Jazzidelity: Simon Kanzler featuring Anna Webber – Talking Hands
Kühl und abstrakt
Wenn nicht alles täuscht, erlebt das Vibraphon gerade eine kleine Renaissance. Das könnte am Klang des Instruments liegen, dieser heißkalten metallischen Sachlichkeit, die wie eine Brücke wirkt zwischen Mensch und Maschine, zwischen Gefühl und Gehirn. Oder es könnte an der speziellen Spieltechnik liegen, die das Vibraphon verlangt, dieser reduzierten, perkussiven Haltung, die einem hilft, die Welt nüchtern ins Auge zu fassen und trotz allem auf Kurs zu bleiben. „Das Vibraphon ist abstrakter als das Klavier“, so hat es mal jemand formuliert: „Du spielst die Harmonien nicht, aber du siehst sie sozusagen vor dir. Auch berührst du das Instrument nur mit den Mallets, da bleibt immer eine gewisse Distanz.“ Offenbar verleitet das Spiel auf dem Vibraphon dazu, in Strukturen zu denken, in Kürzeln, Mustern, Zusammenklängen und atmenden Pausen. Das Instrument kommuniziert direkt mit dem Raum. Selten wurde das so deutlich vorgeführt wie nun durch Simon Kanzler, den jungen Vibraphonisten aus Berlin. Talking Hands (Unit Records UTR 4379), sein Debütalbum, scheint geradewegs aus dem konstruktiven, spartanischen Geist des Vibraphons geboren. Sparsam, punktuell, kürzelhaft: Kanzler setzt mit seinem Trio und Quartett ganz auf Understatement und emotionale Zurückhaltung. Sein ästhetisches Ideal heißt Aussparung. Dennoch besitzt dieses Album auch Groove und Dynamik: Dafür sorgt vor allem Schlagzeuger Tilo Weber, der bereits mit Paul Motian verglichen wurde, dem legendären Trommelzauberer. Weber ergänzt die intellektuelle Kühle des vibraphonistischen Konzepts mit einem körperlichen, spannenden Drive. Bandleader Kanzler schrieb alle Stücke auf dem Album selbst – und beweist mit Talking Hands eine unerschütterliche Konsequenz. Wie bei einem kunstvollen, nicht auf den ersten Blick erklärbaren Mobile, das in einem weißen Raum schwebt, so greifen die Elemente seiner Musik dreidimensional und faszinierend ineinander. Chromatisch frei ist die Tonsprache, seltsam magisch die Beschwörung der Pausen, letztlich unauslotbar der Klang der Metallplatten und Resonanzröhren des Vibraphons. Igor Spallati am Bass und die Gastmusikerin Anna Webber – gefeierte Newcomerin aus New York an Saxophon und Flöte – erweitern das kühle Klangbild, ohne ihm dabei seine Schwerelosigkeit zu nehmen. Es gibt keine Brüche zwischen Thema und Improvisation, lediglich sanfte Schaltstellen. „Ein solches Vibraphon-Album hat es noch nicht gegeben“, hieß es kürzlich in der Presse. Bleibt nur zu hoffen, dass es nicht das einzige bleibt.