Clearaudio Jubilee MC – Die überwältigende Macht der Effektfreiheit
Der Jahreswechsel ist zum Glück vorbei. Und damit auch die Zeit der Wunderkerzen, Böller und Kracher. Nachhaltige Überzeugungsarbeit lässt sich mit spektakulären Knalleffekten sowieso nicht leisten. Wird alles richtig gemacht, dann wirkt das zwar zunächst unspektakulär, stellt aber auf Dauer den einzig gangbaren Weg dar. Und auf dem ist ganz zweifellos auch das neue MC Jubilee der Erlanger Analogmanufaktur Clearaudio unterwegs.
Fotografie: Ingo Schulz
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Ein geschätzter Journalistenkollege hinterfragte neulich einen nicht ganz neuen Trend in der Audiobranche recht massiv: Sollte man sich wirklich irgendwelche „audiophilen“ Tonträger kaufen, mit denen die hochwertige Anlage daheim besonders gut/toll/beeindruckend klingt? Oder geht es nicht eher darum, die persönliche Lieblingsmusik in bestmöglicher Manier zu hören und sich dafür das geeignete Abhör-Equipment zu gönnen? Ich gebe zu, dass ich mich schon vor ganz langer Zeit für Variante zwei entschieden habe. Die Musik kam und kommt bei mir an erster Stelle, entweder selbst (mit Stimme und Klavier) gemacht, im Konzert gehört oder von der medialen Konserve genossen. Da darf die Klangqualität auch mal in den Hintergrund treten, im wahrsten Wortsinn die zweite Geige spielen. Auch und gerade deshalb gibt es in meiner Sammlung einen beständigen Nachschub an Tonträgern, ergänzt um „Nichtphysisches“ per Internet-Streaming; alles in allem Musik, die nicht unbedingt für Hörer mit Platinohren gedacht ist.
Dass ich, sofern ich die Wahl habe, immer noch oft und gerne zu Vinyl anstelle von Carbon greife, hat dennoch primär klangliche Gründe. Fraglos können digitale Medien überwältigend gut musizieren, hat das Rennen um das letzte Quäntchen Klang längst mit einem Patt zwischen den Systemen geendet. Die persönliche Erfahrung hat mir aber gezeigt, dass zumindest jene Musik, die ich gerne höre – von großer Sinfonik bis zu Kammerjazz, von beinhartem Rock bis zu schmusigem Songschreiber-Pop – auf der altehrwürdigen Schallplatte oft etwas stimmiger, verbindlicher, „runder“ daherkommt. Gerade so, als würden die für das Mastering Zuständigen davon ausgehen, dass eine Silberscheibe auch mal in einem Gettoblaster oder ähnlich zweitklassiger Wiedergabemaschinerie noch einigermaßen ordentlich zu klingen hat. Die LP ist für den Mobileinsatz auf der grünen Wiese und am Rand des Swimmingpools denkbar ungeeignet – und gerade das hat ihr jene erfreuliche Renaissance beschert, ohne die es auch Preziosen wie das Clearaudio Jubilee MC wohl nicht gäbe.
Von einem Tonabnehmer wie diesem hätte der Schallplattenfreund – vor allem angesichts des aufgerufenen Preises von nicht ganz 4000 Euro – vor einem Jahrzehnt nur träumen dürfen. Freilich gab es diese Qualität, diese konsequente Auslotung dessen, was sich in den Rillen des „Schwarzen Goldes“ verbirgt, auch in vergangenen Dekaden. Aber nicht in halbwegs erschwinglichen Regionen und nicht für alle, sondern bestenfalls für Insider-Zirkel, auf deren aus dunklen Kanälen bezogenen Super-Hyper-Tondosen dann oftmals japanische Schriftzeichen prangten. Und für die der geneigte Vinylfreak hinlegte, was andere für eine propere Mittelklasse-Limousine in den Jahresetat einstellten.
Clearaudio freilich feiert das 40-jährige Bestehen. Mit einer Reihe von Produkten, die den hohen selbstgestellten Anspruch der im Meilwald vor den Toren der mittelfränkischen Universitätsstadt Erlangen residierenden Manufaktur widerspiegeln. Ja, Manufaktur: Hier wird noch viel von Hand hergestellt, ist die Fertigungstiefe verglichen mit anderen Herstellern nachgerade riesig – und das soll auf absehbare Zeit auch so bleiben. Weil sich Teile wie der Panzerholz-Korpus der Jubiläums-Tonabnehmer selbst auf höchstwertigen CNC-Maschinen nur dann realisieren lassen, wenn jemand den Vorgang überwacht, der sich damit ganz genau auskennt. Panzerholz, ein mit hartem Epoxidharz verleimtes Schichtholz, ist bei Clearaudio schon seit geraumer Zeit der Werkstoff der ersten Wahl, wenn es um möglichst schwingungsresistente Plattenspieler-Zargen geht. Läuft sich in den stabilen Konstruktionen doch erfahrungsgemäß jede unerwünschte Vibration in Windeseile tot. Man darf getrost davon ausgehen, dass dies die zentrale Motivation war, Panzerholz bei Clearaudio künftig auch im Tonabnehmerbau einzusetzen.
Zudem spielte wohl auch und gerade beim Jubiläums-Schmuckstück die Optik eine Rolle: Der aus hellen und dunklen Schichten bestehende Korpus des Jubilee MC wirkt edel und ist mit seiner „Fingerplatte“, in die so passgenau wie unverrückbar stabil ein Metall-Inlay zur Aufnahme der Befestigungsschrauben integriert wurde, schon von weitem als typischer Vertreter der Clearaudio-Tonabnehmer-Toplinie zu erkennen. Hier reiht sich das Jubilee MC zwischen die beiden längst etablierten Moving-Coil-Ikonen Stradivari und DaVinci ein. Auch klanglich, denn es wurde sehr bewusst ein Mittelweg zwischen dem vollmundig dunkel timbrierten Stradivari und dem eher hell abgestimmten, vergleichsweise analytischen DaVinci eingeschlagen.
Eine Eier legende Wollmilchsau also? In gewisser Hinsicht schon. Nun sagt man Alleskönnern ja gerne nach, dass die Talente auf vielen Gebieten mit dem Problem erkauft werden, im Gegenzug nichts hundertprozentig zu können. Solche aus der Vielseitigkeit geborenen Schwächen wird man beim Jubilee MC jedoch vergebens suchen. Allerdings ist der Panzerholz-Preziose auch jede Vordergründigkeit, jeder Effekt um des Effekts willen fremd. Wer also einen Tonabnehmer mit vorlaut blitzenden Höhen oder einem weit überzogenen Bassbereich sucht, um High-End-Novizen zu beeindrucken oder gewisse Schwächen der eigenen Anlage auszugleichen, sollte um das Jubiläums-MC lieber einen Bogen machen. Das Clearaudio Jubilee MC ist grundehrlich und schnurgerade, ohne auch nur eine Zehntelsekunde langweilig zu wirken.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die „Software“ etwas taugen sollte, wenn die Hör-Sitzung zu einem angenehmen Erlebnis werden soll. Das führt mich zu den eingangs erwähnten Lieblings-LPs. Zum Hörtest griff ich dieses Mal sehr bewusst nicht in den Stapel mit den „audiophilen“ Produktionen, sondern suchte eher nach herzerwärmendem Stoff aus allen Epochen. Dass Paul Simons Graceland auch bei den Hörtestern und bei den Messe-Vorführern im Koffer steckt, ist ein kleiner Treppenwitz der Musikgeschichte, wenn man weiß, dass der US-amerikanische Sänger und Songschreiber vor über 30 Jahren von einer aus den Elendsvierteln von Soweto herausgeschmuggelten Tonbandkassette dazu inspiriert wurde, dieses Ethno-Album zu machen, das zum wohl größten Erfolg seiner Karriere wurde. Graceland sollte Brücken schlagen, sollte in der Popwelt bis dato unbekannte Künstler bekannter machen und mittelfristig das kulturelle Embargo aufweichen, das den Apartheid-Staat Südafrika wie eine unsichtbare Glasglocke abschirmte. Dass Graceland so präsent und knackig aufgenommen wurde, dass die Scheibe auch wunderbar dazu taugt, in ausdrucksvollen Stimmen zu schwelgen, sich an mitreißenden Bassgrooves zu erfreuen und über eine für Studioproduktionen eher unübliche Räumlichkeit zu staunen, ist ein angenehmer, aber nicht unbedingt beabsichtigter Nebeneffekt. Mit dem Clearaudio Jubilee MC vergesse ich auch ganz schnell, dass ich eigentlich diesen Tonabnehmer auf Herz und Nieren testen soll, ich will mich in Paul Simons Weltmusik-Achterbahn hineinziehen lassen. Erst das dezente Kratzen der Nadel in der Auslaufrille holt mich in die Realität zurück.
Zeit für ernsteren Stoff, Zeit für die Apotheose der Spätromantik: Gustav Mahlers Sechste Sinfonie ist ein Titanenwerk, klingender Spiegel einer zutiefst zerrissenen und gequälten Seele. Im Lauf der Jahrzehnte hat sich eine Reihe renommierter Dirigenten mit bekannten Orchestern an diesen dichten Klangballungen, diesen Emotions-Explosionen, diesen beinahe mit Händen greifbaren (Alp-)Traumlandschaften versucht und ein Stück weit auch abgearbeitet.
Auf dem Plattenteller von Audio-Note-Chef Peter Qvortrup dreht sich seit einer Weile die Deutung des griechisch-russischen Taktstock-Zauberers Teodor Currentzis mit dem Orchester MusicAeterna, von Sony auch als fulminant klingende 180-Gramm-Doppel-LP veröffentlicht (siehe auch „Classidelity“ in dieser Ausgabe). Nachdem ich Anfang Dezember bei den britischen Röhren- und Analog-Spezialisten in diese Ausnahmeproduktion hineinhören durfte, schenkte ich sie mir wenig später selbst zu Weihnachten – und bin auch Monate später noch begeistert, weil Currentzis es versteht, der so oft gespielten „Tragischen“ neue, ungekannte Facetten abzugewinnen. Zudem ist die Aufnahme sowohl hinsichtlich der Transparenz als auch in Sachen tonaler Balance kaum zu schlagen und somit definitiv eine Anwärterin für die Sammlung, die auf die einsame Insel mitkommt. Über das Clearaudio Jubilee MC tönt das dichte musikalische Geschehen mit seiner Myriade an Details wohlbalanciert und ist auch in den wichtigen Nebenstimmen ohne jede Anstrengung verfolgbar. Ein Kaleidoskop in eher gedeckten Farben (was nichts mit dem leuchtenden Timbre des Tonabnehmers zu tun hat), das nie in einzelne Splitter zerfällt, sondern einfach eine Reihe prägnanter Bilder mit hoher Strahlkraft zeigt, die schlüssig aufeinander aufbauen und immer im Fluss bleiben.
Wie man in das Hier und Jetzt zurückkehrt, wenn man so weit „draußen“ war, wenn die Erkundung der Innenwelten eines vor fast 110 Jahren verstorbenen Komponisten einen über gut zwei Stunden nachhaltig gefangen hielt? Zum Beispiel mit dem herrlich entspannten Orchesterjazz der Poogie Bell Band. Im Sommer 2017 hatte der Schlagzeuger Poogie Bell in Pittsburgh eine ganze Reihe bemerkenswerter Musikerinnen und Musiker um sich geschart, mit denen er in Windeseile fern jeder Schwerelosigkeit dezent angejazzt durch die Genres flog. Filmmusik und Fusion, Soul und Modern Bop werden zu einer untrennbaren Einheit. Exhibition Continues, erschienen auf dem Label Jazzline, verkörpert im besten Sinn all das, was intelligenter Mainstream-Jazz sein sollte: Die Stücke sind überraschend und abwechslungsreich, ohne gewollt und geklittert zu wirken. Und sie wurden in die LP-Rillen gebannt, ohne allzu viele Studiotricks anzuwenden, um das Endergebnis „aufzublasen“. Wenn ich in meinem Hörsessel mitwippe, wenn mein Finger auf der Lehne die zum Teil ziemlich komplexen Rhythmen (eine persönliche Schlagzeuger-Vergangenheit wird man nie vollends los) lustvoll mitklopft, hat die Anlage alles richtig gemacht. Und ein Tonabnehmer wie das Clearaudio Jubilee MC hat daran entscheidenden Anteil.
Ganz wichtig: Dieses System dankt es, wenn es so präzise wie eben möglich eingebaut wird; selbst kleine Abweichungen von den Idealwerten bei VTA und Spurfehlwinkel kosten bereits Farbpracht und Abbildungspräzision. Die vom Hersteller empfohlenen 2,8 Gramm Auflagekraft sollte man ebenfalls akribisch genau einstellen. Ich „fuhr“ zunächst mit deutlich weniger, weil das Gegengewicht meines Tangentialarms noch für das nur optisch ähnliche Clearaudio Concerto V2 eingestellt war – und wunderte mich, dass sich der erwartete Klanggenuss nicht einstellen wollte. Keine Sorge, den Schallplatten machen die paar Gramm mehr erfahrungsgemäß nichts aus, dem Klang des Tonabnehmers helfen sie aber gewaltig auf die Sprünge. Dann wird das Clearaudio Jubilee MC wirklich zur akustischen Jubiläums-Praline.
MC-Tonabnehmer Clearaudio Jubilee MC
Prinzip: Moving-Coil-Tonabnehmer mit Panzerholz-Gehäuse
Gewicht: 7,4 g
Übertragungsbandbreite: 20 Hz–100 kHz
Ausgangsspannung: 0,6 mV bei 5 cm/s
Abtastfähigkeit: 80 μm
Empfohlene Auflagekraft: 2,8 g
Systemimpedanz: 50 Ω
Abtastnadel: Gyger S doppelt poliert auf Bor-Nadelträger
Nadelnachgiebigkeit: 15 μ/mN
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 3900 €
Mitspieler
CD-Player: Audio Note Zero, Mark Levinson 390s
SACD-Player: Marantz SA14 V1, Sony SCD 333 ES
Plattenspieler: Clearaudio Innovation Compact, SoReal Audio Seismograph
Tonabnehmer: Clearaudio DaVinci und Concerto V2, Denon DL-103R
Phonovorverstärker: Musical Fidelity M-VNYL, Clearaudio Basic
Vorverstärker: Mark Levinson No. 38S, Trigon Snowwhite, Marantz SC-22
Endverstärker: Mark Levinson No. 27, Marantz MA-22, John Curl JC3, Trigon Dwarf II
Lautsprecher: KEF R900, Infinity Kappa 7.2 Series II