Zum 75. Geburtstag von Manfred Mann
König der Cover-Versionen Pionier des Synthesizers. Solist mit jazzigem Drive. Der Keyboarder Manfred Mann stand zwar nie im Vordergrund, prägte aber doch die Rockgeschichte. Happy birthday, Manny!
Eigentlich ist er ja ein Jazzer, der Manfred Lubowitz aus Südafrika. Am Klavier begann er mit Blues und Boogie, später jammte er in den Jazzclubs von Jo’burg. Dann ging er nach England, gab sich einen neuen Namen (nach dem Jazzdrummer Shelly Manne) und gründete eine Bluesband. Auf der ersten Platte als Manfred Mann (1964) dominierten noch Blues- und Souljazz-Titel wie „Smokestack Lightning“ und „Sack O’Woe“ – komplett mit Bluesharp und Saxofon. Erfolgreich war die Formation aber mit eher schlichteren Beatsongs: „My Name Is Jack“ und „Fox On Th e Run“ gehörten zu ihren Top-Ten-Erfolgen. Manfred Mann gesteht: „Die Sixties sind keine Epoche, an der ich besonders hänge. Wir schafften es nicht, mit unserem Blues-Zeug erfolgreich zu sein – dabei waren wir eine richtig gute Bluesband auf der Bühne. Die Songs, an die sich die Leute noch erinnern, sind eher die Leichtgewichte wie ‚Do Wah Diddy Diddy‘ und ‚Mighty Quinn‘.“ „Mighty Quinn“ – einer von mehreren Bob-Dylan- Songs, denen Manfred Mann seinen eigenen Sound und Schliff verpasst hat. Ja: Der Südafrikaner ist der ungekrönte König der Coverversionen. Allerdings mag er das Wort „Cover“ nicht – denn was er mit den Vorlagen anstellt, hat mit bloßem „Nachspielen“ nichts zu tun. Manfred Manns Fassungen feiern die Melodie, schenken dem Song Atmosphäre, glänzen mit clever arrangierten Details. „Ich bin kein Stückeschreiber“, sagt er. „Vor langer Zeit habe ich deshalb beschlossen, lieber die Songs von anderen auf meine Weise zu spielen. Sie erhielten den Manfred-Mann-Sound.“ Ein Sound, der im Ohr bleibt: Die Bearbeitungen von Bruce Springsteens „Spirits In The Night“ (1975), „Blinded By The Light“ (1976) und „For You“ (1980) sind kleine Meisterwerke à la Mann. Ebenso seine Adaptionen der Songs von Joan Armatrading, Bob Dylan, Randy Newman, Sting, Ian Thomas, Gary Wright und anderen. Das war die große Zeit der Earth Band: Zehn Studioalben entstanden zwischen 1972 und 1980. Eher ungeplant entwickelte sich Manfred Manns 70er-Jahre- Formation zu einer der interessantesten Erscheinungen der Progrock-Ära – trotz eines Wechsels des Leadsängers 1975. Der Mann im Hintergrund garantierte die Kontinuität: der Mann am Klavier – oder besser: am Moog- Synthesizer. Denn Manfred Mann war der Moog-Pionier der Rockszene. Fürs erste Moog-Solo auf einer Platte von Emerson Lake & Palmer lieh Mann sein Instrument her, fürs erste Moog-Solo bei Uriah Heep griff er sogar selbst in die Tasten. „Aus irgendeinem Grund fand ich auf dem Mini Moog einen persönlichen Ton. Der Mini Moog gab dir sofortige körperliche Kontrolle über den Sound.“
Vor allem beim Earth-Band-Album Nummer vier, Solar Fire (Petbrook MFMCD 1, 1973), horchten die Progrock-Fans auf. Hier war alles vorhanden, was das Progger-Herz begehrt: ein Albumkonzept, Klassik- Bezüge (Holsts Planeten), Klangerweiterungen (Chöre, Mellotron, Posaune …), ein Longtrack („Father Of Day, Father Of Night“), religiös-kosmische Bezüge, experimentell-psychedelische Momente, ausgedehnte Improvisationen, zwei reine Instrumentalstücke, viel Binnenstruktur in den Songs, Neben- und Schlussthemen usw. Von heute aus hört man darin auch Einflüsse von Uriah Heep oder vom Mahavishnu Orchestra. In seinen Synthesizer-Soli (vier an der Zahl) erinnert Manfred Mann fast an einen Jazzbläser. Übrigens: Das Album enthält kein einziges Motiv aus Holsts Planeten! (Wohl aber ein wenig Debussy.) Zwei Jahre später, das Earth-Band-Album Nummer sechs: Nightingales And Bombers (Petbrook MFMCD 8). Gleich die Hälft e der Stücke sind hier Instrumentals, auf denen Gitarre und Synthesizer gleichberechtigt agieren. Manfred Manns Spiel mit der Elektronik besitzt so viele expressive Details, das es manchmal fast nicht von der Gitarre zu unterscheiden ist. „Ich habe nie ein
Solo auch nur eine Sekunde lang nach Noten gespielt“, sagt der ehemalige Jazzer. „Sie kommen alle aus der Improvisation. Ich weiß vorher nie, was ich spielen werde.“ Der wichtigste Song auf dem Album: die Springsteen- Adaption „Spirits In The Night“ mit Streichquintett . Übrigens: Der Albumtitel bezieht sich auf die Feldaufnahme eines Ornithologen aus dem Zweiten Weltkrieg – man kann sie hören am Schluss des letzten Stücks. Chance (Petbrook RME CD9), das Earth-Band- Album Nummer zehn, gibt die Ouvertüre zu den achtziger Jahren. Die elektronische Klanglandschaft ist üppiger geworden, „the Mann“ experimentiert mit digitalen Drum-Machines und Sequencern und Pop- Sounds. Mehr als ein Jahr dauert die Produktion, die Stücke durchlaufen viele Metamorphosen, die Band besteht vorübergehend nur noch aus drei Personen, mehrere Gitarristen helfen aus, auch Barbara Thompson am Saxofon kommt zum Zug, etliche Sänger sind beteiligt, einmal hören wir sogar MM persönlich. Und am Ende stehen da einige der gelungensten Ohrwürmer der Earth- Band-Geschichte. „Lies“, „On The Run“, „For You“: Selten haben Keyboard-Akkorde so stimmungsvoll gepocht. „Stranded“ ist ein faszinierendes kleines Hördrama, „Fritz The Blank“ ein humorvoller Synthesizer-Instrumental. Übrigens: Manfred Mann schrieb hier ausnahmsweise Liner Notes – „weil ich sie auf den alten Jazzalben immer mochte“. Eigentlich ist er ja ein Jazzer.