Linn Klimax Solo 800
„Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert“
Oscar Wilde
In aller Kürze:
Dieser Endverstärker ist Beweis für die Leistungsfähigkeit der schottischen Manufaktur: Überragende Verarbeitung, enorme Leistungsreserven sowie die universelle Einsetzbarkeit des Linn Klimax Solo 800 haben freilich ihren Preis.
Es mag etwas seltsam anmuten, einen Artikel über den bis dahin leistungsstärksten Endverstärker des schottischen Herstellers Linn mit den Worten des berühmten irischen Dichters einzuleiten. Aber exklusive Komponenten verlangen nach außergewöhnlichen Worten. Zudem ist der Linn Klimax Solo 800 aufgrund seines Preises alles andere als durchschnittlich.
Diese Exklusivität war auch der Grund, warum es uns leider nicht vergönnt war, sich mit diesem Ausnahmegerät in heimischer Umgebung oder in den Redaktionsräumen von FIDELITY auseinanderzusetzen. Zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Artikels standen nur drei der 89 260 Euro teuren Paare der Klimax Solo 800 bei Händlern in Deutschland – die sich aus nachvollziehbaren Gründen zierten, diese über einen längeren Zeitraum auszuleihen. Deshalb traten der Chefredakteur Carsten Barnbeck und ich die Reise zu Hifi Bamberg in Hirschaid (Oberfranken) an. Der Inhaber Christian Müller erklärte sich dankenswerterweise bereit, uns sein Ladenlokal einen Nachmittag lang zur Verfügung zu stellen, um die für einen Artikel unabdingbaren Untersuchungen zu ermöglichen.
Dort angekommen habe ich mich auf den ersten Blick in die Linns verguckt. Das Design sprach mich dermaßen an, dass mich diese Boliden bereits für sich eingenommen hatten, bevor auch nur ein Ton zu hören war. Es hebt sich deutlich von dem vergleichbarer Produkte anderer Hersteller ab. Ich würde die Optik der Klimax Solo 800 als „hypermodern“ bezeichnen. Linn geht bei allen seinen Produkten den minimalistischen Weg und verzichtet bewusst auf jeden von vorne sichtbaren Schalter oder Regler – sie würden die elegante Erscheinung nur zerstören. Die in unserem Fall silberfarbene Front (eine schwarze Version ist ebenfalls verfügbar) wird lediglich durch einen Kreisausschnitt unterbrochen, der die glatte Frontpartie in zwei Teile gliedert, deren Oberflächen unterschiedlich behandelt wurden und so einen geschmackvollen Kontrast bilden. Man findet also genau das dominierende Designmerkmal des natürlichen Spielpartners Linn Klimax DSM/3 – dem Topmodell unter den Streamer-Vorverstärkern von Linn – wieder. Ebenfalls zum Einsatz kommt der vom DSM/3 her bekannte Datenrad-Drehsteller, der bei dem Solo 800 allerdings als reines Display fungiert. Schalten und regeln kann man hier nichts. Genutzt werden die 100 ringförmig angeordneten LEDs dazu, den Betriebszustand anzuzeigen und beim Einschalten beziehungsweise beim Übergang in den Stand-by-Modus ein kleines Lichtspiel zu präsentieren. Der Hauptschalter verbirgt sich derweil dezent rechts unter der Front – so stört er das Design nicht, ist aber von vorne gut zu erreichen.
Auf der klar strukturierten Rückseite findet man ungewöhnlich viele Anschlüsse. So gibt es Ein- und Ausgänge, die jeweils sowohl unsymmetrisch als Cinch- als auch symmetrisch in Form von XLR-Buchsen ausgestattet sind. Ein Druckschalter schaltet zwischen ihnen um. Die Ausgänge sind für die Ansteuerung weiterer Endstufen oder aktiver Subwoofer gedacht. Ein dreistufiger Schieber ermöglicht ein Dimmen des Displays. Die massiven Lautsprecherklemmen erlauben den Anschluss von Lautsprecherkabeln, die mit Banana-Steckern oder Kabelschuhen ausgestattet sind. Wie nicht anders zu erwarten, ist nicht nur die Verarbeitungsqualität der Anschlüsse über jeden Zweifel erhaben. Ebenfalls bemerkenswert ist die elegant geschwungene Form der Kühlkörper. Vor allem auch deshalb, weil sie und die gesamte Innenarchitektur der Solo 800 es erlauben, auf Ventilatoren zu verzichten, die man nicht selten bei vergleichbar leistungsstarken Verstärkern findet.
Linn wäre nicht Linn, käme nicht auch in ihrer neuesten Kreation eine besonders leistungsstarke Version des bekannten Schaltnetzteils Utopik zum Einsatz. Das soll laut Hersteller dauerhaft stabile 2000 Watt besonders verzerrungsfrei zur Verfügung stellen können. An den Lautsprecherklemmen stehen an vier Ohm 800 Watt und an acht Ohm 400 Watt Gewehr bei Fuß. Bei zwei Ohm sind es sogar gigantische 1200 Watt. Allein schon aufgrund dieser Daten kann man vermuten, dass es kaum einen Lautsprecher geben dürfte, den der Klimax Solo 800 nicht im Griff hätte.
Doch schiere Kraft ist nicht alles. Deswegen wurde besonderes Augenmerk auf die Ruhestromregelung gelegt. Bei herkömmlich aufgebauten Verstärkern wird die bei der Herstellung typischerweise von Hand einmalig fest eingestellt. Da sich aber diese Werte im Laufe der Zeit und auch in Abhängigkeit von der Temperatur ändern können, müssten diese eigentlich in regelmäßigen Abständen neu abgeglichen werden. Linn setzt hier auf eine automatisierte Regelung. Ein digitaler Steuerkreis überwacht den Stromfluss der sechzehn Leistungstransistoren und korrigiert, wenn nötig, in Echtzeit den Ruhestrom. Diese Methode wird „Adaptive Bias Control“ (selbst anpassende Ruhestromkontrolle) genannt, soll Übernahmeverzerrungen verringern sowie über die ganze Lebenszeit und bei jeder Temperatur für stets optimale Bedingungen der Transistoren sorgen.
Ein Oscar Wilde würde wahrscheinlich das elegante Design goutieren, die hochmoderne, aber aus seiner Sicht nur „profane“ Technik bestenfalls wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Die Musikwiedergabe über den Linn Klimax Solo 800 würde ihn und andere Genussmenschen zweifellos begeistern. Das wurde beim Hören von Carl Maria von Webers Oberon-Ouvertüre (Decca SXL 6830) unmissverständlich deutlich. Die beginnt mit einem sehr ruhigen, fast schon zarten Intro, bei dem man es sich im Hörsessel so richtig schön bequem machen kann, um nur Sekunden später von einem geradezu explosionsartigen Tutti-Schlag hochgeschreckt zu werden. Diese Impulsivität bezeugt, dass der Solo 800 definitiv nicht zu der Sorte Endverstärker gehört, die sprichwörtlich vor Kraft kaum gehen können. Gut möglich, dass diese Schnelligkeit auf die Leistungsfähigkeit des Utopik-Netzteils zurückzuführen ist. Dass dabei auch in den heftigsten Fortissimo-Passagen die Räumlichkeit – also die Ortung einzelner Instrumente als Phantomschallquellen – ohne zu verwischen gewahrt bleibt, darf man wohl als selbstverständlich in dieser Leistungsklasse annehmen. Nicht so selbstverständlich ist aber, dass auch der rhythmische Fluss erhalten bleibt. Allem Anschein nach erkannte das auch Carsten Barnbeck, der neben mir auf der Couch saß. Seine Beine wippten nämlich unwillkürlich im Takt der Musik mit. Und das wohlgemerkt bei der Wiedergabe klassischer Musik!
Ich habe schon des Öfteren vor sehr hochwertigen Anlagen gesessen, die formal „alles richtig“ machten, bei denen aber aus nicht ersichtlichen Gründen die Emotionen, die das Hören von Musik eigentlich erzeugen soll, auf der Strecke blieben. Genau das ist bei dem Linn Klimax Solo 800 nicht der Fall. Bei der Wiedergabe von Johnny Cashs Ballade „Give My Love To Rose“ (American IV: The Man Comes Around), in der ein Ich-Erzähler davon berichtet, wie er einen sterbenden Mann findet, von dem er gebeten wird, seiner Frau und seinem Sohn, die er lange nicht gesehen hatte, Grüße zu bestellen und Geld zu überbringen, bekam ich eine Gänsehaut. Man fühlt regelrecht mit dem Erzähler mit, so plastisch und real wurde die brüchige Stimme von Cash und die ihn begleitenden Gitarren wiedergegeben. Man hätte meinen können, die Musiker säßen einem direkt gegenüber. Große Klasse!
Bevor meine Begeisterung zu übertrieben wirkt, muss ich natürlich anmerken, dass die klangliche Beschreibung auf die gesamte Abhöranlage (siehe Mitspieler) zutrifft. Glücklicherweise kannte ich insbesondere den Tonabnehmer von DS Audio und die Lautsprecher von Magico von vorherigen Begegnungen sehr gut. Deshalb glaube ich mit Fug und Recht behaupten zu können, dass der Linn Klimax Solo 800 durchaus entscheidend zu dem beschriebenen Klangeindruck beigetragen hat. Der von Linn selbst formulierte Anspruch, einen Verstärker geschaffen zu haben, der jeden Lautsprecher – egal unter welchen Bedingungen – perfekt anzutreiben vermag, kann ich auf jeden Fall voll und ganz bestätigen.
Zum Schluss erlaube ich mir ein weiteres Zitat von Oscar Wilde: „Ich habe einen ganz einfachen Geschmack. Ich bin stets mit dem Besten zufrieden.“ Wenn man zu den Glücklichen gehört, die es sich leisten können, nach dieser Maxime zu leben, dann kann man nur zu einer Investition in den Linn Klimax Solo 800 gratulieren. Für alle anderen bleibt zu hoffen, dass es Linn schafft, die Erfahrungen aus der Entwicklung dieses State-of-the-Art-Produkts und das tolle Design auf preiswertere Endverstärker des Hauses ohne große Abstriche bei der Klangqualität zu übertragen. Es wäre nicht das erste Mal, dass den Schotten das gelingt.
Info
Endverstärker Linn Klimax Solo 800
Konzept: Transistor-Leistungsverstärker in Class-A/B-Schaltung
Besonderheiten: Masseanschluss, Adaptive Bias Control, Utopik-Schaltnetzteil
Eingänge: Cinch (unsymmetrisch), XLR (symmetrisch)
Ausgänge: Cinch (unsymmetrisch), XLR (symmetrisch), Bananenstecker (Lautsprecher)
Ausführung: Silber oder Schwarz
Maße (B/T/H): 35/41/27 cm
Gewicht: 27 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Preis: um 44 630 €/St.
Kontakt
Linn Products Ltd.
Mitspieler
Laufwerk: Reed Muse 1C
Tonarm: Reed 5A
Tonabnehmer: DS Audio DS-W3
Streamer-Vorverstärker: Linn Klimax DSM/3
Lautsprecher: Magico S3
Kabel: WestminsterLab Ultra