Jazzidelity: Jacques Loussier – Play Bach ein Leben lang
Jacques Loussier zum 80.Geburtstag
Crossover – eine Erfindung der 1990er Jahre? Mitnichten, spätestens seit 1959 dürfte einer breiten Hörerschaft bekannt gewesen sein, wie trefflich die sogenannte ernste Musik und das angeblich Leichte des Jazz zusammengehen. Jacques Loussier hatte es mit seiner LP-Veröffentlichung Play Bach bewiesen.
Loussier wurde 1934 im französischen Angers geboren und begann als Zehnjähriger mit dem Klavierspiel, wobei sich recht früh eine Affinität zu Bach einstellte. Einer Anekdote nach, soll er ein Präludium aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach zum Verdruss seiner Familie fünfzigmal hintereinander gespielt haben, allerdings immer mit kleinen melodischen Veränderungen und Improvisationen. Das Fundament für Play Bach wurde bereits hier gelegt.
Die eigentlichen Ideen zu Loussiers einzigartiger Verbindung von Barockmusik und Jazz entstanden während der Unterrichtspausen an einem Flügel in der Cafeteria des Pariser Konservatoriums. Man muss sich vergegenwärtigen, dass an vielen europäischen Musikhochschulen der 1950er Jahre die regulären Flügel für Jazzmusik per Hausordnung gesperrt waren! Dieses „Pausenspiel“ wurde dann unerwartet Loussiers Karrierezünder. Bei Verhandlungen mit der französischen Decca über ein „ernstes“ Klavierprojekt setzte sich Loussier während einer Kaffeepause an den Studioflügel und improvisierte seine spezielle Melange aus Bach und Jazz, worauf Produzent Marcel Stellmann angefixt alle ursprünglichen Pläne über Bord warf und das Projekt Play Bach skizzierte. Die Folge waren fünf Veröffentlichung mit dem Bassisten Pierre Michelot und dem Drummer Christian Garros, jährlich über 150 Konzerte und eine kommerzielle Berühmtheit bis hin zum Soundtrack für Zigarettenwerbung.
Erschöpft zog sich Loussier 1979 zurück, um nach heftigem Drängen von Fans und Plattenindustrie zum großen Bach-Jubiläum 1985 das Play-Bach-Trio zu reaktivieren. Loussiers erweiterte nun sein Repertoire und nahm neben Barockkomponisten auch Komponisten der französischen Moderne wie Debussy oder Ravel in sein Programm auf.
Dreh- und Angelpunkt seiner musikalischen Arbeit ist aber immer die Musik Bachs gewesen. Bei der Erforschung und Gestaltung des gewählten Materials verknüpft Loussier harmonische Verläufe der Barockmusik mit den Akkordfortschreitungen des Jazz und offenbart, wie nahe diese doch beieinander liegen. Dass sich auch rhythmisch eine Liaison zwischen den Epochen und Stilen rechtfertigen lässt, zeigt übrigens nicht zuletzt die historische Aufführungspraxis: Barocke Rhythmik und Phrasierung sind nicht weit von dem entfernt, was man im Swing als „triolisch“ bezeichnet.
Loussier nähert sich Bach meist im gängigen Jazzmodus von Thema und Improvisation: Häufig sogar nur vom Klavier alleine oder nur punktuell von Bass oder Schlagzeug begleitet, wird das bekannte Thema des Originals vorgestellt, um danach in eine Jazzimprovisation überzugehen, die auf dem harmonischen und melodischen Material des Ursprungsstückes besteht. Der spätere Zugriff auf die französischen Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts kann gar nicht hoch genug gewürdigt werden, öffnet er den Blick auf die vielfältigen Verbindungen zwischen den harmonischen Klängen jener Zeit wie Quartenakkorde oder modale Akkordbewegungen und einer spezifischen europäischen Jazzmusik, die schon immer die Neue Musik des frühen 20. Jahrhunderts als einen wesentlichen Bezugspunkt hatte. Und gerade hier gibt es dann bei Loussier auch heute immer wieder Neues und Aufregendes zu entdecken.
Alle, die Loussier bisher nur beiläufig kannten oder auch diejenigen, die nur die Aufnahmen aus den 1960er Jahren besitzen, sollten die Gelegenheit der auf zwei Doppel-CDs verteilten Geburtstagskompilation nutzen (My Personal Favorites – The Jacques Loussier Trio Plays Bach). Erstere, weil so ein wunderbarer Überblick über einen fünfzigjährigen Schaffensprozess zu bekommen ist und die übrigen, weil die vorliegenden Telarc-Sampler mit einer wahrlich superben Klangqualität aufwarten, die das originale Vinyl doch arg verblassen lässt. Happy birthday, Monsieur Loussier!