Laute Tomate, leise Clematis
Pflanzen singen. Das haben nun Biologen der Universität Tel Aviv in Israel entdeckt – und danach geforscht, was die Laute einer Tomate oder Clematis bedeuten könnten.
Neulich berichtete ich von einer Studie zum Balzverhalten von Mäusen. Verhaltensforscher der Universität Wien hatten herausgefunden, dass männliche Mäuse singen, wenn sie um eine Partnerin werben. Obwohl Wissenschaftler ja sogar bis in sehr weit entfernte schwarze Löcher oder tiefste Unterwassergräben hineinlauschen, hat man das Gesangstalent der Mäuse erst jetzt entdeckt. Zum einen, weil der Mensch – das ist meine eigene Theorie – nur das hört, was er hören will. Mäusetenöre gehörten bis jetzt nicht dazu. Zum anderen sind die Liebeslieder der Mäuse tatsächlich nur für Mäuseohren gedacht. Ohne Spezialverstärker hören wir gar nichts, denn Mäuse singen im Ultraschallspektrum.
Warum ich das hier wiederhole? Weil ich mittlerweile noch etwas Interessantes dazugelernt habe in Sachen verkannter Gesangstalente. Auch Pflanzen singen. Das wiederum haben nun Biologen der Universität Tel Aviv in Israel entdeckt. Allerdings singen Pflanzen nicht, um andere Vertreter der Flora zur Partnerschaft zu animieren – was bei den allermeisten Pflanzen vermutlich nur unerfüllte Sehnsucht und schlussendlich tiefe Enttäuschung hervorrufen würde. Schließlich ist man – res natura – überwiegend fest verwurzelt im Hier und Jetzt und Mutterboden. Damit ist man recht immobil, was wiederum zum Beispiel die Verabredung zu einem ersten Date für jede Primel oder Palme zu einem Ding der Unmöglichkeit macht. Vielleicht liegt darin die Erklärung, warum Pflanzen nicht im herkömmlichen Sinne singen, sondern eher ungehalten grummeln, entnervt meckern oder, wenn’s ernst wird, vor Angst laut schreien. Wobei „laut“ eine Bewertung strikt aus Pflanzenperspektive darstellt. Wir Menschen sind, wieder einmal, taub auf diesem Ohr.
Jedenfalls geben gestresste Pflanzen Laute von sich, die noch aus mehreren Metern Entfernung zu hören sind – für andere Pflanzen, und auch für Tiere. Die Art der Kommunikation entspräche der Art des schlechten Tages, den sie haben, so die Forschung. Offenbar klingen die Laute, mit hochempfindlichen High-End-Mikrofonen aufgezeichnet, wie nervös knallende Geräusche. Sie sind, so die ersten Vermutungen aus Tel Aviv, ein Nebenprodukt der Kavitation, bei der winzige Bläschen platzen und Mini-Schockwellen im Gefäßsystem der Pflanze erzeugen. Die Forscher konzentrierten sich beim Lauschangriff auf Tomaten- und Tabakpflanzen, da diese leicht zu züchten sind und über eine gut erforschte Genetik verfügen. Die Pflanzen wurden in schalldichte Holzkisten gesetzt und zwei Mikrofone auf ihre Stängel gerichtet. Richtig „laut“ wurde es, wenn Frau Tomate oder Herr Tabak dehydriert und somit durstig waren – oder ihre Stängel abgeschnitten wurden, was den Angriff von Pflanzenfressern simulierte.
Man könnte sich jetzt fragen, was eine singende Maus oder eine laute Tomate in FIDELITY verloren hat. Natürlich kann man sich auch zu den Themen dieser Tage auslassen: Roger Waters, Rammstein … Muss man aber nicht.
Ich setze mich lieber auf den Balkon, mache das Handy aus und beuge mich vor. Lausche am Stiel meiner Balkon-Clematis. Es war ein heißer Tag. Knackt es da verärgert? Ich singe leise, ganz leise eine beruhigende Weise ins Blattwerk. Die Solarbewässerungsanlage stillt, fein summend, tröpfchenweise und genau auf die Bedürfnisse einer mittelhohen, im Halbschatten wachsenden Clematis abgestimmt, ihren Durst. Höre ich da ein sanftes, ein zufriedenes Seufzen? Ich glaube ja.
PS: Unnützes Wissen, Teil 31
Verärgerte oder verängstige Pflanzen kommunizieren im für Menschen nicht hörbaren Schallfrequenzbereich. Die Forscher der Universität Tel Aviv, darunter ein Experte für Fledermaus-Ultraschall, mussten das Pflanzen-Palaver erst in Töne übersetzen, die auch wir Menschen hören können. Mäuse und Motten allerdings können den Flora-Talk empfangen – er soll bis zu 15 Meter weit zu hören sein.