JBL L100 Classic – Back to the Future
Mit der JBL L100 Classic die Kindheit noch einmal erleben.
Fotografie: Ingo Schulz
Natürlich könnte man über die JBL L100 Classic einen ziemlich normalen Test schreiben, nach den bewährten Mustern handeln, ihre Technik beschreiben, sie mit zwei oder drei Konkurrenten der entsprechenden Preisklasse vergleichen und ein Urteil fällen. Wie es meistens und aus gutem Grund passiert. Denn es hilft bei der Einordnung eines neuen Produkts in den Markt, wenn das bewährte Koordinatensystem benutzt, ein nachvollziehbarer Vergleich gezogen wird.
Und dennoch gibt es Produkte, denen man mit einer solchen Herangehensweise in meinen Augen nicht gerecht wird, da man nur einen Teilaspekt ihrer selbst betrachtet und mitunter das eigentliche Wesen der Sache aus den Augen verliert. Ein Vergleich aus der Fotografie mag hier illustrieren, was ich meine: Wenn es nur nach den Messwerten geht, findet sich leicht ein Fotoapparat, den man einer Leica Q vorziehen sollte. Und daher ist dieses andere Produkt für manche Menschen auch sicher der weitaus bessere Kauf. Für diejenigen unter uns, die einen Sinn für Stimmungen, Geschichte, Zwischentöne haben, ist die Leica andererseits kein gewöhnlicher Fotoapparat. Dieses Gerät kann auf den sensiblen Nutzer wirken, sein Wohlbefinden steigern, ihn sensibler machen und es damit ermöglichen, dass er oder sie Fotos macht, deren Idee mit einer anderen Kamera nie entstanden wäre. Das hört sich jetzt vielleicht etwas esoterisch an, ist allerdings in vielen Bereichen des Lebens anzutreffen. Sänger singen im Studio oft anders, wenn sie ein bestimmtes Mikrofon vor sich sehen, Köche fühlen sich mit manchen Messern oder Töpfen wohler, obwohl andere auch schneiden oder warm werden. Und ja, es gibt Menschen, die sehr gute Leistungen ohne diesen Kick erreichen − für genau diese Mitmenschen ist der Artikel über die JBL L100 Classic dann aber wohl nicht geschrieben.
Kindchen, bist du groß geworden: JBL spendierte der Neuauflage seines Boxen-Klassikers einige Kubikdezimeter mehr Innenvolumen. Das erkennt man allerdings erst bei der direkten Gegenüberstellung mit dem Original. Proportion und Charme der Ur-Serie sind erhalten geblieben.
Um den Bogen zur Musik zu spannen: Ich bin davon überzeugt, dass man mit einem Lautsprecher, der emotional etwas in einem auslöst, intensiver − ich vermeide bewusst die Vokabeln „besser“ und „schlechter“ − Musik hören kann. Und wenn man sich dieses Umstands bewusst ist, kann man ja auch einfach darauf reagieren und ihm Rechnung tragen. Genau deshalb gibt es Analog-, Digital-, Röhren-, Transistor-, Breitbänder-, Studiomonitor- und Wasweißichwas-Hörer. Wie gut, dass wir diese Vielfalt genießen und uns in ihr einrichten können.
Von vergessenem Ruhm
Die Firma JBL ist in mancher Hinsicht ein tragischer Fall. Und mit ebensolcher Tragik begann schon die Geschichte dieser Firma, da der Gründer James B. Lansing zwar ein genialer Entwickler, jedoch kein guter Kaufmann war. Innerhalb weniger Jahre führte er JBL an den Rand des Bankrotts und beging daraufhin Suizid. Seine Lautsprecherschmiede wurde übernommen und binnen kurzer Zeit in die schwarzen Zahlen gebracht. Weiterhin gab es großartige Entwicklungen, wie die gewaltige JBL The Hartsfield oder das Paragon getaufte Tonmöbel, das sich immerhin gute 25 Jahre lang im Portfolio hielt. Aus den amerikanischen Tonstudios der 60er und 70er Jahre waren die Monitore mit ihren charakteristischen cremefarbenen Aquaplas-Membranen nicht wegzudenken. Über die Zusammensetzung dieser Beschichtung kursieren die wildesten Gerüchte, auch der Hersteller, die Blachford Acoustic Group, schweigt sich aus. Dass man über lange Zeit vorzugsweise den Billigmarkt mit kleinen Nichtigkeiten aus Plastikspritzguss bediente, hat in der allgemeinen Wahrnehmung leider die wirkliche Bedeutung dieses Unternehmens verblassen lassen. Kaum eine andere Lautsprecherfirma hat über so lange Zeit den Markt mit so vielen richtungsweisenden Entwicklungen versorgt, eine Entwicklungsabteilung der Größe kompletter Konkurrenzfirmen unterhalten und nicht nur auf dem Consumer-Markt, sondern auch in der Profiecke mit den Ton angegeben. Bei den Profis übrigens mit enormer Bandbreite von der Beschallungsanlage über Kinolautsprecher bis hin zu Studiomonitoren.
Wenn Sie in die Historie der Weltmarke abtauchen möchten, haben wir eine Schmökerempfehlung: „The JBL Story: 60 Years of Audio Innovation: Sixty Years of Audio Innovation“ von 2007 gewährt tiefe Einblicke in die Produkte der Amerikaner – mit einem Vorwort von Les Paul.
Die JBL L100 Classic, um die es hier geht, ist die moderne Neuauflage der L100, welche wiederum in den 70er Jahren die Haushaltsvariante des Profis 4310 war. Ähnliche Weiche, aufgeräumtere Front, hübscheres Gehäuse, so eroberte die L100 die Wohnzimmer der Musikwelt, und auch meine Eltern hörten mit einem Paar Lautsprecher dieser Serie ihre Platten. In der Enkelin arbeitet jetzt übrigens ein aus Titan gefertigter und deutlich zivilisierter tönender Hochtöner als Nachfolger der alten zischelnden Alukalotte. Tief- und Mitteltönermembranen sind aus Zellstoff gefertigt, das Furnier perfekt verarbeitet. Und auf der Rückseite gibt es standesgemäß keine Bi-Wiring-Anschlüsse. Weitere technische Spezifikationen finden sich am Ende dieses Textes oder auf der Hersteller-Website, müssen daher an dieser Stelle nicht noch einmal aufgewärmt werden.
Wir lernen die JBL L100 Classic im FIDELITY-Hörraum kennen, passend versorgt von einem Trigon-Vollverstärker (Kontrolle!) und einem CD-Player aus dem Hause Ayon (Charme!).
Altes Konzept, neuer Charme
Wer die alte Vorlage aus dem Profilager, die JBL 4310, kennt, bemerkt sofort einige wichtige Unterschiede. Zum einen geht der Bass deutlich wohlerzogener zu Werke, die Urahnen konnten hier schon mal recht ungestüm zulangen. Der Mitteltöner wird durch eine komplexere Weiche besser eingefangen und gibt seine Resonanzfrequenz nicht mehr so leicht preis. Und der mittlerweile aus Titan gefertigte Hochtöner vollbringt das Kunststück, weniger vorlaut und doch detaillierter zu Werke zu gehen.
Diese Bilder illustrieren 40 Jahre Chassis-Entwicklung: Links die Treiber der 4312, rechts die der neuen L100. Der Hochtöner der neuen L100 zeigt keine Spur von Schärfe mehr.
Es gibt ein paar Punkte, bei denen sich die L100 Classic Eigenwilligkeiten erlaubt: Zum einen benötigt der Bass einen gewissen Pegel, um wirklich „da“ zu sein. Zwar kann die JBL auch sehr differenziert leise spielen, klingt dann allerdings wie ein sehr kleiner Lautsprecher und verleugnet ihre tatsächliche Physis. Im Übergang vom Bass zum Mitteltöner gibt es noch ein paar kleinere Verdeckungseffekte, die tieferen Instrumenten oder Sängern ein wenig ihrer Transienten und Artikulation rauben können. Es klingt in dem Bereich und nur bei akustischen Instrumenten minimal so, als hätte man – etwas übertrieben ausgedrückt – ein Taschentuch vor das Mikrofon gehalten. Damit ist die Meckerliste aber auch schon größtenteils abgearbeitet und wird jetzt geschlossen, denn das simple Abarbeiten dieser Parameter geht am Wesen dieses Lautsprechers gründlich vorbei.
Diese Bilder illustrieren 40 Jahre Chassis-Entwicklung: Links die Treiber der 4312, rechts die der neuen L100. Der neue Mitteltöner weiß seine Resonanz besser zu verbergen.
Carsten Barnbeck, während meines Hörens ebenfalls in der Redaktion zugange, schaut kurz in den Hörraum, bleibt hängen, länger als geplant. Wir sitzen, hören uns quer durch meine mitgebrachten CDs und erliegen, noch während wir versuchen, die Schwächen dieses Lautsprechers zu benennen, seinem Zauber. Denn die JBL L100 Classic spielt gleichzeitig so unaufgeregt und doch involvierend, körperhaft, lebendig, dass man schlicht sitzen bleibt und zuhört. Eine Veränderung der Anlagenkonfiguration nimmt man zwar wahr, sie ist aber völlig egal, weil man mit der JBL anders als mit vielen anderen Lautsprechern, eigentlich völlig „untechnisch“ hört. Das meine ich jetzt im besten Sinne, denn genau das ist für mich eine höhere Qualität als das Erfüllen technischer Bestwerte.
Diese Bilder illustrieren 40 Jahre Chassis-Entwicklung: Links die Treiber der 4312, rechts die der neuen L100. Vor allem der Antrieb des markanten Whitecone-Basstreibers hat unübersehbar zugelegt.
Die Musikauswahl, durch die wir surfen, ist sehr breit gefächert, den Anfang macht die Fünfte Sinfonie von Anton Bruckner mit den Münchner Philharmonikern unter ihrem damaligen Chefdirigenten Christian Thielemann (Deutsche Grammophon). Die Größe des Konzertsaals im Gasteig wird mühelos dargestellt, man hört im Nachhall die Tiefe des Raums. Das Orchester dagegen positioniert sich eher kompakt, steht mehr breit als tief im Raum. Diese Dualität haben wir beide so noch nicht erlebt, merken aber bald, dass sie Vorteile bietet: die relevante Information kommt direkt und ohne highendigen Schnickschnack, wird aber in eine schöne Weite gebettet, was zu einem entspannten, aber doch eindringlichen Klangbild führt. Den teilweise sehr langen Bruckner’schen Themen lässt sich so leicht folgen, Querverweise innerhalb des Orchesters erschließen sich auch dem ungeübteren Klassik-Hörer leichter als mit einigen anderen Lautsprechern. Und zum Beginn des ersten Satzes … ja, diese Kontrabässe sind wirklich Bässe, das hat JBL schon immer gekonnt.
Eine ganz eigene Raumdimension
Der sehr besondere Raum lässt uns zur einer passenden nächsten CD greifen. Auf Memoirs Of An Arabian Princess – Sounds of Zanzibar (Winter & Winter) sind gut aufgenommene Instrumente mit Ambiente-Aufnahmen von Straßenszenen und Märkten gemischt. Hier erleben wir wieder dasselbe Phänomen: Die Musik spielt sehr nah und präzise vor uns, während die Hintergrundgeräusche einen weiten Hintergrund gleich einem entfernten Bühnenbild aufbauen. Ich habe keine Ahnung, wie dieser Lautsprecher zwischen der Bedeutung von Signalen unterscheiden kann (kann er natürlich nicht, das ist klar) – der dadurch erzielte Effekt verblüfft immer wieder.
Bei gut aufgenommener Kammermusik zeigen die JBL noch mehr von ihren räumlichen Fähigkeiten. Nach wie vor ist der Raum nicht tief, dafür werden Ensembles exemplarisch in der Breite aufgefächert und jeder einzelne Musiker auf seinen Platz „genagelt“.
So richtig rastet die L100 Classic übrigens noch ein, als wir Johnny Cash hören. Ein klares Arrangement, erdige Farben, eine kantige und seelenvolle Stimme in der Mitte – hier wächst die JBL über sich hinaus, klingt nicht mehr nach HiFi, High End oder überhaupt nach Lautsprecher. Wir hören andächtig durch, unterbrechen nicht, denn Mr. Cash ist nur für uns da.
Eine originale JBL 4312 MK II in Bestzustand.
Oft hört man, dass sich in den letzten 30 Jahren sowieso nichts mehr in der Audiotechnik getan hätte, alle Räder seien schon vor geraumer Zeit erfunden worden, sogenannte „Neuheiten“ werden zum Etikettenschwindel degradiert. Wir können den Vergleich ziehen und neben der L100 Classic noch eine originale JBL 4310 im Bestzustand hören. Ich erspare Ihnen und der ehrwürdigen Box peinliche Details, aber gegen die modernisierte L100 macht sie keinen Stich. Basskontrolle, Geschlossenheit, Abbildungspräzision – in all diesen Punkten haben sich nicht nur Details verbessert. Also doch gut, dass weiter geforscht wird. Und bei JBL mit einer besonders großen Abteilung.
Standlautsprecher JBL L100 Classic
Funktionsprinzip: 3-Wege-Standlautsprecher, Bassreflex
Bestückung: 2,5-cm-Titanhochtöner, 12,5-cm-Zellstoff-Mitteltöner mit Polymerbeschichtung, 30-cm-Zellstoff-Tieftöner
Ausstattung: Pegelsteller für MT und HT
Ausführung: Walnussfurnier; Waffelschaumstoff-Abdeckung wahlweise in Schwarz, Blau oder Orange
Maße (B/H/T): 64/39/37 cm
Gewicht: 27 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Paarpreis: 5200 €