Line Magnetic LM-215CD – CD in Reinkultur
Was ist neutraler Klang? Der Line Magnetic LM-215CD regt zum Nachdenken über diese scheinbar triviale Frage an.
Irgendwann in der Zukunft wird die Musik auch bei mir aus dem Computer kommen. So viel steht fest. Es pressiert mir jedoch nicht im Geringsten, die CD aufzugeben. Wissen Sie, ich habe da so eine anachronistische Ader, gegen die ich manch- mal einfach machtlos bin. Auf neue Technik steige ich bisweilen erst um, wenn ich muss. Meinen zehn Jahre alten PC zum Beispiel ersetze ich jetzt nur, weil er allmählich den Geist aufgibt. Und ob Sie es glauben oder nicht: Mein allererstes Handy habe ich mir erst 2013 zugelegt. Es ging einfach nicht mehr ohne. Haben Sie in letzter Zeit mal versucht, abseits von Bahnhöfen und Flughäfen eine Telefonzelle zu finden?
Viele Menschen wissen schon gar nicht mehr, was das ist. Und warum sich der Telefonapparat alter Münzfernsprecher in einer weitgehend schalldichten Kabine befindet, wird wohl auch bald niemand mehr verstehen. „Privatsphäre? – Kenn ich nicht, was soll das denn sein?“
War Ihnen das noch nicht altmodisch genug? Keine Bange, es kommt noch besser. Ich habe mir nämlich soeben einen neuen CD-Player gekauft. Doch das ist noch nicht alles: Das Gerät ist eine der zukunftsunsichersten Digitalmaschinen, die man heute erwerben kann. Der Player hat beispielsweise ein Laufwerk, das ausschließlich CDs abspielt. Nix SACD und Konsorten. Digitale Eingänge? Fehlanzeige. USB oder DSD? Nö. Dafür aber: eine feine Röhrenausgangsstufe und ein herrlich untechnischer, plastischer, kraftvoller und lebendiger Klang, wie man ihn nur selten von CD vernimmt.
Besagte Eigenschaften meines Lector CDP-707 (übrigens die neueste Version des CDP-7 aus FIDELITY Nr. 2) besitzt auch der Line Magnetic LM-215CD, um den es hier geht. Dass der Lector in einer anderen Liga als der Line Magnetic für 1800 Euro spielt, ist bei einer Preisdifferenz von satten 1500 Euro zu erwarten. Dennoch haben beide CD-Player einen ähnlichen Klangcharakter.
Ich finde, der LM-215CD verhält sich ungewöhnlich neutral gegenüber dem Original. Viele Hörer werden meine Einschätzung vermutlich schwer nachvollziehen können. Der in den Höhen leicht abgemilderte, organisch fließende und tendenziell runde, „analoge“ Sound des LM-215CD soll tonal neutral sein? Nun, das hat niemand behauptet. Der Line Magnetic nimmt sich vielmehr dort vorbildlich zurück, wo es wirklich drauf ankommt. Er ist überaus durchlässig für das Wesentliche. Und das Wesentliche ist nicht der Frequenzgang oder der Klirrfaktor, sondern die Intention der Musiker. Deshalb sind Messwerte für mich zweitrangig. Ob eine HiFi-Anlage im herkömmlichen Sinn neutral klingt, ist mir zwar nicht völlig schnurz, aber ich empfinde diese Art von Neutralität als nebensächlich. Was habe ich davon, wenn mir ein Gerät zwar erlaubt, bis in die atomare Struktur von Gitarrensaiten hineinzuhören, aber die entstehenden Töne nicht in einen sinnvollen Bezug zueinander stellen kann?
Meines Erachtens besteht die wichtigste Aufgabe von HiFi-Komponenten darin, es dem Zuhörer leicht zu machen, musikalische Zusammenhänge zu erkennen. Diese Aufgabe erfüllt der Line Magnetic LM-215CD mit Bravour. Die einzelnen Teile seines Klang-Puzzles sind vielleicht nicht ganz so zahlreich wie die von analytischeren CD-Playern. Da sie aber stets ein vollständiges Gesamtbild ergeben, macht das überhaupt nichts. Bei vielen Konkurrenzprodukten mit höherer Auflösung hingegen fällt das große Ganze leicht auseinander und der Hörer muss sich mühsam selbst einen Sinn aus den Einzelaspekten zusammenreimen. Das ermüdet auf Dauer gewaltig. Wenn Sie Ihren aktuellen CD-Dreher häufig schon nach kurzer Zeit genervt oder gelangweilt ausschalten, obwohl es objektiv betrachtet nichts an ihm auszusetzen gibt, würde ich Ihnen eine Hörprobe des Line Magnetic LM-215CD wärmstens ans Herz legen.
Damit wir uns richtig verstehen: Der in China erdachte und gefertigte Player differenziert absolut zufriedenstellend; er unterschlägt also nichts Entscheidendes. Erst beim Vergleich mit linearer abgestimmten Vertretern seines Fachs bemerkt man seine etwas selektivere Gewichtung einzelner Frequenzbänder. Ein Naim CD5si etwa fördert intensiver strahlende, crispere Höhen zutage und klingt im Bass schlanker und straffer. Während der erschwinglichere Engländer rhythmische Feinheiten etwas deutlicher herausarbeitet, begeistert der Chinese im Vintage-Look mit einer Stimmenwiedergabe, wie sie auch vielfach teurere CD-Player kaum natürlicher hinbekommen. Besonders spannend wäre sicherlich ein Vergleich mit dem nagelneuen, etwa gleich teuren und ebenfalls mit Röhren ausgestatteten Lector CDP-603 ausgefallen, aber der Italiener hat es leider nicht mehr rechtzeitig zu mir nach Hause geschafft.
Die virtuelle Bühne von günstigeren Digitalquellen wirkt oft artifiziell seziert. Die Musiker sind dann zwar präzise ortbar, scheinen sich allerdings nicht im gleichen Raum aufzuhalten. So entsteht manchmal der Eindruck, jeder musiziere für sich allein. Beim LM-215CD dagegen teilen alle Akteure ein gemeinsames Luftvolumen und reagieren aufeinander. Das führt erfreulicherweise trotzdem nicht zu einer beengten Räumlichkeit. Im Gegenteil: Die Szenerie dehnt sich sogar ungewöhnlich weit in die Breite und Tiefe aus, bläht sich jedoch nicht künstlich auf. Ein weiterer großer Pluspunkt unseres hammerschlaglackierten „Old-School-Digitalos“ ist, dass man ihm gerne stundenlang zuhört. Der Line Magnetic beherrscht einen anspruchsvollen Balanceakt: Obwohl er stets relaxed klingt, bleibt sein musikalischer Vortrag immer spannend.
Was steckt technisch hinter dem ausnehmend neutralen Klang? Zunächst einmal ein CD-Laufwerk von Sony, das sich – Tusch! – durch absolute Laufruhe und fehlerfreie Abtastung sämtlicher verwendeten CDs auszeichnet. So etwas ist heutzutage keineswegs selbstverständlich. Lediglich die Geräuschkulisse der leicht knatternd aus- und einfahrenden CD-Lade passt nicht so ganz ins positive Bild. Wer mag, kann den digitalen Datenstrom auch über einen optischen oder einen koaxialen Digitalausgang anzapfen. Auf diese Weise wird der mit 24 Bit und 192 Kilohertz arbeitende D/A-Wandler PCM 1792 von Burr-Brown umgangen.
In der Röhren-Ausgangsstufe des LM-215CD werkelt eine 12AU7/ECC82 mit Line-Magnetic-Aufdruck. Nachdem acht Inbusschrauben gelöst sind, gibt der bedämpfte Gehäusedeckel den Zugriff auf den Glaskolben und die restlichen Innereien frei. Ein vernünftig dimensionierter Trafo ist für die Stromversorgung des Gerätes zuständig. Von der gelegentlich etwas nachlässigen Verarbeitungsqualität chinesischer HiFi-Produkte kann beim LM-215CD überhaupt keine Rede sein. Innen wie außen macht der Player einen sehr anständigen Eindruck. Sein Vollmetall-Gehäuse ist fürs Geld überaus massiv gebaut. Gleiches gilt für die schwere Metallfernbedienung, die die überschaubaren Bedien-elemente auf der Front des Gerätes durch nützliche Extras wie eine Zehnertastatur und eine Repeat-Funktion ergänzt. Was es mit der „Mode“-Taste auf sich hat, klären wir gleich Die Knöpfe am Gerät besitzen eine stattliche Größe und einen satten Druckpunkt und sorgen für eine angenehme Haptik, die sich äußerst wohltuend von den fitzeligen Schalterchen anderer CD-Player abhebt. Dass sich die Entwickler auch scheinbar nebensächlichen Details zuwenden, zeigt sich an der markierten Netzphase, am Display und an der LED für die Betriebsanzeige. Aufmerksame Leser wissen, dass ich an der übertriebenen Lightshow vieler HiFi-Komponenten leidenschaftlich gerne herumnörgele. Liebe Mitbewerber: Wenn ihr an euren Geräten schon keine Möglichkeit implementiert, die Lichtquellen zu dimmen oder abzuschalten, dann nehmt euch doch bitte ein Beispiel am Line Magnetic LM-215CD. Sein Display ist hell genug, dass man es auch vom anderen Ende des Raumes problemlos ablesen kann, und leuchtet trotzdem so dezent, dass es im Dunkeln keine Schatten wirft. Die LED auf der Front orientiert sich nicht nur in Sachen Intensität am zurückhaltenden Display, sondern besitzt mit ihrem angenehmen Orangeton auch noch eine mit den roten Leuchtziffern bestens harmonierende Farbe. Vorbildlich.
Nehmen wir einmal an, Sie wären mit dem Klang des LM-215CD bei fast allen CDs hochzufrieden, aber es gäbe da den ein oder anderen Silberling, der von einer minimal abweichenden Charakteristik durchaus profitieren könnte. Sogar an diesen Fall haben die pfiffigen Entwickler gedacht: Die Mode-Taste der Fernbedienung ermöglicht es, zwischen zwei Digitalfilter-Varianten umzuschalten, die im Display als „SLO“ beziehungsweise „SHA“ angezeigt werden. Wofür diese beiden Kürzel stehen oder um welchen Typ von Ausgangsfilter es sich dabei jeweils handelt, war leider nicht exakt in Erfahrung zu bringen. Ich vermute allerdings, dass hiermit bestimmte Digitalfilter-Charakteristika („slow“ bzw. „sharp“) angewählt werden, man also zwischen optimiertem Phasen- und Frequenzgangverhalten umschalten kann.
Meine Ohren bevorzugen jedenfalls den Filter SLO; mit ihm habe ich die meiste Zeit gehört. Riesig sind die Unterschiede freilich nicht. SLO sorgt für einen Hauch mehr Geschmeidigkeit und Kohärenz sowie für einen etwas substanzielleren Grundton. SHA klingt dagegen eine Spur nüchterner und heller. Stimmen und virtuelle Räume wirken mit SLO wiederum einen Tick überzeugender respektive ausgedehnter. Und was ist jetzt neutraler? Das dürfen Sie entscheiden.