Lyric Audio PS 10 – Das gewisse Extra
Schlüchtern, Heimat von Lyric Audio, werden die wenigsten geografisch verorten können. Nach dem Hinweis, dass durch diesen Ort die Kinzig fließt und selbige in Sinntal-Sterbfritz entspringt, wird man sich endgültig in einem Loriot-Sketch wähnen.
Nicht nur die Kinzig, auch die bemerkenswerten Geräte von Lyric Audio haben ihren Ursprung im hessischen Schlüchtern. Stefan Noll und Thomas Deyerling haben dort ihre Manufaktur angesiedelt, in der sie eine überschaubare Anzahl allerfeinster Röhrenverstärker entwickeln und bauen. Ihr Portfolio beinhaltet neben drei Vollverstärkern mit unterschiedlichen Schaltungstopologien (Single-Ended Class A, Parallel Single-Ended Class A und Class AB) und diversen Kabeln der Goldwire-Serie (Cinch-, Lautsprecher- und Netzkabel sind verfügbar) den Phonovorverstärker PS 10, um den es im Folgenden gehen soll.
Dessen Design lehnt sich an dem schlicht-eleganten Auftritt der Vollverstärker (Ti 100 Mk II Test hier) an; er ist sowohl in Schwarz als auch in Silber erhältlich und gibt sich so unaufdringlich, dass er auch in einer fremden Umgebung nicht ungebührlich auffällt. Das Gehäuse des eigentlichen Verstärkers PS 10 macht mit seiner Aluminiumverkleidung einen hervorragend verarbeiteten Eindruck, während das separate Netzteil T1 mit einem einfacheren Blechkleid vorliebnehmen muss. Das ist nicht weiter tragisch, denn der so verpackte Trafo hat keinerlei Bedienungselemente und kann sozusagen „versteckt“ untergebracht werden.
Es mutet auf den ersten Blick etwas seltsam an, dass das Netzkabel im PS 10 und nicht im T1 eingesteckt wird. Der Netzstrom wird von der PS 10 über ein beeindruckend dickes 7-poliges und augenscheinlich gut geschirmtes Kabel in den T1 geleitet, dort gewandelt und auf dem gleichen Weg zurückgereicht. Das bedeutet, dass der Transformator mit seinen unvermeidlichen Streufeldern möglichst weit weg von den empfindlichen Phonosignalen aufgestellt werden kann. Zum anderen ist es praktischer, den Ein/Aus-Schalter auf der Frontplatte des eigentlichen Verstärkers anzubringen. Schließlich werden Röhrengeräte typischerweise nicht rund um die Uhr am Netz gelassen. Da Phonovorverstärker auch noch möglichst nahe an einem Plattenspieler aufgestellt werden sollten, ist dieser wichtige Schalter ständig in Griffweite.
Unter dem Netzschalter befindet sich nur noch ein weiterer, gleich großer Druckknopf mit der Aufschrift „Input A/B“, mit dem zwischen den beiden Eingängen gewechselt werden kann. „Input A“ ist für den Betrieb von Moving-Coil(MC)-Systemen vorgesehen, während „Input B“ Moving-Magnet(MM)-Tonabnehmern vorbehalten ist. Für beide Eingänge stehen zwei separate und sehr hochwertige Erdungsklemmen zur Verfügung. Die für den Betrieb leiser MCs notwendige Vor-Vorverstärkung geschieht mittels speziell für Lyric Audio gefertigten Übertragern, die ein Übersetzungsverhältnis von eins zu acht bieten. Zwei Drehschalter auf der Rückseite ermöglichen es, eine Impedanzanpassung vorzunehmen. Als Werte stehen praxisgerechte 50 Ω, 100 Ω, 250 Ω, 500 Ω und 1000 Ω zur Verfügung. Mit der beachtlichen 67-dB-Gesamtverstärkung werden auch „leise“ MCs adäquat verstärkt. Verzichtet man auf die MC-Tauglichkeit, spart man fast 1200 Euro und bekommt dafür die Möglichkeit einer kapazitiven Anpassung, die für MM- und MI-Systeme wichtig ist. Neben den vorhandenen und erfreulich geringen 100 pF sind dann auch noch 200 pF und 320 pF per Drehschalter verfügbar. Auch wenn es um Impedanz geht, können Kundenwünsche berücksichtigt werden. Stefan Noll berichtete von einem Kunden, der sich neben den standardmäßigen angebotenen 50 kΩ noch 10 kΩ, 4,7 kΩ und 1 kΩ wünschte. Das kann für den Betrieb einiger High-Output-MCs relevant sein. Oder wie wäre es mit 15 kΩ, die viele Fans der legendären Decca-Tonabnehmer bevorzugen? Lyric Audio ist durchaus in der Lage, auch exotischere Wünsche bezüglich der Anschlussmodalitäten zu erfüllen.
In jedem Fall erfolgt die zweistufige Verstärkung pro Kanal über je zwei der weit verbreiteten Doppeltrioden 12AX7 (ECC83). Zwischen diesen beiden Verstärkerstufen ist die passive RIAA-Entzerrung angeordnet. Als Ausgangstreiber dient für beide Kanäle eine weitere Doppeltriode des Typs 12AU7 (ECC82). Dem Vernehmen nach ist die Schaltung beachtlich übersteuerungsfest, sodass auch extrem laute Tonabnehmer verzerrungsarm verstärkt werden können. Besonders wichtig ist dem Entwickler Stefan Noll, dass die jeweils in einem PS 10 zum Einsatz kommenden Röhren streng selektiert und vor allem auch zueinander „gematcht“ werden. Er berichtet sehr anschaulich über das unterschiedliche Rauschverhalten bereits vorselektierter Röhren und erreicht durch das paarweise Abgleichen („Matchen“), dass das unvermeidliche Eigenrauschen der Röhren die gleiche spektrale Zusammensetzung hat. Gemeint ist damit, „dass das Rauschen auf beiden Kanälen gleich klingt“. Doch keine Sorge: In puncto Rauschfreiheit ist die PS 10 ohne Fehl und Tadel, und sie wird hier nur von wirklich sehr guten Transistorgeräten übertroffen, der Musikgenuss ist in keinem Fall beeinträchtigt. Das kommt nicht von ungefähr: Elektronik und Elektrik sind mit der notwendigen Sorgfalt im Gehäuse piekfein untergebracht, und es bietet sich bezüglich der Konstruktion, auch während des Betriebs, nicht der kleinste Anlass zu Kritik. Das gilt ebenso für die deutschsprachige Bedienungsanleitung, die keinerlei Fragen offenlässt.
Bleibt bei der hier gebotenen Perfektion vielleicht die Musik auf der Strecke? Keineswegs! Sie ist die Grundvoraussetzung für einen entspannten und zugleich anregenden Musikgenuss. Wie immer beginne ich die Hörrunde mit Manger – Musik von einem anderen Stern. Ich habe mir diese CD immer noch nicht leid gehört, obwohl sie seit vielen Jahren mein treuer Begleiter ist. Das ist wortwörtlich zu verstehen, denn ich nehme sie auch immer bei aushäusigen Klangforschungen mit. Man braucht schließlich einen bekannten und verlässlichen Standard, bevor man sein Urteil mit unbekannten Geräten in einer unbekannten Umgebung fällt. Diesen Test besteht die Lyric Audio PS 10 – wie von mir auch nicht anders erwartet – mit Bravour. Es lassen sich keine Hinweise auf tonale Ungenauigkeiten oder den Versuch von Effekthascherei erkennen. Völlig locker und selbstverständlich wird zum Beispiel das Orchester im ersten Satz der Sinfonie Nr. 67 von Joseph Haydn in einen auffallend großen Raum gestellt, die einen zumindest das Leipziger Gewandhaus erahnen lassen, soweit das überhaupt in meinem 20 Quadratmeter großen Hörraum möglich ist. Metaphorisch gesprochen scheint der PS 10 der Musik mehr Luft zum Atmen zu gestatten, ohne dass die Präzision der räumlichen Wiedergabe verwaschen wirkt.
Seit gefühlten Ewigkeiten kommen mal wieder die Dances Anciennes De Hongrie Et De Transylvanie mit dem Clemencic Consort auf den Teller. Die teilweise – nach heutigen Maßstäben – etwas „schräg“ klingenden alten Instrumente werden mit einer überdurchschnittlichen Farbenpracht wiedergegeben. Dazu gesellt sich der Eindruck, dass um einzelne Instrumente ein größerer Raum wahrzunehmen ist, und so wird das Hören dieser Aufnahme zu einem besonderen Genuss. Hier ist es, das gewisse Extra, das schnödes HiFi von wirklich gut gemachtem High End trennt.
Nach diesen Ausflügen in die E-Musik nun noch ein Abstecher in die Untiefen der U-Musik – wir kommen von alten zu modernen Instrumenten. Art Of Noise, The Visible Silence mit dem Stück „Paranoimia“ muss es sein. Auch bei dem beachtlichen Geschehen im Bassbereich kommt die PS 10 nicht in Verlegenheit. Es macht einfach nur Spaß, diese elektronische Musik über scheinbar antiquierte Röhrenelektrik zu hören – der musikalische Fluss offenbart, dass hier eine wunderbare Symbiose eingegangen wird.
Die Lyric Audio PS 10 stellt somit eine der wenigen bezahlbaren, voll MC-tauglichen Röhren-Phonostufen dar, die nicht nur jedem Tonabnehmer beste Bedingungen, sondern auch weit überdurchschnittlich viel Musik quasi als Extra obendrauf zu einem fairen Preis bietet. Mein Glückwunsch nach Schlüchtern!
Wir meinen
Der deutsche Hersteller Lyric Audio bietet mit dem Röhren-Phonovorverstärker PS 10 nicht nur eine vorzügliche Verarbeitung und zwei getrennte Eingänge für MM und MC, sondern auch unglaublich viel Musik fürs Geld.
Info
Phonovorverstärker Lyric Audio PS 10
Konzept: Röhren-Phonovorverstärker mit zwei unabhängigen Eingängen (wahlweise 2 x MM oder 1 x MM und 1 x MC)
Röhrenbestückung: 4 x 12AX7 (ECC83), 1 x 12AU7 (ECC82)
MM-Eingang: 51 dB (Verstärkungsfaktor); 50 kΩ (Eingangsimpedanz); 100 pF (Eingangskapazität)
MC-Eingang: 67 dB (Verstärkungsfaktor); 50 Ω, 100 Ω, 250 Ω, 500 Ω, 1000 Ω (wählbare Eingangsimpedanzen)
Farben: Schwarz oder Silber
Gewicht PS 10: 6 kg
Maße PS 10 (B/H/T): 22/10/37 cm
Gewicht Netzteil T1: 1,8 kg
Maße Netzteil T1 (B/H/T): 13/9/20 cm
Garantiezeit: mechanische und elektronische Bauteile 3 Jahre, Röhren 2 Jahre
Preis: MC-Version um 3980 €, MM-Version um 2800 €
Kontakt
LYRIC audio Noll und Deyerling GbR
Struthweg 6
36381 Schlüchtern
Telefon +49 6661 1538413