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Interview mit Matt Andersen

Matt Andersen im Interview mit FIDELITY

„Wie ein Abend beim besten Freund“

Matt Andersen – „Wie ein Abend beim besten Freund“

Matt Andersen kommt aus einem Dorf im hintersten Kanada – seine musikalische Heimat jedoch ist die Welt des Blues, des Gospels, der amerikanischen Folkmusik. Im Gespräch mit FIDELITY erzählt er, warum er auf dem neuen Album House To House auf eine Begleitband verzichtete, warum auch kanadische Minenarbeiter den Blues haben – und welche Erfahrungen er im Gefängnis machte.

Interview mit Matt Andersen
Fotografie: John Fearnall/GoodNoise.ca, Sean Sisk, Scott Doubt

FIDELITY: Mr. Andersen, Bluesmusik wurde im Süden der USA geboren, aus dem Elend heraus, unter der brennenden Sonne am Mississippi, in einfachen Kneipen am Straßenrand. Das ist zwar sehr verkürzt und etwas klischeehaft, zugegeben, aber wie schafft man es als Junge aus Perth-Andover, einem Dorf im Nordosten Kanadas, in diese Soundkulisse einzutauchen?

Matt Andersen: Ach, manche Leute sagen auch, um Blues zu machen, muss man einen bestimmten Hut und eine Sonnenbrille tragen. (lacht) Aber Blues ist viel mehr. Es ist Musik zum Feiern. Eine universelle Musik, die universelle Gefühle hervorruft. Und die fand ich schon immer gut.

Sie standen bereits mit Legenden wie Bo Diddley, Buddy Guy oder Greg Allman auf der Bühne. Wann haben Sie gemerkt: Hey, jetzt bin ich Bluesmusiker?

Noch gar nicht. Ich traue mich noch immer nicht, mich Bluesmusiker zu nennen. Buddy Guy oder B.B. King. Das sind die Typen, die wirklich Blues gemacht haben.

Wie würden Sie sich denn selbst bezeichnen?

Echt schwierig. Vom Blues wurde ich definitiv beeinflusst, aber auch vom Folk und von Countrymusik.

Interview mit Matt Andersen

Auf Ihrem neuen Album House To House ist mit „Time For The Wicked To Rest“ zudem ein mitreißender Gospelsong. Sie sind schon recht Multitasking-fähig …

Es ist die Art, wie ich Musik verstehe. Wenn ich einen Song schreibe, will ich mich so wenig wie möglich einschränken. Das würde aber passieren, wenn ich sage: So, jetzt schreiben wir mal einen Bluessong.

Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, Sie wollten sich „nicht damit beschäftigen, so viel Sound wie möglich zu erzeugen“. Was heißt das?

Sich nicht darum kümmern zu müssen, welche Basslinie wann und wie laut eingebaut werden muss, damit der Song in jeder Facette strahlt. Das Lied selbst, nicht das Drumherum, sollte im Mittelpunkt stehen. Meine Gitarre, meine Stimme.

Wie schwer ist es, nur damit Melodien zu erschaffen?

Eine Gitarre in der Hand, eine Melodie auf den Lippen, so startet jeder Song. Die menschliche Stimme ist einzigartig, sie ist das charakteristischste Instrument der Welt. Der gleiche Ton kann von Sänger zu Sänger ganz verschieden und doch unverkennbar klingen. Künstler wie Ray Charles oder Van Morrison – die erkennt man in Sekunden an ihrer Stimme. Das ist so mit Instrumenten nicht möglich.

Wird das nächste Matt-Andersen-Album also vielleicht ein A-cappella-Album?

Dafür liebe ich meine Gitarre zu sehr.

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Auf dem neuen Album hatten Sie prominente Unterstützung, etwa von Chris Robison, wie im Booklet zu lesen ist. Der spielte einst mit den New York Dolls frühen Punk und tourte mit John Lennons Begleitband Elephant’s Memory …

(lacht laut) Sie sind gut informiert. Zu gut, fürchte ich. Das muss ein anderer Chris Robison sein. Meiner ist nicht mit John Lennon getourt, sondern hat mein neues Homestudio gebaut. (lacht) Chris ist ein alter Kumpel, ein kanadischer Musiker wie ich. Mit Punk hat der nichts am Hut.

Der Colin Linden, mit dem Sie „Coal Mining Blues“ geschrieben haben, ist aber der, der bereits mit Bob Dylan zusammengearbeitet hat?

Ja, da haben Sie richtig recherchiert! (lacht) Colin ist einer der Künstler, über die ich als Kind zum Blues gefunden habe. Ich schreibe gerne Songs mit anderen zusammen. Sonst klaue ich irgendwann meine eigenen Ideen.

„Coal Mining Blues“ ist einer Ihrer älteren Songs. Ein Stück über den Kohleabbau. Wie passt das zu einem Künstler aus Kanada?

Tatsächlich ist das ein wichtiger Teil der Geschichte meiner Heimat, von der Provinz New Brunswick, und von meinem Heimatdorf Perth-Andover. Die Minen konnte ich von dort sehen, wo wir gewohnt haben. Der Vater meiner Freundin zum Beispiel war Minenarbeiter, mein Onkel auch. Die kennen alle den Blues …

Lalabela Studios in New York City, The Sonic Temple in Halifax, Nebilus Records in Jamaika: In der Vergangenheit haben Sie in vielen Studios aufgenommen …

Meist in New York. In Jamaika war ich selbst zum Beispiel nie. Dort wurden nur bei früheren Albumaufnahmen die Bläser eingespielt.

House To House aber haben Sie nur 30 Meter von Ihrem Haus im eigenen Homestudio aufgenommen. Verändert sich mit der Studiowahl auch der Sound?

Klar. Versuch mal vor zehn Uhr morgens in einem gebuchten Studio, wenn die nächste Gruppe schon drängelt, von irgendetwas inspiriert zu werden. (lacht) Zu Hause kann ich ganz in Ruhe meinen Kaffee trinken, rüber ins Studio schlendern und die Songs aufnehmen, wann ich will. Das beeinflusst natürlich den Sound.

In Deutschland kennt man Sie auch von Ihrem Auftritt bei der Fernsehsendung Inas Nacht. Eine vollbesetzte Hafenkneipe, Menschen, die zusammen das Leben feiern: Ist das die ideale Kulisse für ein Matt-Andersen-Konzert?

In einem normalen Club reden die Leute wahrscheinlich weniger und hören besser zu. Dafür sind da aber auch weniger Seeleute … Shanty-Chor vorm Fenster war schon irre. Aber ja: ein kleiner Raum, in den nur 30 Leute passen – so haben wir alle mal angefangen.

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Bei dem Auftritt zeigte sich auch: Die Menschen hören gebannt zu. Wigald Boning, ein deutscher Comedian, war sichtlich den Tränen nahe.

Musikmachen ist für mich wie eine gute Konversation. Wenn Leute so auf die Geschichte, die ich ihnen gerade erzähle, reagieren, dann weiß ich: Die hören mir wirklich zu. Im besten Fall schaffe ich es natürlich, dass die Menschen nicht nur weinen, sondern später am Abend auch lachen.

Und das klappt?

Ich hoffe. Meine Konzerte sollen sich anfühlen wie ein Abend beim besten Freund. Man lacht zusammen, man weint zusammen. Solche Abende sind meine Wiedergutmachung für die vielen Kilometer auf der Straße und die furchtbaren Sandwiches, die ich schon an Tankstellen gegessen habe. (lacht)

Vor einigen Jahren haben Sie auch ein Konzert in einem Gefängnis gespielt. Was war das für ein Erlebnis?

An der US-Westküste, ja. Es war mein erster Besuch im Gefängnis. Das fühlte sich seltsam an, mulmig auch. Hinter einem schließen sich Türen, von denen man weiß: Die sollen nicht aufgehen. Das Publikum hatte teils seit 20 Jahren keine Livemusik gehört. Für einige war es das letzte Konzert ihres Lebens. Das macht etwas mit dir.

Johnny Cashs Gefängnis-Konzerte sind legendär. Wächst man als Musiker an solchen Auftritten?

Weniger als Musiker, eher als Mensch. Die Insassen, die zu meiner Show kommen wollten, mussten Bedingungen erfüllen. Unter anderem mussten sie ihre Schuld eingestanden haben. Einer sagte mir, dass er normalerweise nicht zu meiner Show gehen würde. Aber er wollte einfach ein Konzert hören, um zu spüren, wie es sich anfühlen könnte, mit seiner Familie so etwas nochmal zu erleben.

Sie spielen bis zu 200 Shows pro Jahr. Ist das nicht auch belastend?

Die Shows sind meine Belohnung für alles. War das Konzert gut, tanke ich so neue Energie für die nächsten Shows. Auf lange Abende in einer Bar verzichte ich dafür gern.

„Im Fitnessstudio werdet ihr diese Songs wahrscheinlich nicht hören, aber dafür auf einer Autofahrt nach Hause oder zum Start in den Tag am Küchentisch.“ So haben Sie Ihr Album auf Facebook angekündigt. Haben Sie immer so fixierte Bilder im Kopf, wenn Sie Musik schreiben?

Es hilft mir beim Schreiben. Wenn ich mir vorstelle, dass die Leute ein Album zum Entspannen und Herunterkommen hören, komme ich auch selbst in diese Stimmung. Und stelle mir vor, wie sollte dieser Song jetzt am besten klingen, wenn ich damit entspannt zu Hause am Küchentisch sitze.

Fest zu Ihrem Repertoire gehören auch Coversongs. Ihre Version von Bruce Springsteens „I’m On Fire“ wurde zum Millionenklick-Video auf Youtube. Und auf der neuen Platte spielen Sie „People Get Ready“ von Curtis Mayfield. Wie wählen Sie solche Lieder aus?

Am Anfang waren das häufig auch Lückenfüller für meine Konzerte. Denn so viele Songs hatte ich zu Beginn ja noch nicht geschrieben. Gleichzeitig sind es auch einfach Nummern, die für Abwechslung auf einer Platte und bei einem Konzert sorgen können.

Wurden Sie auch selbst schon gecovert?

Ja, mehrfach. Eine deutsche Band namens „Achtabahn“ hat mal eine verrückte Dance-Nummer aus meinem „Ain’t No Sunshine“-Cover gemacht. Dazu kommen die Leute, die auf Youtube meine Songs gecovert haben. Einige haben sogar Songzeilen von mir auf dem Unterarm tätowiert. Das ist natürlich irgendwie ein wenig schräg. Aber es freut mich, dass einigen Menschen meine Geschichten so viel bedeuten.

Interview mit Matt Andersen


Matt Andersen ist ein mehrfach ausgezeichneter kanadischer Sänger und Bluesgitarrist. In den vergangenen 20 Jahren stand er bereits mit Blues-Größen wie Bo Diddley, Buddy Guy und Gregg Allman auf der Bühne. Sein neues Werk House To House, aufgenommen in seinem neu errichteten Homestudio, ist das inzwischen zwölfte Album von Andersen – und der wohl bisher intimste Einblick in seine musikalische Welt. Der 46-Jährige verzichtete hier auf die Unterstützung einer Band und setzte ausschließlich auf die Soundmixtur aus Gesang und Gitarre.

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