King Crimson – Red
Im Sommer 1974 waren King Crimson in Quartettstärke auf USA-Tournee – mit 38 Konzerten.
Bei dieser Tour entwickelten der Bassist und der Schlagzeuger der Band, John Wetton und Bill Bruford, auf der Bühne ihr besonderes „Ding“: Sie spielten immer enger zusammen, entfachten immer mehr Power-Groove, Wetton drehte den Fuzz-Bass auf, Bruford schlug seine Polyrhythmen dichter denn je. Darunter zu leiden hatte der Geiger David Cross – er konnte sich gegen diese Heaviness nicht durchsetzen, fühlte sich deplatziert und überflüssig. Weil auch die anderen in der Band ihn so empfanden, haben sie sich nach der Tour von Cross getrennt – der erste Schritt zur Bandauflösung. Als King Crimson im Juli in London ins Aufnahmestudio gingen, waren sie nur noch zu dritt – übrigens mit derselben Instrumentierung wie einst Giles, Giles & Fripp, das Trio, aus dem die Band einmal entstanden war.
Das Power-Gespann Wetton/Bruford gab im Studio die Richtung vor und traf viele Entscheidungen, während Bandleader Fripp schon über eine Auszeit von der Band nachdachte. Red wurde die härteste King-Crimson-Platte – und blieb das auch bis 1995 (Thrak). Fripp verglich den Sound seiner Mitspieler hier mit einer Steinmauer – er sprach später von „Crim Metal“. Den Albumtitel Red wählte man, weil die Lautstärken-Anzeigen häufig in den roten Bereich sprangen. Um wenigstens ein wenig vom „lyrischen“ Aspekt der Band zu bewahren, kamen die Bläsereinlagen dazu – alle vier Bläser besaßen schon King-Crimson-Erfahrung.
Anders als manche Rockband, die ideenlos ins Studio geht und dort auf Einfälle beim Jammen hofft, hatten King Crimson vorab ihre Themen und Motive beisammen. Einzelnes war auf der Live-Bühne oder bei früheren Studiodates entwickelt worden, so der Hauptteil von Red, die Einleitung zu „One More Red Nightmare“, das Arpeggio in „Fallen Angel“ sowie das gesamte Stück „Providence“ – eine Improvisation, live mitgeschnitten auf der US-Tour (noch mit Cross an der Geige). Anderes wurde aus unfertigen Stücken und Anfangsideen zusammengebastelt: In „Fallen Angel“ und „Starless“ stecken Songfragmente von Wetton, die Einleitung zu „Red“ war eine Fripp-Skizze namens „Blue“. Dennoch war „Starless“ das einzige Stück der Platte, das schon vorab im Konzert erprobt war. Die anderen Titel wurden erst Jahre später live gespielt. Denn als das Album Red erschien, hatte sich das Trio bereits aufgelöst.
Aufnahme: Juni bis August 1974
Veröffentlichung: Oktober 1974
Label: Island
Produktion: King Crimson
Titel
A
- Red 6:16
- Fallen Angel 5:58
- One More Red Nightmare 7:07
B
- Providence 8:06
- Starless 12:18
Musiker
Robert Fripp – Gitarren, Mellotron
John Wetton – Bass, Gesang
Bill Bruford – Schlagzeug
Gäste
David Cross – Violine
Mel Collins – Sopransax
Ian McDonald – Altsax
Robin Miller – Oboe
Marc Charig – Kornett
(Unbekannt) – Violoncello, Kontrabass
- Es ist das erste Studioalbum von King Crimson, das auf dem Frontcover die Bandmitglieder zeigt. Für den Zusammenhalt kommt das aber zu spät: Mit Red geht die Crimson-Geschichte der 1970er Jahre zu Ende.
- Da ist sich die Band noch einig: Red wird die Eröffnungsnummer des Albums. Das Stück in 8/8 und 7/8 mit drei beißenden Gitarrenspuren entfaltet die neue Crimson-Power. Der Bandkenner Sid Smith nennt es „monströs heavy“ und „zerstörerisch“.
- Nur Bruford ist erst nicht recht überzeugt vom Opener „Red“ – ihm ist das Hauptthema zu schlicht. Es erinnere ihn an „Tea For Two“, sagt er.
- Die Ballade „Starless“ heißt eigentlich „Starless And Bible Black“. Unter diesem Titel war sie fürs Vorgängeralbum geplant, das auch danach benannt wurde. Weil der Song aber nicht rechtzeitig fertig war, hat die Band damals einer Improvisation diesen Titel gegeben. Daher darf die fertige Ballade jetzt nur noch „Starless“ heißen – trotz des Refrains. Für Verwirrung ist gesorgt.
- Der Songteil von „Starless“ mit Mellotron und Sopransaxofon erinnert an die Stimmung der frühen Crimson-Balladen wie „Epitaph“ und „In The Court Of The Crimson King“. „Es ist unser Schwanengesang für die Siebziger“, so Robert Fripp.
- Nach viereinhalb Minuten wird „Starless“ zum futuristischen Instrumental-Experiment in 13/4, dann 13/8. Die Song-Reprise am Ende erklingt auch nur instrumental.
- Die Heaviness von „Red“ kehrt wieder in „One More Red Nightmare“. Sid Smith nennt den Song „ein gewichtiges Stück dreisten Powerplays“. Bruford lässt hier ein besonderes Becken „scheppern“, und das Altsaxofon sorgt für die letzte, berstende Steigerung. Weil das Studio-Tonband überraschend zu Ende ist, bekommt das Stück einen abrupten Schluss.
- In „Fallen Angel“ hört man zum letzten Mal auf einer King-Crimson-Platte Robert Fripps akustische Gitarre. Der Höhepunkt aber ist die gemeinsame Improvisation von E-Gitarre und Kornett.
- Das Album Red erweist sich im Rückblick als ein Meilenstein für die Entstehung von Avant-Prog und Math-Rock. 2013 wird das Album mit einer umfangreichen Box gefeiert (The Road To Red), die unter anderem 24 Discs (CD, DVD, Blu-ray) und ein 36-seitiges Booklet enthält.
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