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Kraftwerk - Autobahn

Kraftwerk – Autobahn

1974

Kraftwerk – Autobahn

Zum Progrock gehören Tempowechsel, Klassik- und Jazzanklänge, umfangreiche Instrumentalteile und überraschende Instrumente. Weil das alles zusammen kaum in einen Drei-Minuten-Song passt, gibt es den Longtrack.

­Die Rockfans kannten Kraftwerk bis dahin als experimentelle, improvisierende Krautrock-Band – und reagierten zu Recht irritiert. Denn bei „Autobahn“ gab es fast nur noch elektronische Klänge zu hören. Den Bass lieferte der Minimoog, selbst das Schlagzeug kam aus der Maschine. In Amerika nannte man das später „Elektro-Pop“. Kaum jemand konnte 1974 ahnen, welche Bedeutung diese Musik bekommen sollte – als Initialzündung für Disco, Techno, House, Electronica. Ralf Hütter (ein studierter Architekt) und seine Mitstreiter waren die eigentlichen Pioniere der elektronischen Musik: Multimedia-Visionäre mit Sendungsbewusstsein. Früh hatten sie ein eigenes Studio und ein eigenes Label. Ihre erste Formation hieß „Organisation zur Verwirklichung gemeinsamer Musikkonzepte“. Sie sahen sich im kulturhistorischen Kontext, der bis in die 1930er Jahre zurückreicht.

Für Ralf Hütter waren Autofahren und Musik engstens miteinander verknüpft. „Mein erster Mini-Moog hat genauso viel gekostet wie mein grauer VW Käfer: 5500 D-Mark. Mit dem Auto konnte ich in der Gegend herumfahren – und mit dem Synthesizer konnte ich mir die ganze Welt erschließen.“ Er habe auf der Autobahn damals „das Summen der Motoren, das Tuning und die singenden Luftströme“ wie elektronische Klänge wahrgenommen. „Wir fuhren viel herum und lauschten auf die wechselnden Sounds. Die Idee war, diese Sounds auf dem Synthesizer nachzubauen.“ Der Klang der Autohupe oder entgegenkommender Autos wurde elektronisch imitiert. Und die Monotonie der Autobahnfahrt wurde umgesetzt in musikalische Monotonie – das hatte schon fast Trance-Qualität. Viele Wiederholungen, wenige Akkordwechsel. Schlichte Vier-Ton-Motive und ein roboterhafter Sprechgesang (auf Deutsch!). Kraftwerk haben die Technik nie einfach nur verwendet – sie haben sie thematisiert. „Mensch und Maschine“, das wurde ihr Dauer-Motto. Das Stück selbst (22:30) ist gebaut wie ein Progrock-Longtrack – eine Aneinanderreihung von einander ähnlichen Strophen und von einmaligen Episoden dazwischen. Legendär der Anfang des Stücks: der startende VW Käfer. Klassisch der Refrain: „Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“. (In Amerika verstand man: „fun, fun, fun“.) Die erste Strophe spricht von der schönen Landschaft, die zweite vom grauen Straßenband, die dritte dann vom Autoradio – es folgt eine Collage aus Frequenzsuch-Geräuschen, Stimmen, Klavierimprovisation „aus dem Radio“. Von dort kommt dann scheinbar auch der Refrain – ein Song im Song. Für die Episoden dazwischen ändern sich Bassfigur und Rhythmus, aber das Tempo bleibt (schneller Disco-Beat). Die erste Episode (ca. 3:20 bis 6:40) enthält sogar eine kleine Interaktion zwischen Flöte, E-Gitarre, Synthesizer – nicht rockig, aber auch nicht durchkomponiert. Episode 2 (ca. 8:15 bis 13:15) konzentriert sich zunächst auf die elektronischen Drums und Sounds (rasende Autos) – mit „elektronischer Pauke“, Vocoder usw. Ein „Adagio“-Teil (ab 16:00) variiert schließlich den Refrain, und daraus entwickelt sich eine Art Coda mit verändertem Gesang und Thema und mit zusätzlichen Synthesizerparts. Diese Apparate waren damals noch analog – und einstimmig.

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