Wieder ein All-in-one-Player, diesmal von Linn. Der Versuch einer Annäherung ohne schottischen Weihrauch.
Linn war schon immer etwas cooler. Mit frechen und treffenden Sätzen wie “Garbage in – garbage out” oder der stets gültigen und allzu oft missachteten Weisheit “Start at the beginning” mischte Vordenker Ivor Tiefenbrunn in den 70er und 80er Jahren die Szene auf. Und wenn er auf Messen mit aufgebohrtem Frontend und lächerlich kleinen Boxen richtig großes Kino bot, mussten auch Kritiker zugeben, dass da einiges sehr, sehr gut lief. Das war wirklich cool.In den folgenden Jahren sorgte Glasgow dann immer wieder für Beben in der Szene: Linn beerdigte die konventionelle Stromversorgung und propagierte das damals in HiFi-Kreisen geächtete Schaltnetzteil, noch dazu ausgerechnet mit einem Phono-Amp. Und wer war es, der wieder einmal die Zeichen der Zeit sehr früh deutete und sämtliche CD-Player aus dem Programm warf, um folgerichtig auf Streaming zu setzen? Eben, die Schotten. Oder der aus dem Vollen gefräste CD12 und seine ihm folgenden, ganz ähnlich gewandeten Klimax-Geschwister? Oh yes, very cool, indeed.
Mit all diesen innovativen Ideen und einem fast schon programmatischen Eigensinn hat Linn etwas geschafft, was sonst allenfalls noch (sorry, Glasgow!) Naim gelingt: Man baut lifestylige All-in-one-Player und wird weiterhin an der High-End- Front ernst genommen.
Nachdem ich für die letzte Ausgabe von FIDELITY mit Begeisterung dem Naim SuperUniti lauschen durfte, ist es für mich nun besonders spannend, wenn ein All-in-one-Player von jener Firma zu Besuch kommt, die ebendiese Gerätegattung und überhaupt das ganze Thema Streaming in audiophilen Kreisen salonfähig gemacht hat. Also: Vorhang auf für den Linn Majik DSM.
Komplettes Paket
Dicht gepackt ist er, der Majik DSM. Auf dem Bild sieht man oben das Schaltnetzteil, unten die Endstufensektion, und eine große Huckepackplatine beherbergt die Digitalabteilung. Davon fast verdeckt finden wir noch eine kleine MM-Phonoeinheit, die auch als Line-Eingang konfiguriert werden kann und im Übrigen sehr manierlich aufspielt. Okay, wer hätte beim Erfinder des berühmten LP12 auch etwas anderes erwartet … Dass alle Schaltungen aus SMD (Surface Mounted Device)-Bauteilen bestehen und damit ihre Deutung fast unmöglich machen, soll uns nicht weiter wundern; Linn war und ist auch bei dem Thema hochmoderne Fertigungstechnik ganz vorne mit dabei.
Mit einer beeindruckenden Menge von Anschlüssen inklusive diverser digitaler Ausgänge dürfte der Majik für alle Eventualitäten des audiophilen – und cineastischen – Lebens wohlgerüstet sein. Kino? Und wie, möchte man da sagen. Mit seinen HDMI-Kontakten schreckt dieses Multitalent nicht vor dem Thema Video zurück, sondern umarmt es geradewegs. In FIDELITY ist das weniger als ein Randthema, zugegeben, aber weil sich Bildschirme sprichwörtlich unübersehbar auch in „Hörräume“ einschleichen, sorgen diese dort vermutlich nicht nur für besser bedienbare Streamer … Die überaus griffigen Füße, auf denen unser Linn steht, sind übrigens, so unscheinbar sie auch aussehen mögen, keine simplen Untersetzer, sondern durchdachte Kerlchen. Denn auf ihnen klingt diese „Komplettanlage“ wirklich am besten, kein anderer von mir ausprobierter „Unterleger“ ermöglichte ihr so viel klangliche Freiheit.
Freude bereitet das leichtgewichtige Schaltnetzteil übrigens schon beim Aufstellen des Majik: Versuchen Sie mal, einen ähnlich potenten Vollverstärker mit nur einer Hand über oder im Rack zu rangieren, während Sie mit der anderen Hand die Kabel führen. Die neue Technik hat schon was für sich! Vor allem, wenn sich der „streamende Vollverstärker“ wegen seiner fast wie geklebt haftenden Füße nicht so einfach hin- und herschieben lässt.
Wie Linns Deutschland-Botschafter Uli Michalik verlauten lässt, ist das Streaming-Modul der ganze Stolz der Schotten. Schließlich nutze man dafür als einziger HiFi-Hersteller einen wirklich selbst konstruierten Baustein, nicht nur angepasste Software plus einer zugekauften Baugruppe. Und überhaupt, die Software! Damit sei Linn auch ganz weit vorne, beschäftige man doch mittlerweile mehr Ingenieure in der Soft- als in der Hardware-Abteilung. Das, so Michalik, traue sich aber niemand zu schreiben. Doch, Herr Michalik! Wir tun es.
Zu cool?
Ich gebe zu, es ist nicht gaaanz so einfach, über Linn zu schreiben. Das ist bei anderen, ähnlich polarisierend wirkenden Herstellern wie etwa Transrotor, Shindo oder MBL ganz ähnlich: Lobt der Autor, gilt er als hörig und/oder gekauft. Versucht er, dieser Falle zu entgehen, tappt er nur allzu leicht in die der Ungerechtigkeit. Und sucht deshalb vor lauter Angst um seine journalistische Unabhängigkeit so viele Haare in der Suppe, dass er sie schon „herbeisieht“. Auch nicht fair.
Ein Haar habe ich jedoch trotzdem gefunden, nein, finden müssen. Thema: Bedienung. Der Majik DSM lässt sich als Streaming-Player oder Internet-Radio nur in vollem Umfang nutzen, wenn er mithilfe der Software „Kinsky“ über ein iPhone, iPad oder einen ans Netzwerk angeschlossenen Computer bedient wird. Besitzt man kein Smartphone und auch kein Tablet und steht womöglich noch der Computer in einem anderen Zimmer, ist der Majik DSM einfach nur noch ein Verstärker. Nur ein Verstärker? Nein, wohlgemerkt ein guter Verstärker; dazu gleich mehr. Allerdings: Immer in einen anderen Raum rennen zu müssen, wenn ein neues Verzeichnis im NAS auszuwählen ist, kann auf Dauer ganz schön nerven und ist natürlich gar nicht cool. Immerhin kann man Webradiostationen via Computer voreinstellen, die sich dann über die mitgelieferte Fernbedienung abrufen lassen.
So klein, so schlüssig
Nach einer überschaubaren Warmlaufzeit steht der Majik auf dem Rack und muss sich erst mal mit analoger Kost begnügen – ob der eben geschilderten Schnelleinstiegs- Hürden schmollt der Autor und enthält dem Player sein NAS vor, zumindest vorerst.
Als reiner Verstärker sicherlich unterfordert, kann sich Linns Jüngster allerdings in kürzester Zeit wieder einschmeicheln. Die Laune steigt. Den Naim habe ich noch im Ohr, und so fallen die Unterschiede zwischen beiden Geräten ebenso schnell auf wie die Gemeinsamkeiten. Während SuperUniti aus dem Grundton heraus schiebt und die Musik auf diesem Wege satt anreichert, gibt sich der Linn eher sportlich durchtrainiert und öffnet den Klangraum deutlich nach oben hin. Das Kunststück der Entwickler liegt darin, eine offene, wieselflinke und durchsichtige Abstimmung geschaffen zu haben, der gleichzeitig jede Tendenz ins Anämische oder Nervige abgeht. Vielleicht könnte man es so sagen: Der Naim schiebt, der Linn funkelt.
Bestens kommt das bei live aufgenommenen Opernproduktionen zum Tragen: Wenn Christian Thielemann Sänger und Musiker auf den Bayreuther Brettern durch Wagners Walküre führt, passiert so unfassbar viel, dass man den Überblick verlieren kann. Kleine Akzente oder Einwürfe im Orchester hier und da, die das Bühnengeschehen kommentieren, dann die Bewegungen der Sänger auf der Bühne, Nebengeräusche durch Kostüme und Requisiten, Statisten. Ich habe schon einige Verstärker erlebt, die mit dieser Vielfalt nicht zurechtkommen. Entweder ebnen sie zu sehr ein, fokussieren nur auf wenige Hauptereignisse, oder sie stellen so viele unterkühlte Details in den Raum, dass jedes längere Zuhören mühevoll wird. Denn kein Bühnenbild, keine sichtbare Handlung lenkt den Blick und teilt somit die Aufmerksamkeit. Der Majik kompensiert den fehlenden Sinn, indem er Details raffiniert funkeln lässt, und überdies gelingt es ihm, zwischen diesen Einzelereignissen eine – mir fällt kein besseres Wort ein – „Bindung“ entstehen zu lassen. So lässt die Aufmerksamkeit nicht nach, es entsteht Spannung, fast so, als wäre man live dabei. Das erleichtert das Hören von komplexerer Musik ungemein. Auch wenn natürlich kein Gerät der Welt diese Musik erklären oder aufschlüsseln kann, ist das doch schon ein großer Schritt, zu dem beileibe nicht jede Komponente imstande ist.
Das integrierte Phonomodul stellt übrigens alles andere als eine Notlösung dar. Wenn Sie beim Thema Analog (vorerst) nicht zu höchsten Weihen aufsteigen wollen, kann die kleine Phonomaschine mit ihrer properen Auflösung, vor allem aber mit ihrem lockeren Spielfluss für lange Zeit großen Spaß machen. Dabei gerät die Raumabbildung eher breit als tief und zieht Griffigkeit der Weite vor. Man wird sich mit externen Lösungen schon deutlich an vierstellige Summen heranwagen müssen, um diese kleine Platine zu toppen.
Die Ruhe aus dem Netzwerk
Nun ist Kinsky installiert. Durch seinen Verstärkerauftritt gründlich rehabilitiert, hängt unser Majik jetzt endlich am Netzwerk, und schon geht es auf eine lange Reise durch die Tiefen der Festplatten. Ich erlebe wieder die gleiche Faszination wie mit anderen Streamern: Ich bleibe länger vor der Anlage sitzen, weil ich durch eine Art „assoziatives Zappen“ vom Hundertsten zum Tausendsten, von Miles Davis zu Richard Strauss, von Supertramp zu Beethoven und von Charlie Haden zu Mozart komme. Das ist so leicht, wenn man am Bildschirm die Covers durchsehen, Titel mit allen möglichen Filtern suchen kann – und nur einen Klick entfernt spielt die Musik.
Klanglich geht das Streaming-Modul ebenfalls in die schon beschriebene Richtung. Im Vergleich zu externen Quellen kommt lediglich noch eine besondere Ruhe dazu, jene Ruhe, die gut gemachte Festplattenwiedergabe oft auszeichnet. Nein, nicht die einschläfernde, träge Ruhe langweilig reproduzierender Geräte ist gemeint, vielmehr ist es eine „Entspannung des Hintergrunds“, aus der sich einzelne Klänge dann umso dynamischer entfalten. So stehen die vielen Details der Walküre (etwa das akzentuierte Tremolo in den Geigen bei „in der Esche Stamm leuchtet ein Blitz“) noch klarer vor mir, doch sie verbinden sich wieder zu einem schlüssigen Ganzen. Kurz gesagt glaube ich kaum, dass es einen CD-Player in ähnlicher Preislage gibt, der einer solchen Vorstellung noch Paroli bieten könnte. Faszinierend auch – wieder ein Hinweis auf die überaus geglückte Abstimmung –, wie der Majik DSM mit unterschiedlichsten Lautsprechern klarkommt. Entspannt und knackig treibt er meine kleine Spendor an. An einer größeren B&W muss ich schon weiter aufdrehen, aber immer noch wirkt der Kleine, als hätte er ausreichend Reserven. Auch im Teamwork mit einer wirkungsgradstarken WLM Diva und den entsprechenden Befindlichkeiten macht er eine gute Figur. Allerdings erst, als er richtig warmgelaufen ist. Das ist für so ein Paketchen schon eine echte Leistung!
So, den Weihrauch und die Heldenverehrung haben wir ganz gut außen vor gelassen, finde ich. Was bleibt also unterm Strich? Ein All-in- one-Player, der für seine Größe und seinen Preis faszinierend viel und faszinierend gut Musik macht. Ein Gerät, das mit vielen Partnern bestens zurechtkommt und auch noch proper aussieht. Und der Punkt mit der Fernbedienung? Naja, darüber habe ich mich ja schon ausgelassen. Aber iPads werden ja auch gebraucht angeboten …