Jennifer Warnes – Famous Blue Raincoat
Impex Records veröffentlicht mit der finalen Ausgabe von Jennifer Warnes’ Famous Blue Raincoat eine haptische und musikalische Materialschlacht sondergleichen.
Es gibt Alben, die erst dank audiophiler Kreise zu Erfolgsalben werden, während sie zu ihrer Entstehungszeit nur von mittelmäßigem Ruhm gekennzeichnet waren. Das vielleicht bekannteste und auch am meisten kontrovers diskutierte Album ist in dieser Hinsicht sicherlich Jennifer Warnes’ Famous Blue Raincoat, eine Hommage an Leonard Cohen. Das sechste Studioalbum der amerikanischen Sängerin erreichte 1987 Platz 72 in den US- und Platz 33 in den UK-Charts. Die Songs des Albums umfassen einen Großteil von Cohens Karriere, von seinem 1969er Album Songs From A Room bis zu seinem damals noch unveröffentlichtem Album I’m Your Man.
Warnes’ von der Kritik gelobter künstlerischer Ansatz liegt darin, sich einerseits an Cohens trockener Gesangstechnik zu orientieren, andererseits diese nicht zu imitieren, sondern mit einer eigenen Note zu versehen. Freilich gab es auch Stimmen, die mit dem Album ins Gericht gingen. Peter Gerstenzanga von The Village Voice kritisierte, dass Cohens Originalarrangements passender als das „glatte Zeug“ bei Warnes seien. Außerdem klängen Warnes’ Melismen bisweilen unnötig süßlich. Vermutlich erklären die beiden widersprüchlichen Rezeptionsseiten auch den kommerziell nur mittelprächtigen Erfolg des Albums, das entweder bewundert oder abgelehnt wurde.
Mit einem Abstand von 35 Jahren kann man heute noch einen ganz anderen Blick auf das Album werfen und die Positionen besser einordnen, insbesondere wenn man die Sound- und Produktionsvorlieben der 1980er Jahre historisch betrachtet, unter denen das Album einen interessanten wie ambivalenten Eindruck zugleich hinterlässt. Da ist einerseits bei einem Teil der Songs dieser typische Achtziger-Sound: Snaredrum und Toms sowie Keyboards und Saxofon mit einer ordentlichen Hallfahne versehen, der obere Mittenbereich schön knallig in Szene gesetzt und im Gesamtsound immer eine Spur zu harsch. Auf der anderen Seite stehen konservative und zeitlose Arrangements, meist von balladeskem Charakter, und als Höhepunkt das A-capella-Stück „A Singer Must Die“, und dies alles in einem wärmeren Siebziger-Sound produziert. Man merkt spätestens beim zweiten Hördurchlauf, dass das Album 1986 in verschiedenen Studios in Los Angeles aufgenommen wurde.
Warum aber nun der Erfolg in audiophilen Kreisen? Man mag ja der Produktionstechnik der Achtzigerjahre aus vielen Gründen skeptisch gegenüberstehen, aber das Album ist schon verdammt gut gemacht. Man bekommt bei Songs wie „First We Take Manhattan“ oder „Bird On A Wire“ die oben aufgeführten Klangmerkmale der Zeit wie unter dem Brennglas präsentiert. Das Album ist durchgängig so transparent aufgenommen, dass jeder Nachhall bis auf die Zehntelsekunde genau nachverfolgt werden kann, jeder Snare-Schlag explosiv auf das Zwerchfell drückt und sich Warnes’ Stimme schlackenlos aus dem instrumentalen Hintergrund herausschält. Ein klassisches Arrangement wie bei „Song Of Bernadette“ hingegen setzt mit tiefen Klavierakkorden und breiten, aber pointierten Basspartien bereits bei der normalen Erstausgabe klanglich nerdige Duftmarken. Da man sich sicher sein konnte, dass bei der letztlich für den Mainstream herausgegebenen Erstausgabe 1986 nicht sämtliche Register gezogen wurden, war es in den Folgejahren für Labels wie Impex Records reizvoll, das komplette klangliche Potenzial dieser Aufnahme herauszukitzeln, womit wir bei unserem aktuellen Reissue wären.
Den 35. Jahrestag des Albums nahm Impex zum Anlass, um über ein ultimatives Reissue nachzudenken. Label-Inhaberin Abey Fonn wollte dem Album eine finale Bearbeitung zukommen lassen, die zugleich die letzte sein sollte: Nachdem Bernie Grundman den Lackschnitt gefertigt hatte, gingen die Masterbänder des Albums für immer in Jennifer Warnes’ persönliches Archiv zurück. Das Vertrauensverhältnis zwischen Impex-Produzentin Fonn und Jenifer Warnes basiert auf zahlreichen Veröffentlichungen der letzten Jahre, darunter das Remaster von The Well und The Hunter und ihr letztes Album Another Time, Another Place.
Diese One-Step-LP-Box basiert auf dem analogen Mixdown-Master der ersten Generation von der ursprünglichen digitalen Aufnahme und wurde von Bernie Grundman auf der Röhren-Schneidemaschine von BG Mastering verarbeitet. Um den genauen Aufwand dieser Produktion mit drei 45-rpm-LPs zu verstehen, sollten wir uns den Materialaufwand einer One-Step-LP vor Augen führen: Bei regulären LP-Produktionen wird der Lackschnitt in einen ersten „Vater-Stempel“ mit invertierter Rillenstruktur umgewandelt. Von diesem wird dann ein „Mutter-Stempel“ mit korrekter Rillenstruktur erstellt. Erst im nächsten Schritt wird der eigentliche Press-Stempel hergestellt, der nun für die Herstellung der LPs verwendet wird. Mit einem Lackschnitt können auf diese Weise fast beliebig viele LPs gepresst werden.
Im One-Step-Verfahren entfallen diese Schritte, der Lackschnitt wird direkt zum Press-Stempel konvertiert. Der Nachteil besteht darin, dass mit jedem Lackschnitt nur wenige Hundert LPs gepresst werden können. Wenn also mehr als wenige Hundert LPs hergestellt werden sollen, werden dementsprechend mehrere Lackschnitte benötigt. Bei der finalen Pressung unseres audiophilen Klassikers kommt noch hinzu, dass in einem akribischen Prozess zahlreiche Testpressungen gefertigt wurden, um auch die feinsten Details herauszuarbeiten, bevor das endgültige Ergebnis dann bei RTI auf VR-900-Super-Vinyl gepresst wurde.
Insgesamt ein Ergebnis, das sich mehr als sehen lassen kann: Eine ungeheure Materialschlacht mit drei LPs, einem umfangreichen Booklet und einem doppelten Foldout-Cover in einer stabilen Box – und das sind nur die Äußerlichkeiten. Klanglich tauchen wir wie durch eine Lupe in die Tiefen der Aufnahme hinein, werden von einer stupenden Dynamik mitgerissen und bei den akustischen Tracks von einer warmen Emotionalität berührt. Ein Mehr an Musik geht nicht, dies ist nun definitiv „The Final Cut“.
Jennifer Warnes – Famous Blue Raincoat
Label: Impex Records/One Step Vinyl
Format: LP-Box (3 LPs Vinyl 180 g/45 rpm)