Lynyrd Skynyrd – Free Bird
Zum Progrock gehören Tempowechsel, Klassik- und Jazzanklänge, umfangreiche Instrumentalteile und überraschende Instrumente. Weil das alles zusammen kaum in einen Drei-Minuten-Song passt, gibt es den Longtrack.
Allen Collins, der Leadgitarrist, machte schon zwei Jahre lang an dieser viertaktigen Akkordfolge herum (mit dem Übergang von e-Moll zu F-Dur in der Mitte). Ronnie Van Zant, der Leadsänger, fand die Harmonien allerdings etwas zu sperrig zum Singen. Doch eines Tages hatte er eine Eingebung und schrieb in wenigen Minuten die Melodie und den Text. Die ersten Worte hatte er wohl aufgeschnappt, wahrscheinlich von Collins’ Freundin: “If I leave here tomorrow, would you still remember me?” Van Zant machte daraus eine kleine Freiheitshymne der amerikanischen Art: Ich muss weiterziehen, ich bin frei wie ein Vogel, einen Vogel kannst du nicht ändern. „Genau darum geht es doch in diesem Land“, sagte er einmal. Schließlich kamen Lynyrd Skynyrd ja aus Florida, dem sonnigen Southern State, wo Libertarismus viel gilt. Aufs Cover der Single setzten sie einen Revolver.
Die Band hat sich bei „Free Bird“ wirklich Mühe gegeben. Zwei Keyboarder sind beteiligt, es gibt eine Orgeleinleitung und in der zweiten Strophe ein Mellotron, beide gespielt von Al Kooper (Blood, Sweat & Tears). Es gibt eine gemütvolle Slide Guitar (Gary Rossington) und insgesamt mindestens fünf Gitarrenspuren. Dennoch erwartete niemand, dass „Free Bird“ besonders erfolgreich sein würde. Der Song war einfach nur der Rausschmeißer auf dem Debütalbum – mit einem vierminütigen Gitarrensolo von Allen Collins am Ende. (Die ursprüngliche Idee dieser Instrumentalstrecke war, dem Sänger bei Liveauftritten einmal eine Verschnaufpause zu geben.)
Collins’ Solo ist durchkomponiert, perfekt geprobt und teilweise per Overdub gedoppelt. Dieses Solo ging als eines der zehn „ikonischsten“ Gitarrensoli in die Annalen des Rock ein. Auch die Riffs, Begleitfiguren, Breaks zum Solo sind effektiv ausgearbeitet. Improvisiert hat die Band nur in Konzerten – da konnte „Free Bird“ dann auf eine Viertelstunde anwachsen. Auch bei Liveauftritten war dieser Song der Rausschmeißer.
Trotz einer Länge von über neun Minuten wurde die Albumversion von „Free Bird“ zum Radiohit. (Die gekürzte Single-Version hatte dagegen keine Chance.) Das Stück fand in zahlreichen Filmen, Serien, Videospielen Verwendung. Auch begann mit ihm der enorme Höhenflug der Band: fünf Platin-Alben in fünf Jahren! Und das bei einem so seltsamen Bandnamen, der noch aus Schülerzeiten stammte: Aus dem Namen eines ungeliebten Lehrers (Leonard Skinner) machten sie „Leo-Nerd, Skin-Nerd“ und dann Lynyrd Skynyrd. Wie man das ausspricht, stand auf dem ersten Albumcover: „(Pronounced ‘Lĕh-‘nérd ‘Skin-‘nérd)“ – das wurde zum sperrigen Albumtitel.
Leider endete der Höhenflug der Band tragisch und ganz unmetaphorisch. Einem Charterflugzeug ging über einem Waldgebiet in Louisiana der Sprit aus. Es gab sechs Tote, darunter drei Bandmitglieder und ihr Roadmanager, und 20 Schwerverletzte, darunter die restlichen Musiker. Das war im Oktober 1977 das Ende von Lynyrd Skynyrd – bis zur unvermeidlichen Neugründung 1987.
Lynyrd Skynyrd (pronounced ‘lĕh-‘nérd ‘skin-‘nérd) auf jpc.de