Lukaskirche zu Dresden
Heute soll es mal wieder um eine Kirche gehen, allerdings eine, in der nur wenige Konzerte stattfinden, dafür aber umso mehr Aufnahmen. Gerade in der goldenen Zeit der Schallplatte wurden in der Lukaskirche zu Dresden die Mischpulte kaum kalt, die größten Künstler ihrer Zeit gaben sich die Klinke gleichsam in die Hand. Wie kam es dazu?
Die Anfang des 20. Jahrhunderts gebaute Lukaskirche zu Dresden war zunächst eine der Hauptkirchen der Stadt, zuständig für den evangelischen Einzugsbereich der Südvorstadt. So jung die Geschichte dieser Kirche ist, so wechselhaft gestaltete sie sich. Schon 1917 wurden die Glocken wieder eingeschmolzen, weil man das Metall für die Fronten des Ersten Weltkriegs benötigte. Während hier bis 1933 ein Berliner Hofpfarrer und Prinzenerzieher wirkte, fiel die Gemeinde in den Jahren danach etwas auseinander, da sowohl linientreue Pfarrer als auch bekennende Freigeister parallel Dienst taten.
Am 13. Februar 1945, während der großen Luftangriffe, nahm auch die Lukaskirche Schaden, was gleichzeitig als Segen und Fluch angesehen werden kann: Die extravagante Turmhaube und die Jugendstilmalereien im Innern fielen den Flammen zum Opfer, was sehr bedauerlich ist. Allerdings galt der Schaden als begrenzt, und so wurde die Kirche nicht abgerissen und weiter genutzt.
Schon ab den 50er Jahren wurden hier Tonaufnahmen erstellt, da sonstige Säle in der Elbestadt knapp waren. Zwischen 1964 und 1972 wurde der Innenraum unter der Leitung der VEB Deutsche Schallplatten Berlin grundlegend umgebaut, um die Bedingungen für eine professionelle Studionutzung zu schaffen. Eine Sakristei wurde zur akustisch optimierten Regie, eine Tragekonstruktion im Kirchenraum ermöglicht das Aufhängen von Akustiksegeln oder Stoffbahnen, damit der Hall in der hohen Kuppel kontrolliert werden kann. Und auch sonst wurde mit Kabeldurchführungen, variablen Podesten, Technikräumen und Laderampen alles für reibungslose Arbeitsprozesse getan.
Es ist immer ein besonderes Gefühl, wenn man in einem Raum arbeitet, in dem schon Größen wie Kleiber, Karajan, Böhm, Kegel, Janowski und andere wirkten. Als Musiker – und in dieser Eigenschaft war ich an der jüngsten Rheingold-Aufnahme beteiligt – verspürt man einen gewissen Druck, denn an dem Saal kann es diesmal nun wirklich nicht liegen.
Die nicht vorhandenen Garderoben oder die zu kleine (eine) Toilette für alle soll nicht das Problem sein, denn dieser Raum atmet Aufnahmegeschichte, und genau das ist es, was einen während einer Produktion beflügelt. Denn wenige andere Säle bieten den Spagat zwischen einer wunderbar leicht anzuregenden Akustik und gleichzeitig leicht beherrschbarer Durchhörbarkeit. Der Raum verträgt große Lautstärken, benötigt sie aber nicht, da er sich leicht anschwingen lässt. Man kann also etwas feiner, kontrollierter, wagemutiger spielen. Ein Fest!
Freilich kann man nicht alle Kollegen gleich gut hören, was einem angesichts einer so umfangreichen Partitur kaum ein Raum bietet. In seinen Bereich kann man sich allerdings überraschend schnell einhören und aus den Raumresonanzen mühelos die eigene Beteiligung am Gesamtklang beurteilen.
Endlich durfte ich hier einmal wieder arbeiten. Und freue mich wie ein kleines Kind auf das kommende Frühjahr, wenn die Walküre vor die Mikrofone marschiert.
Musiktipps – Aufnahmen mit typischem Raumklang:
Richard Wagner, Tristan, Staatskapelle Dresden, Carlos Kleiber
Anton Bruckner, Sinfonien Nr. 1–9, Staatskapelle Dresden, Eugen Jochum
Robert Schumann, Sinfonien, Staatskapelle Dresden, Wolfgang Sawallisch
Wagner, Der Ring des Nibelungen, Marek Janowski (achten Sie auf die Farben in den Streichern!!!)