Der Klang der Dinosaurier
Spätestens wenn die Brothers-In-Arms-CD endgültig verschlissen ist, der Text von „Hotel California“ keine Rätsel mehr aufgibt, die Gänsehaut bei „Stimela“ einer neurotischen Beklemmung weicht und man die Cover der schweren Diana-Krall-Scheiben lieber nur betrachtet, statt die LPs aufzu¬legen, wird es Zeit für neue Test-Musik. Aber welche? FIDELITY weiß Rat.
Tiefsonores Brummen? Vogelartiges Zwitschern? Oder eher ein grelles Krächzen? Bis heute wissen wir nicht wirklich, welche Laute Dinosaurier von sich gaben, als sie vor rund hundert Millionen Jahren auf der Erde wandelten. Versteinerte Knochen sind eben stumm. Für mich indes steht fest, wie sich die Welt der Dinosaurier anhört. Verantwortlich dafür ist weder Computertechnologie noch die Forschung, sondern John Williams, der erfolgreichste Filmkomponist aller Zeiten. Von ihm stammt die Musik zu Filmen wie Star Wars, Harry Potter oder Schindlers Liste. Und er war es auch, der den 1993 erschienenen Blockbuster Jurassic Park in ein für mich unvergessliches Soundgewand hüllte.
Die Herausforderung für Williams war groß: Er sollte mit seiner Musik darstellen, wie es sich anfühlt, einem lebendigen Dinosaurier zu begegnen. Jurassic Park-Regisseur Steven Spielberg wusste, dass er einen Soundtrack-Magier brauchte, um die gewünschte emotionale Reaktion beim Kinozuschauer hervorzurufen. Denn das Gehirn sucht bereits in Musiksequenzen von nur einer Zehntelsekunde Länge nach einer emotionalen Bedeutung. Heißt: Ein unpassender Ton – und der gesamte Eindruck des eigentlich Unvorstellbaren ist dahin. Williams nahm sich vor, die mal langsamen und anmutigen, mal schnellen und unvorhersehbaren Bewegungen der Dinosaurier mit seiner Musik „sinfonisch zu zeichnen“. Er selbst nannte die Melodien zu Jurassic Park auch „Dino-Ballett“.
Geprägt ist dieses „Ballett“ von drei Klangwelten. Da sind einmal die sanften Sounds, wie sie erstmals zu Beginn des „Theme From Jurassic Park“ zu hören sind. Solohorn, Holzbläser und Harfe leiten hier ein Stück ein, das als eines der aussagekräftigsten der jemals von Williams geschriebenen Kompositionen bezeichnet werden kann. Diese Musik erklingt, als die beiden Filmcharaktere Dr. Alan Grant und Dr. Ellie Sattler zum ersten Mal auf lebendige Saurier treffen. Die Szene schrieb Filmgeschichte. Und John Williams trug maßgeblich dazu bei. „Wundervoll und beinahe religiös“ sollte der Moment wirken, Ehrfurcht und Ergebenheit angesichts der Schöpfungskraft der Natur hervorrufen, sagte er später. Diese emotionale Haltung vermitteln mit ihrem warmen, tiefen und vollen Klang auch die Streicher, wenn sie nach der Bläser-Einleitung mit dem Hauptthema einsteigen.
Geradezu euphorisch schallen in „Journey To The Island“ fanfarenartige Trompetenklänge aus den Boxen. Sie wecken Lust auf Abenteuer und Entdeckung – trotz der tödlichen Gefahr, die im Dinopark lauert. Hier führt Williams’ Musik in Action-Gefilde: Bei den unheilvoll brummenden Bläserpassagen, die von schrillen Streichertönen durchbrochen werden, sieht man die Verfolgungsjagden zwischen Mensch und Monster förmlich vor sich. Es sind aber vor allem die nur angedeuteten Geräusche, die Tracks wie „The Raptor Attack“ ihre akustische Brisanz verleihen: Sounds, die klingen wie ein wimmerndes Kind, eine quietschende Tür, das Rasseln einer Klapperschlange. Williams’ Inspirationsquelle waren hier vor allem die Geräusche, die Tontechniker Gary Rydstrom für die Dinosaurier entwickelte. Der hatte etwa für das ikonische Röhren des Tyrannosaurus Rex die Gesänge eines Wals mit den „Stimmen“ eines Krokodils, eines Löwen und eines Baby-Elefanten kombiniert.
„Ohne John Williams könnten Fahrräder nicht fliegen, auch die Besen in den Quidditch-Turnieren nicht, geschweige denn Männer mit roten Capes. Es gäbe keine ‚Macht‘, Dinosaurier liefen nicht auf der Erde. Ohne John würden wir uns keine Fragen stellen, nicht weinen und an nichts glauben“, sagte Steven Spielberg einst über ihn. Gerade in Zeiten, da der Kinobesuch nicht immer möglich ist, bietet diese Scheibe eine wunderbare Möglichkeit, in majestätischen Bild- und Soundwelten des eigenen Kopfkinos abzutauchen.
John Williams
Jurassic Park – Original Motion Picture Soundtrack
Label: MCA Records
Format: CD
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