frau Ogawa gab uns darauf eine überraschende Antwort: Die Entscheidung pro SP-10R fiel aufgrund einer stetig wachsenden Nachfrage nach einem Nachfolger der klassischen SP-10-Linie. Die ersten SP-10 sind mittlerweile fast 50 Jahre alt. Ersatzteile gibt es offiziell schon lange nicht mehr. Somit verstummt zwangsläufig jede Zarge mit einem klassischen SP-10 für immer, wenn ein Defekt auftritt. Dem wollte man Abhilfe schaffen. In knapp anderthalbjähriger Entwicklungsarbeit entstand mit einem Team rund um den damaligen Entwickler das aktuelle Modell. Das Einbaulaufwerk ist auf den Millimeter genau kompatibel zu seinen älteren Geschwistern und kann im Handumdrehen gegen diese getauscht werden.
Ziel war es, das beste Laufwerk der Welt zu bauen. Besonderes Augenmerk legte man dabei auf eine extrem rauscharme Versorgungsspannung des Direktantriebs, dessen Netzteil wie ursprünglich ausgelagert ist. Mit einem acht Kilo schweren feingewuchteten Plattenteller in Sandwichkonstruktion gegen störende Resonanzen, einem extrem drehmomentstarken Direktantrieb und einem neu entwickelten Lager für den schweren Plattenteller, kann Technics die auch heute noch fantastischen Messwerte des SP-10 Mk2 sogar noch optimieren. Damit nicht genug. Es wird auch eine neue Zarge für den SP-10 geben, die bis zu drei Tonarme trägt. Last but not least arbeitet man bei Technics auch an einem neuen Tonarm für dieses Traumlaufwerk. Wie wir erfahren konnten, wird es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen geraden Tonarm aus Magnesium handeln. In der zweiten Jahreshälfte 2018 soll diese Traumkombination erhältlich sein. Die Preise sind noch mit Vorsicht zu genießen. Das Laufwerk allein könnte um die 9.000 und der komplette Plattenspieler inklusive Zarge und Tonarm rund 15.000 Euro kosten. Aber wie gesagt, es handelt sich um einen unverbindlichen Kostenvoranschlag.
Die IFA Berlin entwickelt sich ständig weiter. Jedes Jahr sieht sie ein wenig anders aus. Die Experimentierfreude ist spürbar und tut der Messe gut. Darüber berichten dann 6.000 Journalisten aus über 70 Ländern. Die großen (und globalen) Sendeanstalten senden direkt aus dem hochprofessionellem Mediencenter in alle Welt. ARD und NTV haben sogar eigene Studios in den Publikumshallen.
Audio wird in Berlin geradezu spielerisch als ausgemacht „junges Thema“ präsentiert. Schwerpunkt sind mobile Produkte wie Kopfhörer, Media-Player, Bluetooth-Lautsprecher für wirklich jeden nur erdenklichen Einsatzfall. Aber auch All-in-one-Geräte und natürlich Plattenspieler stehen hoch im Kurs. Bei den Plattenspielern findet man immer häufiger gleich eingebaute Entzerrer und A/D-Wandler, um die im Vinyl gespeicherte Musik wieder fürs mobile Endgerät nutzbar zu machen. Sinnvoll oder Unsinn? Das ist nicht die Frage und genaugenommen stimmt meist beides. Wir sollten uns hüten, darüber in alter Manier zu urteilen. All diese Produkte machen das Thema Audio für eine junge Zielgruppe attraktiv, die sich vom klassischen HiFi abgewandt hat. Das ist grundsätzlich zu begrüßen.
Neben vielen jungen Produkten der Marken AKG, JBL, Harman, etc. gab es bei Harman natürlich auch „echtes“ HiFi zu bestaunen. Ein komplettes Mark-Levinson-Setup nebst Plattenspieler No. 515 an den neuen JBL 4312 SE. HiFi-Herz, was willst Du mehr? Wir konnten erfahren, dass man bei Mark Levinson derzeit an einer Monoendstufe arbeitet, die, wenn alles gut geht, zur Münchner Messe 2018 präsentiert werden soll.
Saxx präsentierte zum ersten Mal seine komplette Palette von bezahlbaren Lautsprechern (aktiv und passiv). Herausragendes Merkmal von Saxx sind die in dieser Preisklasse unüblichen AMT-Hochtöner (Air Motion Transformer), die für eine präzise Hochtonwiedergabe stehen. Neben der eigenen Marke Saxx gab es auch noch die Marke Dreamwave Audio aus den USA zu sehen. Dreamwave ist auf mobile, drahtlose Produkte spezialisiert und überraschte mit wirklich gutem Sound.
Bang & Olufsen war mit der neuen Beolab 50 angereist, einem von der Referenz Beolab 90 abgeleiteten Technologiewunder. Sie präsentiert sich auf allen Ebenen abgespeckt, aber mit gleichwertigem Klangpotential. Bang & Olufsen hatte einen eigenen Hörraum, in dem ausschließlich die Beolab 50 präsentiert wurde und voll zu überzeugen wusste. B&O-Tonmeister Geoff Martin war auch nach Berlin angereist und stand Rede und Antwort, um die unzähligen technischen Finessen der Beolab 50 in verständlichen Worten zu erklären.
Convert Technologies, die Firma hinter der Marke Plato aus England, hatte die ersten Geräte der neuen Serie „Nexus Range“ im Gepäck. Laut Convert benötigt nicht jeder Kunde den Endverstärker im Plato und nicht jeder legt großen Wert auf das aufwendige (und somit teure) Design des Plato. Also entschloss man sich zu einer neuen Geräteserie mit einfacheren Gehäusen und ohne Leistungsverstärker, aber ansonsten exakt gleichem Innenleben. In der Folge konnte der Preis für die Server und Streamer Omnis, Gravitas und Nucleus deutlich verringert werden.
Yamaha hat traditionell mit gut 750 Quadratmetern und sechs Erlebniswelten einen der größten Messestände auf der IFA, der sich alleine durch die gigantische Produktpalette rechtfertigt. Schwerpunkt war klassisches HiFi mit Geräten, deren Charme man sich nur schwer entziehen kann. Yamaha zeigte unter anderem auch die Sprachsteuerung der Yamaha-MusicCast-Multiroom-Welt mit Amazon Alexa. Auch Filmfans kamen nicht zu kurz. In einer großen Vorführkabine konnte man die Yamaha Soundprojektoren YSP-2700 und YSP-5600 entdecken. Dolby-Atmos- oder dts:X-3D-Surround-Sound kommt hier aus nur einem länglichen Lautsprecher-Gehäuse. Weitere Highlights waren der neue Netzwerk-Player NP-S303 sowie die Stereo-Netzwerk-Receiver R-N303D und R-N803D.
Der diesjährige von uns hier und jetzt aus der Taufe gehobene, inoffizielle Innovationspreis „IFA-Audio“ geht dieses Jahr an beyerdynamic in Kooperation mit Mimi Hearing Technologies. Das Berliner Unternehmen Mimi gehört zu den weltweit gefragtesten Spezialisten der Klang-Personalisierung. Mehr als eine Million Menschen haben mit Mimis Technologie bereits ihr Gehör getestet oder den Klang auf ihr Gehör angepasst. Die Technologie ist als Medizinprodukt (CE) zertifiziert. Im Kern handelt es sich um eine Simulation der Signalverarbeitung im menschlichen Gehör (insbesondere der Cochlea). Dabei werden manche Informationen hervorgehoben, um das Gehirn dabei zu unterstützen, besser zwischen unterschiedlichen Klangelementen zu unterscheiden und diese zu verarbeiten. Anstatt wie ein einfacher Equalizer frequenzselektiv die Lautstärken anzupassen, repliziert Mimis Klang-Personalisierung natürliche und mit dem Alter veränderliche Prozesse im menschlichen Gehör und sorgt so für klaren, vollen und kontrastreichen Klang. Basis für die Kopfhörer-Personalisierung ist der sogenannte Soundcheck, der über die beyerdynamic MIY App durchgeführt wird.
Im Rahmen eines ausgeklügelten Tests wird das Gehör geprüft: Ein vollständiges Hörprofil ist in circa sechs Minuten erstellt. Der Test benötigt zur Durchführung neben einer ruhigen Umgebung nur ein Smartphone und den neuen Kopfhörer Aventho wireless. Am Ende steht ein individuelles Hörprofil, das auf einem Chip im Kopfhörer gespeichert wird. So steht es jeder Klangquelle zur Verfügung – auch ohne App-Nutzung. Die Intensität der Klanganpassung lässt sich über die beyerdynamic MIY App einstellen. Der erste beyerdynamic-Kopfhörer mit Mimi-Technologie ist der geschlossene On-Ear Aventho wireless. Das neue High-End-Midsize-Modell bietet außerdem eine innovative Bedienung: Die rechte Seite ist als Touch-Controller ausgelegt, über einfaches Tippen sind alle Funktionen zugänglich. Wir haben dieses Innovationswunder vor Ort getestet und waren ob der Wirkung verblüfft. Der auffälligste Effekt war ein spürbar tieferes hineinhören in Details und eine reduzierte Abhörlautstärke. Man hört leiser und erfasst trotzdem mehr Details – für uns die Innovation der Messe.
Auch Audio Technica präsentierte mit dem ATH-ADX5000 einen neuen Referenz Kopfhörer mit offenem ohrumschließenden Konzept. Der ATH-ADX5000 wurde von Grund auf neu entwickelt, sein angenehm leichtes Gehäuse beherbergt besonders große 58-mm-Treibereinheiten mit Wolfram-beschichteter Membran.
Bei iFi dagegen war das Thema Kopfhörer nicht ausschließlich positiv konnotiert: Nachdem man in den vorherigen Jahren in Halle 7 nie so richtig zufrieden mit der Lage des Messestandes war, waren die bestens beleumundeten Mini-Komponenten dieses Jahr erstmals in Halle 1.2 untergebracht, wo prompt alle eigenen Kopfhörer einem Diebstahl zum Opfer fielen. Ein Moment, in dem sich die Solidarität der Szene beweisen konnte – schon bald ging es mit kurzfristig ausgeliehenen Modellen weiter. iFi bringt seinen Produkten Stück für Stück MQA bei und auch ältere Geräte sollen in Zukunft durch ein Software-Upgrade MQA-fähig werden.
Sprachsteuerung wie bei Siri, Alexa, Google und Cortana (noch nicht in Deutschland verfügbar) kristallisierte sich in Berlin als bestimmendes Zukunftsthema heraus. Viele Audio-Anbieter haben das eine oder andere System bereits integriert, Harman bietet sogar alle an. Um diese Helfer im Messetrubel vorführen zu können, gab es bei den Ausstellern speziell dafür vorgesehene Räume. Leider haben die Vorführungen nicht immer problemlos funktioniert, was nicht unbedingt den Audio-Firmen anzukreiden ist. Vielmehr steckt wohl die KI hinter den Helfern noch in den Kinderschuhen, zeigt aber schon jetzt das enorme Potenzial umfänglicher Vernetzung. Wir sind auf weitere Entwicklungen in diesem Bereich sehr gespannt.
Ein großes Thema, das immer mehr Fahrt aufzunehmen scheint, waren in diesem Jahr sogenannte All-in-one-Systeme. Jeder Hersteller, der etwas auf sich hält, hat mittlerweile eines im Angebot. Ein Vorreiter war in Deutschland Audioblock, aber auch Firmen wie Technics haben mit dem Ottava SC-C70 ein kompaktes und elegantes Komplett-System im Angebot. Damit kommt man den Bedürfnissen und Hörgewohnheiten vieler Konsumenten entgegen. Aufgefallen ist uns in Berlin auch die deutsche Firma Sonoros, die eine große Palette dieser Alleskönner für vielfältige Einsatzmöglichkeiten im Angebot hat. Sie reicht vom großen Design-Radio „Meisterstück“ bis hin zu tatsächlich IP-geprüften Geräten, die damit auch wirklich badezimmertauglich sind.
Audioblock ist mittlerweile eine gesetzte Größe, wenn nicht sogar erste Adresse, wenn es um bezahlbares HiFi aus Deutschland im klassischen Format geht. FIDELITY konnte sich in Tests bereits mehrfach von den Qualitäten der deutschen Firma überzeugen. Wie jedes Jahr war Audioblock auch in diesem Jahr in Berlin vertreten. Anders als sonst hatten sie aber zusätzlich zum Stand in der Halle 1.2 einen kleinen Außenstand in Form eines Präsentationsanhängers zwischen den Hallen. Hier konnte man täglich ab 16:00 Uhr den Messetag gemütlich bei einem Bier und einem kleinen Plausch ausklingen lassen.
Magnat zeigte den RV 4 Röhren-Hybrid mit Bluetooth aptX und rockte die Show. An einer strategisch günstigen Stelle platziert (einer der Hauptgänge der Halle 1.2) und mit entsprechenden Lautsprechern (Magnat Signature Serie) kombiniert, bildeten sich immer wieder große Menschentrauben, die diese Setup ob seiner enormen Potenz bestaunten. Direkt ums Eck ging es dann gleich mit der großen Heco Dreiklang weiter.
Nachdem Marshall über die letzten Jahre immer wieder neue und verblüffend kräftig aufspielende Stand-alone-Lautsprecher präsentierte, gab es dieses Jahr die logische Weiterentwicklung – ein kabelloses Multiroom-System im Guitar-Stack-Look für „harte Jungs“.
Berlin entwickelt sich nach traurigen Jahren, was das Thema Audio angeht, Zug um Zug zu einem Audio-Mekka der besonderen Art: Jung, frisch, neugierig, offen und unvoreingenommen sind Begriffe, die einem unmittelbar dazu einfallen. Man könnte sogar noch einen kleinen Schritt weitergehen und sagen: In Berlin kann man einen Blick in die Zukunft von Audio werfen.