Manley Stingray II
Der Manley Stingray II ist ein ebenso außergewöhnlicher wie alltagstauglicher Röhrenverstärker. Das leicht aus der Zeit gefallene Äußere sollte nicht über seinen feinsinnig-lebhaften Charakter hinwegtäuschen. Optisch etwas brachial, hat er durchaus auch Gefallen an der eleganten Nonchalance barocker Klangwelten.
In aller Kürze:
Der Manley Stingray II ist ein gut ausgestatteter und hervorragend klingender Allround-Röhrenvollverstärker, der trotz seiner moderaten Ausgangsleistung mit vielen Lautsprechern und Musikgenres zurechtkommt.
Schon beim Erstkontakt mit dem handlichen Röhrenverstärker wurde mir der Ursprung seiner Namensgebung klar: Die Ähnlichkeit mit einem Stachelrochen ist nicht von der Hand zu weisen. Besonders bei ausgeklappter Empfangsantenne der außergewöhnlichen Funkfernbedienung. Die im südkalifornischen Chino ansässigen Manley Laboratories, Inc. haben offensichtlich einen ausgeprägten Sinn für Humor, der auch in der Bedienungsanleitung ausgelebt wird. So ist unter „Specifications“ Folgendes zu lesen: „Kratzfaktor: Verwenden Sie Pennys unter den spitzen Füßen, um Kratzer im Rack zu vermeiden. Versuchen Sie es mit Quartern, wenn Sie zu den oberen Steuerklassen gehören. Am günstigsten sind Fünf-Cent-Münzen. Papiergeld funktioniert nicht so gut, Euro-Münzen dafür 1,54-mal besser.“
Es hat den Anschein, als ob die Entwickler die Verstärkerbestandteile ausschließlich nach technischen bzw. akustischen Aspekten positioniert und dann in ein entsprechend geformtes Gehäuse gehüllt haben: Form follows function. Herausgekommen ist dabei ein sechseckiger Ponton, ein Laboraufbauten ähnelndes Gebilde mit einzigartigem Charme. Auf der kurzen Hinterseite sind die Netzbuchse, ein harter Netzschalter sowie der „Rochenschwanz“ (die ausklappbare Antenne) installiert. Die schräg verlaufenden hinteren Flanken weisen links und rechts kanalgetrennt die Cinch-Eingänge 1 bis 3, den Subwoofer-Ausgang und den Record-Out samt Loop Return auf. Daneben befinden sich Sicherungen und die Lautsprecheranschlüsse, die alle gängigen Stecker und Kabelschuhe aufnehmen.
Die aufgesetzte Frontplatte trägt zwei Multifunktions-Dreh-/Druckknöpfe, von denen der linke für die Wahl der Eingänge und der rechte für die Lautstärkeregelung zuständig ist. Über verschiedene Schaltvorgänge lassen sich weitere Einstellungen bezüglich des Displays, der Fernbedienung und der Gain-Settings vornehmen. Letzteres halte ich für extrem sinnvoll, da sich mit dieser Funktion Pegelunterschiede von leisen Phonostufen zu lauteren Quellgeräten ausgleichen lassen. Auch diese – vorne abgerundeten und von LEDs umzingelten – Drehknöpfe sind von ordentlicher Qualität. Mittig sitzt ein blau hinterleuchteter Taster, mit dem Standby und ein Reset der Menüeinstellung geschaltet werden. Die vordere linke Flanke trägt den vierten Eingang in Form einer Mini-Klinkenbuchse zum Anschluss von modernem Gerät. An der rechten Flanke kann man Kopfhörer mittels 6,3-Millimeter-Klinkenstecker anschließen. Die anderen Ausgänge werden automatisch stummgeschaltet, und der gesamte Verstärkerzug versorgt nun auf highendige Weise den Kopfhörer.
Damit die Eingeweide des Rochens nicht dem Hitzetod erliegen, besteht die Gehäuseunterseite aus stabilem Lochblech, das eine großzügige Belüftung und Wärmeabfuhr gewährleistet. Die sägeblattähnlichen Schnittkanten des Lochblechs hätten fingerfreundlicher gestaltet werden können, aber irgendwie passt das zum Industrial-Look des Stingray II.
Die Oberfläche des Gehäuses trägt einen im Betrieb sanft glimmenden Röhrenwald, der in Hügel aus großen Speicherkondensatoren und Transformatoren gerahmt ist. Etwas versteckt hinter diesen befinden sich Kippschalter, mit denen von Trioden- auf Ultralinear-Modus (18 W/32 W) gewechselt werden kann. Die Ruhestromeinstellung der Röhren kann über Kontaktpunkte und Trimmpotentiometer auf der Gehäuseoberfläche vorgenommen werden. Das funktioniert spielerisch einfach und ermöglicht den Röhrenaustausch, ohne das Gerät öffnen zu müssen oder gar eine Fachwerkstatt zu bemühen.
Vier an den hinteren Gehäuseecken angebrachten Pylone, deren untere Auflageflächen sich zu Spikes verjüngen, bringen den Amp auf den notwendigen Abstand zur Standfläche. Für den Fall, dass man nicht dem oben erwähnten Vorschlag des Herstellers folgen möchte, sind Untersetzer zur Schonung empfindlicher Oberflächen beigefügt.
Die asymmetrische Anordnung der Gerätefüße ist auf den ersten Blick etwas befremdlich, da der vordere Verstärkerteil frei auskragt, es entspricht jedoch der Lastverteilung – hinten befinden sich die schweren Trafos. Das Stahlblechgehäuse ist mit schwarzem Lack beschichtet. Der leichte Metallic-Effekt passt hervorragend zum Stingray II. Die im Lieferumfang befindliche Fernbedienung, deren solides Stahlblechgehäuse vom Kaliber einer Baukransteuerung mich besonders erfreut, verdient ihren Namen. Dank ihrer alternativ zum Infrarotmodus verwendbaren Funkübertragung konnte ich von der entferntesten Gartenecke den im Wohnzimmer platzierten Amp in allen Funktionen steuern. Im Winter ist das von eher untergeordneter Bedeutung, aber Versuch macht klug …
EveAnna Manley, Geschäftsführerin der Manley Laboratories, zieht die EL84 aus klanglichen Aspekten vielen anderen Röhrentypen vor. Erreicht wird eine praxistaugliche Leistung von 32 Watt durch vier Röhren je Kanal in Push-Pull-Konfiguration. Diese lässt sich per Taster in eine Triodenschaltung wandeln, mit der 18 Watt erzielt werden. Welcher Betriebsart man den Vorzug gibt, ist Geschmackssache und hängt auch mit den angeschlossenen Lautsprechern und der geforderten Lautstärke zusammen. Im Gegensatz zu anderen Röhrenverstärkern, die Abgriffe für verschiedene Lautsprecherimpedanzen anbieten, sind die in Eigenproduktion gefertigten Übertrager auf eine Impedanz von fünf Ohm optimiert. Erfahrungen hätten gezeigt, dass dieser Wert für die meisten Lautsprecher geeignet sei, so der Hersteller.
Dass „The Manley Tube Queen“ mit ihren Aussagen richtig liegt, sollte der Hörtest zeigen. Der akustische Erstkontakt mit dem Stingray II war jedoch ambivalent. Seine enorme Transparenz und Schnelligkeit waren offensichtlich, mir fehlte es nur an räumlicher Darstellung und Tieftonfundament. Mein Verdacht, dass der von vielen Transporten gebeutelte (Stichwort: Messe- und Testmuster) und unterkühlte Stachelrochen Zeit zur Akklimatisation brauchte, bestätigte sich. Von Tag zu Tag milderte sich seine leichte Präsenzbetonung, der Tieftonbereich erwachte aus seinem Dornröschenschlaf, peu à peu stellte sich eine extrem plastische Räumlichkeit ein. Nachdem ich mit dem zum Lieferumfang gehörenden Multimeter die Bias-Einstellung der Röhren geprüft und nachjustiert hatte (der Ruhestrom einer Röhre war leicht aus dem Ruder gelaufen), war ich schließlich vollauf zufrieden und konnte dem Dasyatis auf den Zahn, oder besser, auf den Stachel fühlen.
Begonnen habe ich die intensiveren Musiksessions im Ultralinear-Modus des Verstärkers. Meinen Audio Physic Spark, Kompaktboxen mit mittlerem Wirkungsgrad und nicht linearisiertem Impedanzverlauf, verhalf das zu griffigem Klang und ordentlich Punch in den unteren Lagen. Der Stingray spielt auf eine unmittelbare, den Hörer direkt einnehmende Weise – das offene, vollkommen losgelöste Klangbild prägt den bezaubernden Charakter dieses Röhrenverstärkers. Die virtuelle Bühne wird vom Tonträger vorgegeben, der Verstärker setzt eine vermeintlich originalgetreue Illusion um. So wähne ich mich bei Jazz-Combos in die dichte Atmosphäre von kleinen Musikclubs versetzt, bei großen Orchesteraufnahmen erfahre ich das Volumen des Konzertsaals aus einer realistischen Distanz. Dynamisch und gerade feindynamisch lässt der Stingray nichts anbrennen, tonal ist er natürlich und detailverliebt.
Trotz der genauen und stabilen Positionierung der Schallereignisse und der sauberen Differenzierung aller Klangfarben schafft es der Stingray, die Musik in einem atmenden, pulsierenden Gesamtkontext darzustellen. Das Klischee des Röhrensounds mit saturierter, sanfter Tonalität und weichen Rhythmusverschleifungen, oft beschrieben als „warmer Klang“, trifft hier nun ganz und gar nicht zu.
Schon nach den ersten Umdrehungen der Hybrid-SACD Handel’s Memories war offensichtlich, dass der Stingray mein Faible für Alte Musik teilt. Noch nie hatte ich diese Aufnahme des Ensembles Al Ayre Espanol unter Eduardo López Banzo mit Concerti grossi aus Händels Opus 6 so lebendig, frisch und mitreißend gehört. Die natürlichen, in keiner Weise geschönten Klangfarben, dazu feinste Dynamikabstufungen und die in allen Dimensionen gestaffelte Ortbarkeit der Instrumente begeisterten mich dermaßen, dass ich beide CDs komplett durchhörte. Das gelang besonders gut im Trioden-Modus und mit den VCF-Gerätefüßen von Audio Physic; dank ihrer Unterstützung konnte noch das letzte Quäntchen Plaisir hinzufügt werden. So dargeboten klingt Alte Musik gleich doppelt zeitlos!
Im Gespräch mit Bernd Hömke, Geschäftsführer des Input-Audio-Vertriebs, stellte ich unsere gemeinsame Leidenschaft für Jazz/Fusionrock der 70er Jahre fest. Hömke erwähnte, dass Stanley Clarkes Journey To Love eine seiner Testscheiben ist. Diese auch in meinem Fundus befindliche Schallplatte landete unmittelbar auf dem Plattenteller. Auf „Silly Putty“ stampft und puckert der Slapbass mit einer Autorität, die eine Frage nach mehr Ausgangsleistung nicht aufkommen lässt. Trioden- oder Ultralinear-Modus? Geschmackssache – etwas feinere Klangfarben oder mehr Punch im Austausch. Vor extra watthungrigen Boxenmonstern mit exotischem Impedanz- und Phasenverlauf sollte man den Manley Stingray II wahrscheinlich aber verschonen. In meinem 24 Quadratmeter großen Hörraum kam ich nie an die Leistungsgrenze des Verstärkers.
Info
Röhren-Vollverstärker Manley Stingray II
Konzept: Röhren-Vollverstärker mit striktem Dual-Mono-Aufbau
Eingänge: 3 x Cinch, 1 x Stereo-Miniklinke, 1 x „Tape Loop“-Recorder-Eingang (abschaltbar)
Ausgänge: 1 x Record-Out (Fixpegel-Ausgang), 1 x Subwoofer-Out (geregelter Ausgang), Single-Wire-Lautsprecherklemmen, 6,3-mm-Kopfhörerausgang
Röhrenbestückung: 2 x 12AT7EH, 2 x 12BH7EH, 8 x EL84
Ausgangsleistung (1,5 % THD@1 kHz an 5 Ω): 2 x 32 W (Ultralinear), 2 x 18 W (Triode)
Frequenzgang (−1 dB): 15 Hz bis 58 kHz
Besonderheiten: Ultralinear/Triode schaltbar, Eingangspegel individuell programmierbar, Sleep-Timer
Lieferumfang: Funkfernbedienung (und was für eine!), Stromkabel, Multimeter (für Bias-Einstellung)
Leistungsaufnahme (Standby/Leerlauf/Betrieb max.): 6/198/300 W
Maße (B/H/T): 43/19/35 cm
Gewicht: 17 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: um 10 000 €
Kontakt
input audio HiFi-Vertrieb
Ofeld 15
24214 Gettorf
Telefon +49 4346 600601
b.hoemke@inputaudio.de
Mitspieler
Plattenspieler: TW Acustic Raven GT2
Tonarm: Raven 10.5“
Clearaudio Concerto V2
Electrocompaniet EMC 1 MK V
Verstärker: Electrocompaniet ECP 2 MK II, Electrocompaniet EC 4.8, Electrocompaniet EC AW250R
Lautsprecher: Audio Physic Spark auf Solidsteel SS-5
Stromversorgung, Kabel: IsoTek Aquarius, AudioQuest Yukon, Zavfino Gold Rush, Kimber 8TC, WBT
Zubehör: Audio Physic VCF V Magnetic plus, Lehmannaudio Stage 1, TW Turntable Mat, bFly Octopus, Nessie Vinylmaster