Lehmannaudio Linear D II – Sanfte Evolution
Lehmannaudio optimiert das Multitalent Linear D und erschafft dabei stressfreie Klangwelten.
Fotografie: Ingo Schulz
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Oh, eine schicke schlichte Zigarrenkiste, denke ich, während ich den Linear D II aus dem Hause Lehmannaudio in meinen Händen wiege. Ich habe ja ein ausgesprochenes Faible für Geräte mit einem gewissen Understatement. Keine Materialprotzerei, kein pseudoavantgardistischer Designunfall, aber dennoch eine unverkennbare Formensprache. Der Linear D II ist auf Anhieb als Gerät von Norbert Lehmann identifizierbar. So muss es sein. Mit seiner äußerst schmalen Front und dem weit in die Tiefe ragenden Korpus wirkt der Linear D II auf den ersten Blick wie ein typischer Old-School-Vertreter des Gerätetyps Kopfhörerverstärker, der ganz praktisch neben dem Vollverstärker auf dem Rack seinen Platz finden kann. Und schon sind wir auf den äußeren Schein reingefallen. Der Linear D II ist viel mehr: ein kompletter Vorverstärker mit Anschluss für zwei Digitalquellen, einem Line-Eingang und mit Klinkenbuchsen für zwei Kopfhörer. In die Schublade „Kopfhörerverstärker“ passt er deshalb nicht mehr so recht. Was freilich heißt, dass wir einen dreifachen Hörmarathon vor uns haben, gilt es doch sowohl die Verstärkungsqualitäten des Kopfhörerausgangs und des Vorverstärkerausgangs als auch die Wandlungsgüte der Digitalsektion unter die Lupe zu nehmen. Sie merken schon jetzt, das längliche Kistchen hat es in sich.
Innovative Weiterentwicklung
Bewährtes beibehalten, wenn möglich optimieren, neue Entwicklungen aufnehmen und nach genauer Abwägung integrieren – so sieht in meinen Augen die durchdachte Weiterentwicklung eines Geräts aus. Es ist eine Kombination aus Erfahrung und innovativer Neugierde, die zu den wirklich überzeugenden Produkten führt. Man muss einerseits nicht zwingend das Rad neu erfinden, und andererseits sollte man sich nicht auf vermeintlichen Lorbeeren ausruhen. Insofern spricht eigentlich alles für die sogenannten SE- und MK-II-Serien, die weltweit in schöner Regelmäßigkeit von den Herstellern einige Jahre nach Markteinführung des Ursprungsmodells nachgeschoben werden. Wir kennen dabei aber auch alle die mitunter enttäuschten Blicke, wenn so gar kein Unterschied zum Vorgängermodell festzustellen ist, oder aber wenn die Ur-DNA plötzlich komplett verschwunden und nur noch die Typenbezeichnung identisch ist. Warum also nun ein Linear D II? Hat das bereits bewährte Vorgängermodell von Lehmannaudio überhaupt eine Zweitversion nötig? Beschäftigt man sich schon länger mit den Verstärkern Norbert Lehmanns, so fällt immer wieder angenehm auf, dass diesen alles Marktschreierische fremd ist, dass Innovationen behutsam entwickelt werden und häufig hinter einer unscheinbaren Fassade versteckt liegen. Nicht das Höher-Schneller-Weiter, der kurze heftige Reiz ist das Ziel, sondern die lange Wegstrecke einer Produktentwicklung, die letztendlich zu ausgegorenen Ergebnissen führt. Insofern trifft sich hier die Philosophie Norbert Lehmanns durchaus mit meinen Idealen.
Digital neu gedacht
Etliche Neu- bzw. Weiterentwicklungen betreffen die Digitalsektion des Linear D II. Dies kommt nicht von ungefähr, ist es doch gerade die aktuelle Wandlertechnik einschließlich der Innovation bei der Chipentwicklung, die hier ein beständiges und offenes Ohr erfordert. In unserem Gespräch verwies Nobert Lehmann aber auch darauf, dass nur die Verwendung der neuesten Chip-Generation noch keine Garantie für klangliches Gelingen sei, es vielmehr auf die Gesamtintegration innerhalb des Geräts, auf die Stromversorgung und auch die analoge Weiterverarbeitung ankäme. So gelangt nicht nur der aktuelle Spitzenwandler 9018K2M von ESS Technology zum Einsatz, sondern dessen Implementierung mittels verlustarmer Glimmerkondensatoren steht hier im Vordergrund, mit Auswirkungen sowohl auf den Chipbereich als auch auf den umfangreichen Filterbereich. Im analogen Verstärkerbereich finden sich ebenfalls zahlreiche Neu- und Weiterentwicklungen. Aufgrund der hervorragenden klanglichen Erfahrungen haben nun die Mundorf-Kondensatoren aus dem Linear SE im Netzteil und im Signalweg des Linear D II ihren Platz gefunden. Eine komplette Neuentwicklung ist die Analogplatine in LowZ-Kupfer-Ausführung, die zwar mit einem Kostenfaktor zehn zu Buche schlägt, aber nicht nur messtechnisch die wesentlich besseren Ergebnisse zeigt, sondern im Wesentlichen für eine deutlich spürbare Dynamikverbesserung sorgt.
Genialer Bedienungskomfort
Lobenswert ist es immer, wenn Neuerungen nicht nur in der Technik Einzug halten, sondern sich unmittelbar für den Nutzer im Bedienkomfort zeigen. So kommt hier die Input-Autosense-Technik zum Einsatz, die einen Eingangswahlschalter überflüssig macht, da das angelegte Signal sofort erkannt und der entsprechende Eingangskanal automatisch freigeschaltet wird, und zwar in der priorisierten Reihenfolge von digital zu analog. Sehr praktisch und vor allem bequem! Eine weitere Entwicklung, die das Handling der Geräte vereinfacht, betrifft das Ausphasen, das nun entfällt. Der Störschutz-Ringkerntrafo des Linear D II verfügt über eine sogenannte Schirmwicklung zwischen Primär- und Sekundärwicklung, die separat mit Erdpotenzial verbunden ist. Bei Geräten ohne dieses Feature hat Norbert Lehmann bisweilen in eine Richtung des Netzsteckers 28 V und in die andere Richtung 12 V gemessen. Ein unmissverständlicher Hinweis des Ingenieurs, gerade bei günstigen Steckernetzteilen auf die korrekte Phasenlage zu achten. Bei dem hier eingesetzten Trafo kann man aufgrund der geerdeten Schirmwicklung hingegen nur Differenzen im Millivoltbereich erfassen.
Stressfreies Dauerhören
Beginnen wir also mit der ersten Versuchsanordnung, bei der zunächst der Kopfhörerausgang des Linear D II meinen Focal Utopia befeuern darf. Als Zuspieler fungiert ein CD 5003 aus dem Hause Marantz, der trotz seines geringen Preises auf ganz erstaunliche Weise offenbart, wie weit mittlerweile die digitale Wandlertechnik gediehen ist, zeigt er doch so manchem Boliden aus den 1990er und frühen 2000er Jahren die Rücklichter. Ich habe diesen Einstiegs-CD-Player noch aus einem zweiten Grund als initialen Sparringspartner ausgewählt: Er soll auch aufzeigen, inwiefern die Wandlung des Linear D II seiner eigenen analogen Ausgangsstufe überlegen ist – eine unüberwindliche Hürde wollte ich aber auch nicht aufstellen. Erwartungsgemäß stellen die 80 Ohm des Utopia keine Herausforderung für den Verstärker dar, aber auch den trotz seiner 35 Ohm schwieriger zu treibenden HiFiman HE 400i nimmt sich der Linear D II ohne den geringsten Leistungseinbruch zur Brust. An meinem Focal Utopia schätze ich ja besonders, dass er als unbestechliche akustische Lupe fungiert und musikalische Details nicht in einem unendlichen Raum spektakulär, aber nicht klar verortbar verteilt, sondern zu jeder Zeit das musikalische Geschehen präzise fokussieren kann. Nachteil dieser unbestechlichen Qualität ist freilich, dass im Frequenzspektrum schlecht ausbalancierte Aufnahmen sofort unangenehm ohrenfällig werden, insbesondere dann, wenn der Kopfhörerverstärker dazu tendiert, einzelne Frequenzbereiche, insbesondere in den Höhen, extrem auszuleuchten. Nicht so der Lehmann. All die klanglich schwierigen Trip-Hop- und Downbeat-Scheiben, die ich seit einiger Zeit wiederentdecke, sei es Massive Attack oder die genialen Trip-Hop-Damen Nicolette und Erykah Badu, tönen vollkommen stressfrei und ohne jeden Nervfaktor. Die Bässe stehen tief und stabil im imaginären Raum, in den Höhen ist nicht das bisweilen unangenehme Zischeln bei Hi-Hats und Sibilanten zu vernehmen, das mich sonst nicht selten die eine oder andere dieser CDs über Kopfhörer goutieren ließ. Jetzt aber ertappe ich mich dabei, wie ich beinahe die gesamte Nicolette- und Badu-Diskografie in einem Rutsch durchhöre, nicht zuletzt, weil die wunderbaren und so eigenwilligen Frauenstimmen unverfälscht und geradezu verführerisch im Vordergrund des Geschehens stehen.
Ultimativ digital
Zeit, zu schauen, inwiefern die optimierte Wandlersektion meinem CD-Player auf die Sprünge helfen kann. Dafür wähle ich die koaxiale S/PDIF-Verbindung, lege das unbestechliche und garantiert störungsfreie Vovox vocalis IC an und staune. Die Celli und Kontrabässe zu Beginn von Mahlers Zweiter Sinfonie in der alten digitalisierten Decca-Referenzaufnahme mit Georg Solti klingen nicht nur dynamischer als zuvor, das gesamte Klanggeschehen ruht auf einem wesentlich solideren Fundament, die Tiefenstaffelung beim ersten Einsatz der Bläser ist deutlich besser nachvollziehbar. Ich führe diesen Klanggewinn aber weniger auf die Wandlerchips zurück, die sind auch im verwendeten kleinen Marantz auf aktuellem Stand und nicht von schlechten Eltern – vielmehr scheint sich hier die oben beschriebene Implementierungsstrategie Norbert Lehmanns auszuzahlen. Wer ausschließlich an Files und Streaming interessiert ist, der sollte allerdings noch besser zum Linear USB II greifen, der dann über einen USB-Eingang mit XMOS-Schnittstellenbaustein verfügt und sämtliche Abtastraten bis 342 kHz und DOP128 verarbeitet. Der Linear D II ist dagegen das optimale Gerät, um durchaus auch höherwertige CD-Player zu pushen oder eben DVD-Player oder andere AV-Geräte digital in highendige Gefilde zu überführen, wobei der audiovisuelle Gourmet natürlich weniger den Kopfhörer als den klassischen Vorverstärkerausgang nutzen dürfte.
Klein und fein – die perfekte Vorstufe von Lehmannaudio
Zumeist werden die verwendeten Aktivboxen oder die Endstufe über Cinch-Eingänge verfügen, worauf der Linear D II auch ausgelegt ist. Wer sich mit symmetrisch zu verkabelndem Profi-Equipment herumschlagen muss, braucht einen Adapter. Ich habe mir eben schnell ein entsprechend konfektioniertes Kabel besorgt, um momentan zu Probezwecken im Haus befindliche aktive Monitore Neumann KH 80 anzusteuern. Bewusst habe ich dabei einen etwas längeren Signalweg von vier Metern gewählt, um zu sehen, ob die solchermaßen zwangssymmetrierte Verbindung leistungsmäßig Probleme verursacht. Um es kurz zu machen: Was da ohne jeden Leistungseinbruch und mit unglaublichen Reserven aus den kleinen Monitoren tönte, war mehr als überzeugend. Matthew Herberts Bigband-Eskapaden brillieren sowohl bei hingehauchten Soli als auch bei gewaltigen Tutti-Schüben der versammelten Brass-Sektion, aber auch hier ohne jeden Anflug von Schärfe oder Überzeichnung. Tonal absolut unbestechlich, dabei aber wunderbare Klangfarben reproduzierend, gelingt dem Linear D II das A und O einer jeden fortgeschrittenen Vorstufenphilosophie. Und das stets vollkommen ermüdungsfrei. So verwundert es nicht, dass ein Mastering-Crack wie der für BMG oder Sony tätige Maarten de Boer in seinem Tonstudio mittlerweile mit mehreren „Lehmännern“ arbeitet, nicht nur für das Abhören mit dem Kopfhörer, sondern auch als Vorstufe für seine Kombination aus B&W-808-Lautsprechern und Bryston-Endstufen. Ich kann de Boer verstehen, ein solch unkompliziertes und gleichzeitig hochmusikalisches Gerät wie den Linear D II als dauerhaftes Arbeitstier zu verwenden. Selten erlebt man ein Gerät, das optisch und akustisch so angenehm unprätenziös erscheint und vom ersten Ton an den Hörer gefangen nimmt, egal ob als Kopfhörerverstärker oder als Line-Vorstufe. Und dass die Digitalsektion aktuell State of the Art ist, verstärkt den Eindruck eines bis ins Detail gut konzipierten Gerätes. Norbert Lehmann ist eine sanfte Evolution seines Geräteklassikers gelungen, die in allen musikalischen Momenten aufhorchen lässt.
Vorstufe/Kopfhörerverstärker/DAC Lehmannaudio Linear D II
Eingänge analog: Line (Cinch)
Eingänge digital: 2 x S/PDIF (koaxial, optisch)
Ausgänge analog: Pre-Out (Cinch), 2 x Kopfhörer (6,3-mm-Klinke)
Eingangsimpedanz: 47 kΩ
Maximalverstärkung: +0 dB, +10 dB, +18 dB, +20 dB (auf Geräteunterseite schaltbar)
Abtastraten: bis 24 bit/192 kHz
Ausführungen: schwarze oder silberne Front, Chrom gegen Aufpreis (120 €)
Besonderheiten: SSC-Absorberfüße, automatische Quellenwahl, Upgrade-Möglichkeit für alle Linear-Verstärker
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 1900 €
www.lehmannaudio.com
Mitspieler
SACD-Player: Denon DCD 2000AE
Plattenspieler: Technics 1210 MK II (modifiziert)
Tonarm: SME 309
Tonabnehmer: Clearaudio Concept MC
Phonovorverstärker: Audionet PAM
Streaming: Mini Mac mit Audirvana Plus
DAC, Kopfhörerverstärker, Vorstufe: Grace Design M 903
DAC: Schiit Bifrost
Kopfhörerverstärker: Schiit Valhalla
Endverstärker: Yamaha P2500S
Vollverstärker: Classé Audio CAP-151, Cyrus Straight Line
Lautsprecher (passiv): Magnepan 1.5, Triangle Zerius
Lautsprecher (aktiv): Neumann KH 80
Kopfhörer: Focal Utopia, HiFiman HE-400i
Kabel: Van den Hul, Voxox, Sommer
Zubehör: Oyaide, Oehlbach
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