Lee Fields – “Ich spüre den Schmerz”
Lee Fields ist einer der großen Soulsänger unserer Zeit. Der Erfolg kam erst, da war Fields schon über 50 Jahre alt. Heute spielt der 73-Jährige ausverkaufte Tourneen und veröffentlicht wunderbare Alben. Gerade ist sein neues Werk Sentimental Fool erschienen. Im Interview mit FIDELITY erzählt Lee Fields, wie er seine so berührenden Klangwelten erschafft, was Gott mit Soulmusik zu tun hat – und warum er Paul McCartney ewig dankbar ist.
FIDELITY: Mr. Fields, Ihr neues Album heißt Sentimental Fool. Sind Sie denn ein sentimentaler Narr?
Lee Fields: Ja. Jeder Mensch macht sich irgendwann einmal zum Narren. Jeder schaut irgendwann zurück und sagt sich: Okay, dies oder das hätte ich mal besser nicht gemacht. Junge Menschen machen Dummheiten, das sollen sie auch, das gehört zum Leben dazu. Im Alter wird man weiser. Manchmal. Die größten Narren sind alte Narren. There’s no fool like an old fool, wie man so sagt.
Was war denn Ihre größte Dummheit als junger Mann?
Ich bin als Teenager allein nach New York gegangen, weil ich so berühmt wie James Brown werden wollte. Ich kam vom Lande und hatte nur einen 20-Dollar-Schein in der Tasche. Das war ziemlich dumm. Klingt vielleicht lässig heute, im Rückblick. Es geschafft zu haben mit so wenig Startkapital. Aber in jenen Tagen war es einfach hart.
Sie haben damals schnell geheiratet. Ihre Ehe besteht nun seit mehr als 50 Jahren. Das klingt nicht nach einem Narren, eher nach einem Helden.
Held? Es ist ganz einfach: Ich habe die richtige Frau geheiratet. Die Chemie stimmte von Anfang an. Wir waren erst Freunde, dann haben wir geheiratet. Das ist mein Rat an alle, die sich über hohe Scheidungsraten beschweren: Heirate nur jemanden, mit dem du auch befreundet bist.
Sentimental Fool ist Ihre erste Platte auf dem Soul-Label Daptone mit Chef Gabriel Roth als Produzenten. In den Liner Notes erklärt Roth, durch Sie hätte er vor 25 Jahren die Liebe zum Soul entdeckt. Warum kommen Sie beide erst jetzt zusammen?
Es war Gottes Plan. Alles hat seine Zeit, seinen Ort. Gabe Roth und ich sind unsere Wege gegangen, die uns jetzt zusammen ins Studio führten. Warum das so war oder ob es schon früher gepasst hätte, darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich bin ein sehr gläubiger Mensch. Ich vertraue auf Gott. Alles in unserem Leben verläuft nach Gottes Plan. Daraus schöpfe ich mein Vertrauen ins Leben.
Roth sah Sie live spielen, da war er 21. Er wurde zu einem der bekanntesten Produzenten und Labelmanagern der Welt. Er verhalf zum Beispiel Amy Winehouse zum Erfolg …
… und genau das meine ich. Alles soll so sein, wie es ist. Gott teilt sich uns auf mystische Weise mit. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt für Gabe und mich.
Aber warum haben Sie das Album in Kalifornien aufgenommen? Das Hauptstudio von Daptone ist in Brooklyn, New York. Sie leben in New Jersey und hätten zur Arbeit pendeln können. Braucht Soul Sonne?
Ha! Das kann schon sein! Gabe hat dort ein zweites, neueres Studio. Er wollte auf jeden Fall, dass wir dorthin gehen. Er hat die letzten Jahre sehr viel Energie in das neue Studio gesteckt. Soul ist ja kein Genre, er ist vielmehr ein Blick aufs Leben. Wenn ich Soul singe, dann bin ich in einer anderen Welt. Das haben wir in Kalifornien, glaube ich, gut eingefangen.
Wie bringen Sie sich in die Stimmung für solch intensiven Soulgesang? Man glaubt Ihnen ja jedes Wort, das Sie singen.
Ich setze mich lange, bevor die erste Aufnahme startet, mit den Songs auseinander. Wie ein Schauspieler mit seiner Rolle. Mit dem Text, mit dem Gefühl des Songs. Ich werde zu dem, der den Song singt. Zu dem Charakter, um den es im Text geht, der von seiner Liebe singt, von seinen Gefühlen. Das bin dann ich. Ich spüre den Schmerz.
Schon beim ersten Hören von „Just Give Me Your Time“ habe ich eine Gänsehaut bekommen. Das passiert nicht so oft.
Das ist schön. Wenn ich darüber singe, dass ich einen Menschen verloren habe, über die Suche nach Liebe, über einen sentimentalen Narren, dann lebe ich das. Ich bin das. Das fühlt sich ganz real für mich an. Ich spüre den Regen auf der Haut, wenn ich vor der Tür der Frau stehe und ihr meine Liebe verspreche, wie in „Just Give Me Your Time“.
Die meisten Songs auf Ihren Platten sind sehr ruhig, mit einem auch klanglich gefühlvollen Touch. Dabei haben Sie früher Funk gespielt. Man nannte Sie „Little JB“, weil Sie klangen wie James Brown. Wird man im Alter sentimentaler?
Ach, mit dem Alter hat das nichts zu tun. Manche Menschen werden mit einer alten Seele geboren. Michael Jackson zum Beispiel hatte eine alte Seele. Das beeinflusst die Fähigkeit, sich mit fundamentalen Gefühlen auseinanderzusetzen. Sie zu Kunst zu machen. Das ist mir auch gegeben. Früher habe ich mich in einer anderen Art ausgedrückt, funky. Jetzt ist es der Soul. Das kam von ganz allein. Wenn ich in „Two Jobs“ über den Typen singe, der sich jeden Tag in zwei Jobs abkämpft, um irgendwie durchzukommen, dann ist das Soul. Ich singe über das, was viele von uns beschäftigt. Das berührt die Menschen. Es ist ihr Leben, ihre Realität. Das ist Soulmusik.
„Little JB“ hat man Sie vermutlich schon länger nicht mehr genannt?
Nein, ich bin Lee Fields. In den siebziger Jahren habe ich mich langsam, aber sicher von diesen Brown-Vergleichen gelöst. Davor bin ich oft mit James-Brown-Songs aufgetreten. Mit meiner ersten Platte war klar: Ich bin Lee. Nicht James.
Trotzdem rief Hollywood 2014 Sie an, als man für den James-Brown-Film Get On Up ein paar gute Gesangsspuren benötigte. Sie sangen für Schauspieler Chadwick Boseman, der später als Black Panther in der Marvel-Filmreihe zu Weltruhm kam.
Man wusste, wenn einer wie James Brown klingt, dann Lee Fields. Großartige Sache. Aber all die Menschen, die heute rund um den Globus zu meinen Konzerten kommen, die wollen Lee sehen. Da erwartet niemand eine James-Brown-Revue.
Haben Sie James Brown eigentlich mal getroffen? Er war elf Jahre älter als Sie, kam auch aus dem Süden …
Ja. Vor vielen Jahren. Wir haben uns bei einem Konzert in Newark getroffen, in New Jersey, nicht weit von meinem Zuhause. Guter Typ, ich mochte ihn. Auch seine Familie habe ich getroffen, unten im Süden, später. Sie sagten, sie wollten mich adoptieren, ich sei fast wie ein Mitglied der Familie für sie. Das war nett gemeint.
Sie haben es eben schon gesagt: Wegen James Brown sind Sie als Teenager nach New York gezogen. Sie wollten berühmt werden wie er.
Ja und nein. Mich hat seine Musik fasziniert. Aber wirklich beeindruckt haben mich damals die Beatles. Als ich die in der Ed Sullivan Show im Fernsehen sah, war die Welt nicht mehr dieselbe für mich. Die Beatles waren für mich … Ja, wie soll ich das sagen? Die Beatles waren irgendwie futuristisch. Die kamen von einem anderen Stern. Sie haben alles auf den Kopf gestellt. Allein der Drummer auf seinem Podest, das hatte ich noch nie gesehen!
Haben Sie denn Paul McCartney mal getroffen?
Leider, leider nein. Das wäre noch ein Highlight im Leben, wirklich wahr. Die Beatles sind für mich die beste Musikgruppe, die es jemals gegeben hat.
Sie leben seit 50 Jahren in Plainfield, New Jersey. Man nennt es auch das Colorado des Ostens, wegen des guten Klimas. Können Sie das bestätigen?
Sagt man das? (lacht) Mir ist das Klima jedenfalls immer gut bekommen. Hier fühle ich mich daheim, hier gehöre ich hin. Auch das ist Gottes Plan. Alles ist so, wie es sein soll. Nichts ist Zufall.
George Clinton wuchs in Plainfield auf und begründete hier den P-Funk. Zuvor hat er als Frisör gearbeitet. Hat er Ihnen mal die Haare geschnitten?
Nein, das war nicht meine Welt, George ist ja auch älter als ich. Mein älterer Bruder, der war eng mit George befreundet, die hingen ständig zusammen ab.
Gab es nie das Angebot an Sie, Teil der P-Funk-Funkadelic-Family zu werden?
Nein. Aber ich habe mit vielen von Georges Musikern gearbeitet. Mit Glen Goins, der auch aus Plainfield stammte. Er war ja der Leadsinger von Parliament, verstarb leider sehr früh. Oder mit Eddie Hazel, dem Gitarristen von Funkadelic.
Sie sprachen eben Ihr erstes Album an, Let’s Talk It Over von 1979. Auf dem Cover tragen Sie ja einen wunderbaren Anzug, mit einem sehr coolen Muster.
Ja, der hatte Stil. Natürlich, denn meine Mutter hatte ihn geschneidert. Meine Mutter hat damals alle meine Bühnenklamotten selbst gemacht. Sehr futuristische Sachen. Dieser Anzug im Speziellen macht meine Mutter unsterblich für mich. Überall begegnet mir dieses Foto, und ich werde an meine Mutter erinnert. Bei meinem Auftritt heute Abend werde ich ihrem Geist erzählen, dass wir uns heute über ihre Anzüge unterhalten haben. Das wird sie freuen. (lacht)
Lee Fields ist einer der letzten großen Soulsänger. Geboren 1950 in North Carolina, zog er als Teenager nach New York, um zu werden wie James Brown. Seine erste Platte nahm er 1979 auf, Let’s Talk It Over, doch in den achtziger Jahren war Soul kaum gefragt. Fields tourte durch die Südstaaten, spielte Soul und Blues, bis er in den 2000er Jahren von den jungen weißen Soulmusikern rund um den heutigen Daptone-Labelchef Gabriel Roth entdeckt und gefördert wurde. Er nahm mehrere Alben mit seiner Band The Expressions auf, darunter das erfolgreiche Faithful Man, arbeitete aber jetzt bei seinem neuen Werk Sentimental Fool erstmals eng mit Roth zusammen. Lee ist seit mehr als 50 Jahren verheiratet, lebt in New Jersey, ist Vater von drei Kindern, hat sechs Enkel und acht Urenkel.
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