Langzeitgefährte mit Charakter
Magnat greift beim MA 900 zu bewährten Zutaten inklusive Phono, DAC und Bluetooth und vereint sie zum verführerischen Gesamtkunstwerk.
So und nicht anders muss ein standesgemäßer Vollverstärker aussehen, wenn man ihn nicht mit einer Vorstufe oder einer englischen Mimose verwechseln soll: schwarz, breit und bullig! Im klassischen Rastermaß von 43 Zentimetern kauert der Magnat MA 900 auf seinem Platz und gemahnt im Ruhezustand an eine kraftvolle Bulldogge, kurz bevor der Briefträger klingelt. Auf Knopfdruck erwecken ihn klackende Relais zum Leben … schon nach wenigen Sekunden ist das Biest erwacht und will beschäftigt werden.
Auch auf den zweiten Blick bestätigt der MA 900 klassische Argumente mit einem zentralen, wuchtigen Lautstärkeregler. Darunter liegen Quellenwahl und Balance. Flankierend gibt’s außerdem drei Klangregler zum Verbiegen des Frequenzgangs. Puristen umgehen das Klangregelwerk auf Knopfdruck und genießen lieber pur. Durch ein Sichtfenster erspäht man zwei beleuchtete ECC81-Vorstufenröhren, die Teil des Hybridkonzepts sind. Links des Pegelstellers zeigt ein zweizeiliges Display den gewählten Eingang sowie die anliegende Abtastrate an.
Anschlussfreudig
So logisch und selbsterklärend wie die Front ist auch die Rückseite des MA 900 gegliedert. Anschluss findet sich an fünf frei benennbaren Hochpegeleingängen oder vier digitalen S/PDIF-Eingängen (2 x optisch, 2 x koaxial). Eine Funkverbindung via Bluetooth ist ebenfalls möglich. Raus geht’s über ein Paar stabile Klemmen für die Lautsprecher oder über den ungeregelten Rekorderausgang. Einen geregelten Line-Ausgang für den Anschluss eines Subwoofers gibt es nicht. Die Phonostufe gehört längst nicht mehr zur Grundausstattung eines Vollverstärkers. Dass man beim MA 900 sogar zwischen MM- und MC-Entzerrung wählen kann, macht ihn für Analogfreunde doppelt interessant.
Mit gut 200 Watt an 4 Ohm steht die transistorbestückte Leistungsabteilung gut im Futter und dürfte auch kritische Schallwandler adäquat versorgen. Optisch würde ein Vintage-Paar Magnat All-Ribbon 8 perfekt zu den glühenden Röhren passen, aber auch sehr moderne Lautsprecher werden sich gut mit der gebürsteten Alufront vertragen.
Der Magnat MA 900 im Hörraum
Nostalgischen Vintage-Charme verbreitet bei mir die Kombi aus dem Magnat-Hybriden und Tannoys Autograph Mini. Auf adäquaten Tiefgang muss ich damit zwar verzichten, aber das tut der Gänsehaut während einer Runde Etta James via Spotify keinen Abbruch. Die kleinen Vierzöller wollen dank sehr hochwertiger Beschaltung überschwänglich toben, an der straffen Leine des ebenso quirlig-drahtigen wie kräftigen Magnat spielen sie wie junge Hunde in der Pfütze und beweisen einmal mehr, dass sie mit einem austarierten Kompromiss aus strikter Kontrolle und lässiger Freiheit zu Erstaunlichem fähig sind. Sie können sogar mit den großen Hunden spielen, ohne gleich gefressen zu werden.
Der Magnat-Hybrid mit seinen zwei ECC81-Doppeltrioden in der Vor- und kräftigen Transistoren in der Endstufe liefert eine rauchige, überraschend bodenständige Interpretation von I’d Rather Go Blind und erzeugt trotz gemäßigter Lautstärke das erwünschte Kribbeln im Nacken. Die räumliche Abbildung gelingt frappierend transparent und wird weit nach hinten ausgeleuchtet. Nach zwei Durchgängen sitzt der Ohrwurm, es wird Zeit für den Umzug Richtung Musikzimmer zum Plattenspieler und den Audio Physic Seemon. Erster Durchgang: Ortofon Quintet Red in der Headshell des Acoustic Solid Vintage. Schon mit dem Einsteiger-MC unterstreicht der MA 900, dass die Phonostufe kein reines Gimmick, sondern ernst gemeint ist. Ms. James lässt sich von der Beziehungstragödie jetzt nicht mehr ganz so emotional mitnehmen wie zuvor. Sie zeigt analog ihre strahlenden Zähne, zuckt mit der Braue und denkt sich: „Pah, dann geh doch!“
Phono-Freund
Bevor ich mich weiter in der Physiognomie nicht anwesender Blueslegenden verliere, wechsle ich zu meinem Clearaudio Charisma V2 und damit von MC auf MM. Chris Barnes vermag mit seinem Gesang – zweieinhalb Oktaven tiefer und etwas kehliger – ein ähnlich breites Spektrum an Emotionen auszudrücken wie Etta James zuvor. Der AC/DC-Klassiker „T.N.T.“ in der Version der Band Six Feet Under massiert sich tief in den Flokati des Hörraums, während Meister Barnes und seine Truppe mit staubigen Stiefeln über mich hinwegtrampeln. Hier unterstreicht der MA 900 seine vollmundige, warme Abstimmung, die den Phonoeingang zu einem ausgezeichneten Langzeitgefährten für Liebhaber bodenständiger Musik macht. Etwas luftiger und transparenter tönt er, werden Signale digital per Koaxialeingang zugeführt.
Digital sogar noch besser
Swarm von Max Cooper erzeugt mittels Klangschalensounds, Tribal-Grooves und trockener Percussion fein modulierte Stimmungsbögen. Transparent und mit Charme im Hochton behält der MA 900 seinen federnden, swingenden Groove bei, der selbst experimentellen Elektronikklängen eine gewisse Tanzbarkeit verleiht. Digital angesteuert entwickelt der Verstärker eine Prise mehr Schmiss, geht schlanker an stolpernde Basslinien heran und gewinnt an Beweglichkeit.
Davon profitieren nicht nur elektronische Klänge. Auch der reduzierte Blues des australischen Duos Josh Teskey/Ash Grunwald legt nahe, dass Melbourne näher an den Sümpfen Louisianas liegt, als man gemeinhin annimmt. Da wuseln Slide-Gitarren um Blueslicks, stampfen Chöre einen hypnotischen Beat oder jubilieren und lobpreisen, was die Lungen hergeben. Im direkten Vergleich zwischen Vinyl und Stream gebe ich hier überraschenderweise dem Digitalen den Vorzug. Was kein Manko der Phonosektion ist, sondern eher die Klasse der Digitalabteilung unterstreicht.
Fazit
Ich kann es drehen, wie ich will: Gravierende Schwächen kann ich auch nach beinahe zwei Monaten mit dem MA 900 nicht entdecken. Der Phonoeingang kommt dank seiner warmen Prägung auch mit günstigen Plattenspielern zurecht und gewinnt mit hochwertigen Abnehmern deutlich dazu. Auch über Bluetooth behält der Integrierte seinen kernigen, erdigen und ehrlichen Charakter bei. Mein Highlight war letztlich tatsächlich der Digitaleingang: Mit Foobar vom Laptop als Zuspieler strafft der Magnat hörbar die Saiten, holt tief Luft und marschiert unaufhaltsam los.
Was mich erneut zum Staunen bringt, ist die Tatsache, für wie wenig Geld man mittlerweile einen wirklich hochwertigen, top verarbeiteten Vollverstärker bekommt, der überdies mit exklusiven Extras wie Phono- und Röhrenvorstufe, Bluetooth und umfangreichen Digitalanschlüssen bestückt ist. Zu einem verlässlichen Dauergefährten macht den MA 900 allerdings erst sein hervorragender Klang – den hat nicht jeder Verstärker dieser Preisklasse zu bieten. Die bei Magnat wollen allen Ernstes nur knapp zwölfhundert Euro dafür. Ich find’s super, denn dann bleibt mehr Geld für Platten über.
Wir meinen …
Magnat ist mit dem MA 900 ein echtes Kunstwerk gelungen – gutaussehend, hervorragend ausgestattet und mit einem superben Klang gesegnet. Sowohl analog wie digital beweist der unkomplizierte, kraftvolle Hybridverstärker seine Klasse. Und das zu einem echten Superpreis!
Technische Daten
Konzept: Vollverstärker mit Röhrenvorstufe und Transistorendstufe
Leistung: 200 W (4 Ω)
Frequenzumfang: 20 Hz bis 20 kHz
Eingänge digital: 4 x S/PDIF (je 2 x koaxial und optisch), Bluetooth 5.0 aptX-HD
Abtastfrequenzen: 44,1 bis 192 kHz/24 bit
Eingänge analog: 5 x Hochpegel (Cinch), Phono MM/MC (Cinch), frontseitige Klinkenbuchse (3,5 mm)
Ausgänge: Lautsprecher, fixed Line-Out (Cinch), Kopfhörer (6,3-mm-Klinke)
Besonderheiten: Röhrenvorstufe, Phono MM/MC, DAC, Eingänge individuell benennbar, Fernbedienung
Maße: (B/H/T): 43/16/31 cm
Gewicht: 12 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: um 1199 €
Kontakt
Magnat Audio Produkte GmbH
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