Lehmannaudio Decade Jubilee – Ein ganz großer Kleiner
Der Begriff „konservativ“ hat auch etwas mit konservieren zu tun, eben das Überlieferte zu bewahren. Wer dieses Credo zum obersten Prinzip für sich erkoren hat, dürfte mit dem Lehmannaudio Decade Jubilee so seine Probleme haben. Denn im Vergleich mit der Normalausführung ist in dem Jubiläumsmodell kein Stein auf dem anderen, kein Bauteil unangetastet geblieben. Und das ist gut so!
In aller Kürze
Der Lehmannaudio Decade Jubilee ist ein Phonoverstärker, der Laune macht. Trotz seiner nachgerade genialen SSC-Füße sollte man dem Gerätchen eine stabile Standfläche gönnen und das Netzteil auf Abstand zum eigentlichen Verstärker stellen. Ansonsten gilt: einschalten, warmspielen, Spaß haben!
Vor vielen Jahren, es war wohl am Rande einer ziemlich feuchtfröhlichen Weihnachtsfeier, hatte der Schreiber dieser Zeilen in des Wortes wörtlicher Bedeutung eine Schnapsidee: Das Kreuz schmerzte noch vom Schleppen der letzten Giga-Endstufe oder der kurz vor dem Fest eingetrudelten Monster-Standbox. Wie wäre es, wenn man ein Magazin namens „Minidelity“ herausbrächte, mit dem Fokus auf klitzekleine, aber feine Geräte, die dennoch fantastisch klingen? Nun, der „Minidelity“-Plan löste sich wie der Kater am nächsten Tag in Wohlgefallen auf. Aber manchmal kommen dann doch Meisterstücke auf des Testers Tisch, die haargenau ins Profil passen würden. Lehmannaudios Decade Jubilee gehört zu dieser relativ raren Spezies: zwei kleine, leichte Kisten, die vielfach größere Vertreter ihrer Gattung mit fast aufreizender Lockerheit und Eleganz auf Abstand halten.
Wobei das, was da beim Auspacken des kleinen Kartons zutage kam, zunächst für Irritationen sorgte. Unterscheidet sich doch die „Jubilee“-Version des Decade optisch fast nicht von ihrem Konzernbruder, der mit rund 1500 Euro in der Lehmannaudio-Preisliste steht. Für das Feierbiest muss über das Doppelte einkalkuliert werden.
Für das, was der Bremer Entwickler Norbert Lehmann mit dem Ausgangs-Phonoverstärker angestellt hat, ist „Feintuning“ der falsche Ausdruck. Denn mit der ursprünglichen, schon sehr beachtlich klingenden Maschine hat der Decade Jubilee wirklich nur noch das Gehäuse gemeinsam.
Ein äußeres Unterscheidungsmerkmal gibt es: Die beiden winzigen Kisten – dem Netzteil wurde eine separate Unterkunft gegönnt, damit sich auf keinen Fall Störfrequenzen in den Signalweg schmuggeln können – stehen auf jeweils drei der in der FIDELITY erst vor kurzem getesteten „3S“-Gerätefüße. Gerade für Phono-Gerätschaften, die erfahrungsgemäß empfindlicher als andere Komponenten auf Tritt- und Körperschall reagieren, ist das hier in kompakter Form realisierte „String Suspension Concept“ (SSC) ein echter Segen, die Ausblendung störender Schwingungen resultiert (wie auch im damaligen Test nachzulesen ist) in einer sofortigen Klangverbesserung.
Um eine Jubiläums-Edition nicht nur für Lehmannaudio-Fans auf besagte Füße zu stellen, wäre das für Norbert Lehmann allerdings bei weitem nicht genug. Deshalb wendete er ein Prinzip an, das man aus der Automobilindustrie kennt: Von der weit fortgeschrittenen Technologie der Oberklasse profitieren auch die bodenständigeren Baureihen. Für den Lehmannaudio Decade Jubilee bediente sich Norbert Lehmann bei seinem „Silver Cube“ und schaffte es, dessen Premium-Klang in den deutlich kompakteren Decade zu verpflanzen. Von ihren Marketing-Abteilungen werden Entwickler übrigens für solches Tun gerne geschimpft. Eine S-Klasse in E-Klasse-Format. Unverschämtheit!
Zumal unter der Haube beziehungsweise dem äußerst stabilen Deckel des Decade Jubilee konsequent Top-Technik verbaut wurde. Das fängt beim Netzteil an, das mit Dreifach-Leiterbahnen und noblen Mundorf-Kondensatoren ganz auf stabile Stromlieferfähigkeiten getrimmt wurde.
Der konsequente Ansatz setzt sich in der eigentlichen Verstärkersektion fort. Statt deutlich preiswerterer Doppelrelais kommt jeweils eines pro Kanal zum Einsatz – Übersprechen soll so kein Thema mehr sein. Auch an anderen Stellen setzt der Jubilee auf diskreten Aufbau. „In der Ausgangsstufe setzen wir unter anderem sehr schnelle Kleinleistungstransistoren und Zinnfolienkondensatoren ein“, verrät Norbert Lehmann – den Signalen, die beispielsweise ein MC-Tonabnehmer mit niedriger Ausgangsspannung liefert, soll möglichst wenig im Wege stehen. Vibrationsvermeidung und damit Klangverbesserung steht auch hinter dem mehrschichtigen Aufbau der Hauptplatine. Norbert Lehmann nennt das „Vier-Layer-Prinzip“: Was herumvagabundieren könnte, läuft sich im Materialmix zuverlässig tot.
Dass das funktioniert, hat Lehmann via Universitäts- beziehungsweise Fachhochschulstudie inzwischen schriftlich, mit einer Vielzahl vielsagender Diagramme bestätigt, in denen der Absorptionsgrad des Platinenmaterials bei verschiedenen Frequenzen untersucht wurde. Toter ist nur noch ein schalltoter Raum.
Dazu meint Norbert Lehmann lapidar: „Das läppert sich.“ Stimmt, wie ausgedehnte Hörtests zeigten. Auf dem Plattenteller drehte sich 30, das brandneue Album der stimmgewaltigen britischen Pop-Queen Adele. Mag sein, dass die Sängerin sich musikalisch in den vergangenen Jahren kaum von der Stelle bewegt hat. Aber sie ist immer noch für packende Gänsehautballaden mit Ohrwurmpotenzial gut, die hier für 30 auffällig gut und satt produziert wurden. Mit dem Lehmannaudio Decade Jubilee steht diese unverwechselbare Stimme unverrückbar vor mir, hat Volumen und Körper. Dass der Phonoverstärker wie sein deutlich weniger aufwendiger Konzernbruder ohne „Jubilee“-Tuning ganz bewusst auf der neutralen Seite bleibt, sich jeglicher Euphonie-Zugaben entzieht, macht die Langzeitqualitäten dieser Konstruktion aus. Der Lehmannaudio Decade Jubilee nervt nie. Und die zahlreichen Verbesserungsmaßnahmen schlagen sich in erster Linie in feinerer Auflösung, noch homogenerem Klang und einer Stimmigkeit nieder, die man auch in vielfach teureren Vertretern der Gattung Phonoverstärker bisweilen vergeblich sucht.
Mit großer Klassik – bei mir durfte es Mozart unter Thielemann sein – läuft der Decade Jubilee zu ganz großer Form auf, staffelt das Orchester in Tiefe und Breite weit über die Lautsprecher hinaus. Luftigkeit vereint sich mit unbedingter Stabilität und höchster Klangfarbentreue. Kurz: Mini sind hier wirklich nur noch die Gehäuse.
Info
Phonovorverstärker Lehmannaudio Decade Jubilee
Konzept: Phonovorverstärker für MM- und MC-Tonabnehmer
Besonderheiten: zahlreiche Einstellmöglichkeiten per DIP-Schalter, zuschaltbares Subsonic-Filter (50 Hz, 6 dB/Okt.), separates Netzteil PWX II LC mit Spezialkabel verbunden
Empfindlichkeit 1 kHz (MM/MC): 3,8 mV/0,38 mV
Verstärkung 1 kHz (MM/MC): 46 dB/66 dB
Rauschabstand (MM/MC): 78 dB/69 dB
Verstärkung: 36 dB, 46 dB, 56 dB, 66 dB
Kanaltrennung (10 kHz): > 80 dB
Eingangsimpedanz: 47 kΩ, 1 kΩ, 100 Ω
Ausgangsimpedanz: 5 Ω
Eingangskapazität: 47 pF bis 1370 pF
Maße (B/H/T): 11/5/28 cm, Netzteil 11/5/28 cm
Gewicht: 0,87 kg, Netzteil 1,56 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: um 3400 € (inkl. Netzteil PWX II LC)
Kontakt
Lehmannaudio Vertriebs GmbH
Waltherstraße 49–51
51069 Köln
Telefon +49 221 29493320