Tanz der Vampire – Biss in alle Ewigkeit
Furchterregendes Gruselwesen, das sich vor den Strahlen der Sonne fürchtet? Mysteriöser Frauenschwarm, der im Tageslicht glitzert? Die Mythos-Gestalt des Vampirs wurde schon in verschiedenster Interpretation dargestellt.
Für die einen sind Vampire romantisierte Figuren aus Filmserien wie Twilight, für andere blutsaugende Monster wie im Kinoschocker Abraham Lincoln – Vampirjäger, in dem der einstige US-Präsident mit einer Axt Jagd auf die Untoten macht. Für mich sind Vampire in erster Linie jedoch eines: begnadete Sänger, eingekleidet in ein schaurig-schönes Soundgewand. Verantwortlich dafür: Jim Steinman. Der US-Komponist arrangierte in den 90er Jahren die Songs für das Musical Tanz der Vampire, die musikalische Adaption von Roman Polanskis Kultfilm aus dem Jahr 1967. Die Gesamtaufnahme der Vereinigten Bühnen Wien von 1998 präsentiert noch heute die Vielfalt von Steinmans stilistischem Repertoire. Und gehört – als eigentlich hauptberuflicher Rammstein-Fan oute ich mich heute – zu meinen Lieblingsplatten. So, es ist heraus …
Steinman und die Welt der Vampire – das passt einfach. Genau wie die Blutsauger fristete auch er ein Dasein im Schatten. Und zwar im Schatten seiner eigenen Werke. Er schrieb Welthits wie „I’d Do Anything For Love (But I Won’t Do That)“ für Meat Loaf, „It’s All Coming Back To Me Now“ für Céline Dion, „Left In The Dark“ für Barbra Streisand und „Total Eclipse Of The Heart“ für Bonnie Taylor. Doch als er selbst mit dem Soloalbum Bad For Good ins Rampenlicht trat, interessierte das niemanden. Die Platte floppte. Vor zwei Jahren starb Steinman im Alter von 73 Jahren. Geblieben sind die von ihm geschriebenen Songs. Sie erstrahlen ausgerechnet im Musical der Untoten bis heute. Und nach wie vor, mehr als 25 Jahre nach der Premiere in Wien, wird das Musical aufgeführt – derzeit im Palladium Theater in Stuttgart.
Tanz der Vampire ist so etwas wie der Soundtrack zu Steinmans Leben. Denn bei vielen Vampir-Tracks setzte er auf Melodien seiner früheren Werke. Bekanntestes Beispiel: das Duett „Totale Finsternis“, bei dem die Klänge von Bonnie Taylors „Total Eclipse Of The Heart“ aufgegriffen werden. Und „Unstillbare Gier“, ein musikalischer Monolog über die Schattenseiten des ewigen Lebens, zitiert Meat Loafs Titel mit dem denkwürdigen Namen „Objects In The Rear View Mirror May Appear Closer Than They Are“.
Das Musical ist allerdings keine Resterampe für Steinman-Songs. Im Gegenteil: „Gott ist tot“ aus Tanz der Vampire etwa stellt die ursprüngliche Rocknummer „Original Sin“ der Girl-Band Pandora’s Box komplett in den Schatten. Das liegt auch am exzellenten Cast, der auf der Gesamtaufnahme zu hören ist. Allen voran: Steve Barton. Der Musicalstar interpretiert die Rolle des Vampirgrafen von Krolock, einer der drei Hauptcharaktere des Stücks. Er definierte – zumindest für mich – den Sound eines Vampirs. Mal scheint sich seine Stimme, wahnsinnig und wütend zugleich, fast zu überschlagen, mal hat sie eine geradezu mystische Wirkung, zieht einen ruhig und einfühlsam in den Bann.
Barton verstarb bereits Anfang der 2000er Jahre. Auf YouTube gibt es nur vereinzelte, stark verwackelte Aufnahmen, die ihn im Kostüm des Vampirgrafen zeigen. Die braucht es aber gar nicht. Denn die Gesamtaufnahme aus Wien funktioniert auch ganz ohne visuelle Eindrücke. Mit einigen musikalischen Tricks zeichnet Jim Steinman auf der Aufnahme akustische Bilder im Kopf des Zuhörers. Sie machen Tanz der Vampire zu einer Musicalaufnahme mit Hörspielcharakter. In „Eine schöne Tochter“ etwa untermalen schrille, perkussive Klaviertöne jeden Hammerhieb, mit dem ein um seine Tochter besorgter Vater Holzbretter vor deren Schlafzimmertür festnagelt. Und die Stimme des gewieften Vampirgrafen führt nicht nur die Protagonisten des Stücks, sondern auch die Zuhörer hinters Licht, wenn sie während einer Verfolgungsjagd zwischen den Boxen der Soundanlage hin- und herwandert.
Jim Steinman: Tanz der Vampire – Die Gesamtaufnahme
Vereinigte Bühnen Wien, v. a.
Label: Polydor/Universal Music
Format: CD, DL 16/44