Der Schöpfer der Leben Geräte und frühere Luxman-Entwickler Taku Hyodo zählt zu den größten Röhren-Koryphäen Japans. Es gibt dort sogar einen Leben Fanclub. Ob man dem wohl auch als Deutscher beitreten kann?
Soso, Sie haben also trotzdem umgeblättert. Sie glauben offenbar, dass die Warnung auf der ersten Seite nicht Ihnen gilt. Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen, weise ich gleich zu Beginn ausdrücklich darauf hin, dass ich mit den folgenden Zeilen niemandem irgendetwas unterstellen möchte. Aber höchstwahrscheinlich werden Sie sich von gewissen Textpassagen ohnehin nicht angesprochen fühlen … „Moment mal, Warnung? Welche Warnung? Ich habe doch nur die freundliche Einladung angenommen, die auf dem Gehäuse der Röhren-Endstufe steht!“ Oh – dann nehme ich selbstverständlich alles zurück! Da Sie den Satz so auffassen, droht Ihnen keine Gefahr, im Gegenteil: Treten Sie bitte unbedingt näher, denn dieser Verstärker ist ausschließlich für Leute wie Sie gemacht.
Sicherlich verstehen Sie, warum die japanische Firma Leben das zweideutige Statement auf ihr Gerät gedruckt hat: Als Hersteller solcher Maschinen möchte man einerseits musikbegeisterte Menschen auf sich aufmerksam machen, andererseits sich ein völlig anders orientiertes Klientel vom Leibe halten. Sie wissen schon: Ich spreche von den Durchgeknallten, die diese abgedrehten HiFi-Magazine lesen. Die interessieren sich natürlich einen feuchten Kehricht für einen Verstärker, der ihr „lebenslanger Partner“ sein möchte. Und „leben mit Musik“ wollen die schon gleich dreimal nicht. Nein, mit Musik haben die eh nix am Hut. Die wollen nur mit HiFi spielen und haben mit ihren Komponenten bloß kurze Affären statt langjährige Beziehungen. Wehe, wenn der Frequenzgang nicht perfekt linear verläuft, der Raum nicht ausreichend tief oder der Oberbass nicht plastisch genug ist: Dann wird sofort der nächste Testsieger angeschafft. Ist es nicht überaus amüsant, dass ausgerechnet die von sich selber behaupten, es ginge ihnen im Grunde nur um die Musik, und HiFi sei für sie lediglich Mittel zum Zweck? Hahaha … aber ich schweife ab.
Wetten, dass einige der Unverbesserlichen immer noch mitlesen? Die lassen sich erst abschütteln, wenn sie kriegen, was sie wollen. Ich hoffe, Sie sehen mir nach, dass ich jetzt mal kurz über total Nebensächliches rede. Danach sind die Verwirrten endlich weg und wir können uns ungestört über die wirklich wichtigen Dinge unterhalten. Also: Zweifellos gibt es tonal unangreifbarere Endstufen als die Leben CS1000P, aber die Japanerin leistet sich auch keine groben Ausrutscher. Letztere wären angesichts der 10 000 Euro, die sie immerhin kostet, sowieso inakzeptabel. Konkret kommt ihr Klangbild eine Spur wärmer und körperhafter daher als vielerorts üblich. Das mag auf der einen Seite daran liegen, dass sie ganz oben etwas weniger Energie freisetzt als beispielsweise ein Audiomat Solfège. Sie liefert zwar durchaus eine dem Franzosen vergleichbare Menge an Hochton-Details, aber sie setzt sie zurückhaltender in Szene. Auf der anderen Seite kommt ihr erdigerer Eindruck dadurch zustande, dass ihr Bass schön rund und kräftig ausgeprägt ist. Er darf jedoch an einer etwas längeren Leine ausschwingen als zum Beispiel die subsonischen Urgewalten der transistorisierten Cary SA-200.2 aus FIDELITY Nr. 3 (Ausgabe 5/2012).
So, das war’s auch schon; ab jetzt sind wir definitiv unter uns und ich kann ungeniert über das Wesentliche reden: Die Leben CS1000P macht unfassbar gut Musik! Mir graut schon vor dem Tag, an dem ich sie wieder zurückgeben muss, denn sie öffnet eine Tür zum innersten Geschehen auf meinen Tonträgern, die mir bislang verschlossen blieb. Von Vorverstärkern ist ja allgemein bekannt, dass sie mit ihrem Charakter eine Kette dominieren können. Deshalb hatte ich zunächst die Leben RS100U als wichtigsten Drahtzieher des grandiosen Klangs im Verdacht. Peter Schmitz vom deutschen Vertrieb Preference Audio hat mir die Line-Vorstufe freundlicherweise zur Verfügung gestellt, und sie ist ohne Frage ein absolutes Sahneteilchen. Außerdem ist sie für das, was sie kann, mit 3800 Euro vergleichsweise billig bepreist. Aber die CS1000P entfaltet ihren Zauber auch ohne die RS100U. Woher ich das weiß? Ganz einfach: Die nagelneue (und bislang größte) Leben-Endstufe besitzt einen praktischen Eingangspegelsteller, sodass man eine Quelle direkt an sie anschließen kann. Okay, im Teamwork mit dem Preamp klingt sie trotz des erheblich längeren Signalwegs noch eine Idee farbiger und runder, aber auch ohne „Vorarbeiter“ ist ihr Klang schlichtweg fantastisch.
Um das an ihren versenkt montierten Cinchbuchsen eingehende Signal kümmert sich pro Kanal zunächst eine Doppeltriode des Typs 6922 von Electro-Harmonix. Sie ist pinkompatibel zur 6DJ8 sowie zur ECC88 und übernimmt in einer SRPP-Schaltung (Shunt Regulated Push-Pull) die Spannungsverstärkung. Die nachfolgende Treiberstufe ist ebenfalls mit einer Doppeltriode bestückt, und zwar mit der 6FQ7/6CG7 von RCA. Mit welchen Röhren es in der Push-Pull-Ausgangsstufe weitergeht, liegt ganz beim glücklichen Besitzer der CS1000P. Die Leben-Endstufe ist nämlich ein überaus flexibles Kerlchen, in das Sie nach Belieben außer dem serienmäßigen KT120-Quartett von Tung Sol auch jeweils ein Vierer-Set KT88, KT77, KT66, EL34, 6550A/C, 6L6GC oder 350B stecken können. Damit das funktioniert, muss natürlich der Ruhestrom für jeden Röhrentyp individuell angepasst werden. Dafür besitzt unser vielseitiges Maschinchen ein hochpräzises Zeigerinstrument vor dem schwarzen Netztrafo und einen Drehschalter, mit dem sich jede Röhre einzeln anwählen lässt. Über vier Schlitzschrauben kann dann der Ruhestrom exakt justiert werden.
Als entstünden aus den vielen verwendbaren Röhrentypen noch nicht genug Wahlmöglichkeiten, kann mittels eines Drehreglers auf der Rückseite auch noch die Impedanz der feinen Ausgangsübertrager auf 4, 6, 8 oder 16 Ohm eingestellt werden. Außerdem lässt sich die Endstufe über einen weiteren großen Hebel entweder im Pentoden- oder im Trioden-Modus betreiben. Wie Sie sehen, sind der Anpassung an Geschmäcker und Lautsprecher fast keine Grenzen gesetzt.
Was die Ausgangsröhren angeht, habe ich mich auf die mitgelieferte KT120 beschränkt, da die Leben CS1000P mit dieser Röhre entwickelt wurde. Zwei der enorm potenten Beam-Power-Tetroden stellen satte 100 Watt pro Kanal zur Verfügung; in Trioden-Schaltung sind es immer noch stattliche 70 Watt. Laut Hersteller soll die Endstufe die für eine übertragerbestückte Röhre sehr hohe Bandbreite von 10 Hertz bis 150 Kilohertz (Pentode) beziehungsweise von 10 Hertz bis 120 Kilohertz (Triode) abdecken. Und wer einen Blick ins Innenleben riskiert, findet dort genau das vor, was außen auf der dunkelgrauen Übertrager-Abdeckung in Schreibschrift zugesichert wird: Handverdrahtung vom Allerfeinsten.
Ich finde übrigens, dass die Leben-Endstufe mit ihren freistehenden Gläsern, den angeschrägten Vorder- und Rückseiten und den (vielleicht eine Spur zu rustikal wirkenden) Echtholzwangen eine in sich absolut stimmige, klassische Röhrenverstärker-Optik hinlegt. Sie ist ein wahrer Genuss für Auge, Ohr und Nase. Jawohl: Nase! Das Gerät verströmt im Betrieb einen dezenten, aber überaus angenehmen „elektrischen“ Geruch – wie ein neues Auto, also dürfte sich das auch wieder verlieren … Für mich ist sie die Bestriechende ihrer Art; und sobald sie im Triodenbetrieb läuft, ist sie auch die Bestklingende.
Gewiss, wenn der Schalter auf „Pentode“ steht, haben Klangkörper und Bässe noch etwas mehr Kontur, und auf der virtuellen Bühne werden die Akteure noch einen Hauch klarer voneinander separiert … Aber bevor wir gleich wieder die Wirrköpfe am Hals haben, die wir vorhin nur so mühsam losgeworden sind, schlage ich vor, dass wir diesen Dingen nicht weiter nachgehen. Es handelt sich aus der Perspektive eines Klangfreaks ohnehin nur um einen marginalen Unterschied. Der Umstieg von Pentode auf Triode bedeutet sozusagen einen kleinen Schritt für den HiFi-Fan (und zwar einen zurück), aber unter Umständen einen sehr großen für den Musikliebhaber auf sein Ziel „emotionales Erlebnis“ hin. Warum „unter Umständen“? Nun, weil das Ganze davon abhängt, wie sehr ein Hörer gewohnt ist, bei der Beurteilung des Gehörten seinem Bauchgefühl zu folgen. Wenn er sich an vermeintlich objektivierbaren Kriterien festklammert und dadurch Distanz aufbaut, bleibt es ein subtiler, beinahe vernachlässigbarer Unterschied. Wenn er aber loslässt; wenn er sich dem hingibt, was auf emotionaler Ebene mit ihm geschieht und seine subjektiven Eindrücke als real annimmt, kann es ein gewaltiger sein. Dann wird es beim Musikhören mit der Leben-Endstufe praktisch unmöglich, sich mit Klangfragen jedweder Art zu beschäftigen. Die wiedergegebene Musik fordert, ja erzwingt regelrecht die volle Aufmerksamkeit des Zuhörers. Die Japanerin erzeugt keine körperlosen, pseudovisuellen Panoramen; keine ätherische Raumabbildung als Selbstzweck, in die man ohne emotionale Beteiligung quasi „mit den Ohren hineinschauen“ kann. Zwar sind ihre Räume durchaus herrlich dreidimensional, aber sie wirken nicht artifiziell, sondern organisch. Sie lenken nicht von der Musik ab. Die virtuellen Musiker besitzen eine fast physisch spürbare Präsenz – als wären sie tatsächlich im Zimmer anwesend. Wichtig ist nicht, wo im Raum sie sich befinden, sondern was sie dort tun, wie sie es tun und warum sie es tun. All das erfährt man bis ins kleinste Detail, und genau darum übt die Musik einen so unwiderstehlichen Sog auf den Hörer aus.
Übrigens: Die vier leistungsstarken KT120er generieren selbst im Triodenbetrieb so viel unnachgiebigen Saft, dass kaum ein Lautsprecher bei halbwegs zivilen Pegeln ihrer Kontrolle entgleiten wird. Meine Capriccio Continuos sind keine Wattverächter, aber sie lieben die Leben CS1000P. Die kleinen Monitore mit ihren überschaubaren 87 dB Wirkungsgrad blühen an der Power-Triode richtiggehend auf, spielen mit echtem Nachdruck und auch im Frequenzkeller niemals zu weich. Und was sie mit der CS1000P erst aus der menschlichen Stimme machen, ist schon beinahe nicht mehr von dieser Welt.
Kennen Sie das neue Album der jungen Londoner Band The xx? Die melancholischen Popsongs auf Coexist leben von der konzentrierten Reduktion: von einer kühlen Soundästhetik, spärlich eingesetzten Instrumenten, repetitiven Sythesizer-Effekten und ganz besonders vom intimen Gesang des Duos Romy Madley Croft/Oliver Sim. Was den beiden an stimmlicher Wandlungsfähigkeit abgeht, machen sie dank der Leben CS1000P mit immenser emotionaler Intensität wett. So haben die hypnotischen Stücke keine Chance, in abweisende Sterilität abzudriften oder in ihre wenigen Bestandteile zu zerfallen. Mit Taku Hyodos neuem Verstärker weiß man sofort: Hier ist weniger mehr. Viel mehr!
Mir liegt ein Wort auf der Zunge, das wunderbar zusammenfasst, wonach diese geniale Röhren-Endstufe klingt … Es hat mit natürlicher Farbenpracht, verschwenderischer Vielfalt, unbändiger Energie und echter Freude zu tun … Jetzt hab ich’s: Leben!