6Phonovorverstärker JE Audio HP10 – Für Vinyl-Forscher
Klar, man kann sich ins Nachtleben stürzen – Clubs, Cocktails, totale Eskalation – und sich so die volle Dröhnung holen. Man kann aber auch zu Hause bleiben und sich in aller Ruhe der HiFi-Leidenschaft widmen. Mit der Phonovorstufe HP10 von JE Audio wird auch das zur Party.
Fotografie: Ingo Schulz
Vor der Inbetriebnahme jedes Geräts steht das gespannte Auspacken. Beim Phonovorverstärker HP10 des 2007 in Hongkong gegründeten Unternehmens JE Audio wird schon diese freudvolle Notwendigkeit zum ungewöhnlichen Erlebnis. Angesichts der riesigen Verpackung drängt sich der Eindruck auf, es handle sich um eine ausgewachsene Endstufe amerikanischen Kalibers. Die meisten Phonoentzerrer sind ja eher kleine Kästchen mit im besten Falle ausgelagerten und noch kleineren Netzteilen. Anders ist das bei der HP10, die mit einer Breite von 45 Zentimetern und einer Tiefe von knapp 40 Zentimetern eine komplette Rackebene in Beschlag nimmt. Aber sie ist nicht nur groß und wuchtig, sondern glänzt auch mit hervorragender Verarbeitung.
Bei frontaler Betrachtung begrüßt uns eine schicke Aluminiumfront mit abgeschrägten Seiten, sieben Drucktastern und einer korrespondierenden Armada aus blauen Mini-LEDs. Zunächst gilt es, den korrekten Eingang anzuwählen – die HP10 verfügt über separate Eingangsbuchsen für MM- und MC-Systeme. Rechts daneben kann man sinnigerweise den Verstärkungsfaktor wählen: Für MM und MC stehen je drei praxisgerechte Werte zwischen 35 und 45 (MM) sowie 60 und 70 (MC) Dezibel bereit; falls man die symmetrischen Ausgänge verwendet, addieren sich noch jeweils sechs Dezibel. Zur Anpassung der Abschlussimpedanz muss man zum Glück kein fummeliges „Mäuseklavier“ im oder unter dem Gerät bedienen, sondern bleibt einfach auf der übersichtlich geordneten Gerätefront, wo sich alle gängigen Werte finden. Auf Wunsch stellt JE Audio auch kundenspezifische Widerstände zur Verfügung. Die HP10 erlaubt sogar, die Impedanz von MM-Systemen zu beeinflussen, was wirklich außergewöhnlich ist. Aber anhand eines Audio Technica VM760SLC zeigen sich tatsächlich sehr nuancierte Unterschiede, sobald man von den standardisierten 47 Kiloohm abweicht – nichts, worüber man sich graue Haare wachsen lassen müsste, weil die eigene Phonostufe diese Option nicht bietet, aber doch nachvollziehbar. Rechts vom zentralen Power-Schalter, der beim Ausschalten länger als eine Sekunde gehalten werden muss – andernfalls schaltet die HP10 lediglich auf stummes Standby, was durch rotes Leuchten signalisiert wird –, findet sich ein praktisches Rumpelfilter, das bei Bedarf für Ruhe unter 20 Hertz sorgt, sowie eine optionale Phasendrehung und zum Abschluss ein Mono-Schalter – was sehr hilfreich bei der Azimutjustage und natürlich unverzichtbar für Sammler alter Mono-Aufnahmen, an Phonovorstufen allerdings selten anzutreffen ist.
Dass die HP10 keine Mogelpackung ist, sieht man, sobald man den Gehäusedeckel abnimmt: Die symmetrische Hybrid-Arbeitsweise der Schaltung auf diskreten Platinen für MM und MC zeigt sich, obschon zweigeschossig, als raumgreifend: Hinter die Gerätefront quetscht sich ein vernünftig überdimensioniertes Netzteil, und auch die beiden langlebigen 6H30-Röhren in der Ausgangsstufe brauchen ein wenig Intimsphäre – der Innenraum der HP10 wirkt fast wie ein überbuchter Linienflug. Ein seltener Anblick in einer Phonovorstufe, der auf den exorbitant hohen Qualitätsstandard bei JE Audio verweist. Die HP10 verstärkt in zwei Stufen mit extrem rauscharmen Halbleitern, dazwischen findet die passive RIAA-Entzerrung statt, erst als Puffer direkt vor den Ausgängen kommen die beiden Röhren ins Spiel.
Wer jedoch aufgrund der beiden Ausgangsröhren auf kuschlig-warmen Sound hofft, wird enttäuscht werden. Die HP10 ist ein Muster an Neutralität und enthält sich jeglichen Eigenklangs. Symmetrisch an die Classé-Vorstufe angeschlossen, kann sich die HP10 sogleich im Hörtest beweisen. Wie gut, dass mein Lieblings-MC, ein EMT S75, schon unterm Wheaton-Tonarm Tri-Planar montiert ist. Denn die Tonabnehmer von EMT gehören bekanntermaßen zu den neutralsten Abtastern am Markt. Das hohe Auflösungsvermögen, der rabenschwarze Bass und die ausgeglichenen Mitten machen das S75 zur sprichwörtlichen akustischen Lupe.
Deshalb wandert auch gleich Annie Lennox’ „I Put A Spell On You“ vom Album Nostalgia auf den Plattenteller meines Micro Seiki. Diese Solo-LP der bekannten Eurythmics-Sängerin fand meiner Meinung nach viel zu wenig Beachtung, denn sämtliche Songs dieser Sammlung aus Neuinterpretationen können sich nicht nur musikalisch, sondern vor allem auch aufnahmetechnisch hören lassen. Beim Einsetzen der Stimme spürt man förmlich, wie leidenschaftlich Annie Lennox die Textzeilen in das vor ihr stehende Mikrofon singt und wie ihre Band sie mit der gleichen Empathie begleitet. Hier steht alles am genau richtigen Platz und wird in authentischer Größe abgebildet. Auch die recht hellen Klavieranschläge zu Beginn des Stücks werden nicht klirrend oder störend dargestellt.
Ein weiterer Griff ins Plattenregal, plötzlich halte ich Joy Divisions Album Substance in Händen. Bei Stücken wie „Transmission“ oder auch „Love Will Tear Us Apart“ bildet die HP10 den in den späten Siebzigern produzierten Hinterhofstudio-Sound der Band perfekt ab – High-Class-LowFi sozusagen. Um den MC-Eingang noch weiter auszuloten, ziehe ich das EMT TSD 75G, einen entfernten, aber völlig neu konstruierten Ableger der altbekannten EMT „Tondose“, zu Rate. Schon erstaunlich, wie direkt und klar die Unterschiede der beiden aus selbem Haus stammenden und doch so unterschiedlichen MC-Systeme durch den JE Audio dargestellt werden. Feinauflösung, Dynamik und Transparenz des S75 müssen sich auch vor weitaus teureren MC-Preziosen nicht verstecken, die offene Bauweise dieses Edel-Abtasters eliminiert Gehäuseresonanzen und lässt die Wiedergabe klar wie einen Gebirgsbach wirken. Die limitierte Grammy-Version der altgedienten Rundfunk-Tondose TSD 75 hat insgesamt bezüglich des Auflösungsvermögens leichte Nachteile, spielt aber subjektiv gerade bei älteren Aufnahmen fast schöner, im Sinne von runder, harmonischer, eventuell sogar geschlossener. Letztlich führt für Perfektionisten kein Weg am S75 vorbei, auch wenn die Tondose einen Klassikerbonus bekommt und große Verführungskraft an den Tag legt.
Apropos Klassiker: Mein 1500er Micro Seiki bietet die Möglichkeit, mehrere Tonarme, für unterschiedliche Musikrichtungen beispielsweise, parallel zu betreiben. Zwei identische Tonarme, um Systeme direkt ohne Umbaupausen zu vergleichen, wären auch eine feine Sache, besitze ich aber leider nicht. Nichtsdestotrotz liefert das Spielen mit unterschiedlichen Setups oft willkommene Erkenntnisse. Um nun auch den MM-Eingang der HP10 auszuleuchten, wartet unter einem Mørch DP6 bereits ein Audio Technica VM760SLC auf seinen Einsatz. Beginnend mit dem Standardabschluss von 47 Kiloohm für MM-Systeme höre ich in „Bella Lugosi’s Dead“ hinein. Die Vinyl-Maxi der Band Bauhaus habe ich lange gesucht und erst kürzlich in erstklassigem Zustand auf einer Plattenbörse erbeutet. Ein Klassiker, den man immer wieder hören kann. Der prägnant tiefe und federnde Bass gibt das Tempo vor, während Peter Murphys Stimme schon fast beängstigend zwischen den Lautsprechern steht. Die HP10 findet das exakt passende Timing, während mein Fuß wie ferngesteuert zur Musik des „Godfather of Goth“ wippt.
Dieses Ergebnis bestärkt mich darin, vorsichtig den audiophilen Giftschrank zu öffnen. Das kann man nicht mit jeder Art analogen Equipments machen, denn er heißt nicht umsonst Giftschrank: Er beinhaltet Material, das nur bei erstklassiger Wiedergabequalität Spaß machen kann, bei Fehlern in der Kette aber unausweichlich für starke Irritationen sorgt. Schnell blase ich den Staub der letzten Jahre vom Cover der Reunion At Carnegie Hall-LP des tapferen Folkensembles um Pete Seeger. Das Lied „Ramblin’ Boy“ fasziniert mich nach den vielen Jahren aufgrund der realistisch ausgeleuchteten Liveaufnahme noch immer. Die HP10 spannt den riesigen Raum der Carnegie Hall zu Beginn in einem großen Bogen allein um die Stimme Seegers, bis das leise mitsingende Publikum die Proportionen des Raumes unmissverständlich darstellt. Das gelingt so realistisch und lebendig, dass ich mich dabei ertappe, im Refrain leise mitzusingen – zum Glück bin ich allein in der Wohnung. Das VM760SLC von Audio Technica verfügt, wie bei MM-Systemen üblich, über den Vorteil, binnen Sekunden den Nadeleinschub zu wechseln. Das dient dem Austausch verschlissener Nadeln, wovon ich aber noch viele Stunden entfernt bin, lässt aber natürlich auch Raum für Experimente mit alternativen Nadeleinschüben. Ich ersetzte den Standardnadelträger mit Line-Contact-Schliff durch den Einschub eines ATVMN50SH mit altbewährtem Shibata-Schliff. Auch hier kommt wieder der große Spaßfaktor der JE Audio zum Tragen. Denn die HP10 ist spielerisch dazu in der Lage, die Eigenheiten der unterschiedlichen Nadelschliffe genauestens darzustellen. Im direkten Vergleich zu meinem Monk-Audio-Phonoentzerrer, der geringfügig heller abgestimmt ist, schlägt sich die HP10 mit ihrer unmittelbaren und äußerst dynamischen Gangart ganz hervorragend. Ein Gegner anderen Kalibers findet sich in der Whest TWO.2. Beide Phonovorstufen spielen auf sehr hohem Niveau, ohne dass eine sich deutlich absetzen könnte. Letztlich gäben für mich die bessere Ausstattung und leichtere Bedienbarkeit der HP10 den entscheidenden Ausschlag.
Man kann diesem erstklassigen Phonoentzerrer nicht nachweisen, dass er in irgendeiner Weise den MC- oder MM-Eingang bevorzugt. Beide Verstärker- und Entzerrungszüge fordern die angeschlossenen Tonabnehmer bis aufs Äußerste und kitzeln sie zu Höchstleistungen. Als Zuhörer vor der HiFi-Anlage verschafft einem die HP10 entspanntes und stundenlanges Hörvergnügen. Anzumerken bleibt noch, dass die JE Audio mit einem guten Netzkabel und ebensolchen Cinch- oder XLR-Verbindern noch einmal spürbar zulegt. Auch ein stabiler und massiver Unterbau kommt der immerhin elf Kilo schweren HP10 zugute.
Über viele Wochen, insbesondere während verregneter Sommer- und nasskalter Herbstabende hat mich die JE Audio HP10 von meiner Anwesenheitspflicht im Nachtleben der Bars und Clubs abgehalten und stattdessen meine eigene Plattensammlung nochmals neu erleben lassen. Und offenbarte mir ganz allein tiefere Einblicke in mein Vinyl, als ich es gewohnt war. Natürlich verführt die HP10 gerade zu Beginn dazu, sich in den vielfältigen Einstellmöglichkeiten ein wenig zu verlieren – aber ist es nicht genau das, was das Hobby HiFi so spannend gestaltet? Hat man jedoch die durch mehrere Quervergleiche definitiv beste Abstimmung gefunden, fesselt einen die Performance dieses außergewöhnlich hochklassigen Phonoentzerrers vollkommen.
Phonovorverstärker JE Audio HP10
Funktionsprinzip: Hybrid-Phonovorverstärker
Eingänge: 2 x Cinch (MM und MC)
Ausgänge: unsymmetrisch (Cinch), symmetrisch (XLR)
Verstärkungsfaktoren: 35, 40, 45 dB (MM), 60, 65, 70 dB (MC)
Eingangsimpedanzen: 10, 33, 100, 250, 500 Ω (MC); 1, 22, 47, 68, 100 kΩ (MM)
Besonderheiten: Röhrenausgangsstufe mit zwei 6H30, Subsonic-Filter
Maße (B/H/T): 45/14,3/39,2 cm
Gewicht: 11,6 kg
Garantiezeit: 2 Jahre ( Röhren 6 Monate )
Preis: 3500 €