Jazzidelity: Django Bates/Belovèd – Confirmation
Über Bird hinaus
Als Teenager hatte Django Bates das Gefühl, er sei der Einzige seiner Generation, der Charlie Parker kennt: „Als ich noch zur Schule ging, fand ich nicht einen Mitschüler, der etwas über Jazz wusste, diese Musik spielen wollte oder sich auch nur dafür interessierte. Und das war immerhin eine Schule mit 2000 Schülern aus allen Teilen Londons.“ Also erweiterte er damals seine Suche, pfiff immer wieder Parker-Themen und -Phrasen, wo er ging und stand, und hoffte auf irgendeine Reaktion. Mit Charlie „Bird“ Parker war er groß geworden. Charlie „Bird“ Parker war Brot und Salz im Haus seiner jazzbegeisterten Eltern, war „Nahrung und Lebenskraft“, so erinnert sich Bates. Und eines Tages geschah das kleine Wunder: Von irgendwo am anderen Ende des Bahnsteigs kam eine Antwortphrase auf sein gepfiffenes Parker-Motiv. Wie zwei Vögel, die sich von Baum zu Baum zum Duett finden, fand er den anscheinend einzigen weiteren „Bird“-Fan Londons. Es war der fast gleichaltrige Steve Buckley. Sie machten später viele Platten zusammen: Buckley, der Saxofonist, und Bates, der Klavierspieler.
Django Bates ist einer der unberechenbarsten Jazzmusiker Europas. Er leitete die britische Anarcho-Bigband Loose Tubes, spielte Keyboards für Bill Bruford, Iain Ballamy oder Ken Stubbs, fand Inspiration für seinen schrägen Humor bei Flann O’Briens The Third Policeman, gründete mit Delightful Precipice ein noch schrägeres Orchester und machte sogar ein ungewöhnliches Kammermusik-Album für das Klassiklabel Argo. Aber irgendwann holte ihn Charlie Parker wieder ein, die Musik seiner Jugend. Der Anstoß kam von außen und unerwartet: „2005 bat man mich um einen Charlie-Parker-Tribut im Kopenhagener Jazzhaus.“ Es war Parkers 50. Todestag.
Aus den paar Arrangements für den Jazzclub wurde dann ein festes Trio namens Belovèd. 2009 präsentierten Bates und seine dänischen Mitstreiter Petter Eldh (Bass) und Peter Bruun (Schlagzeug) ihr Debütalbum Bird: zehn Parker-Nummern, durch den skurrilen Bates’schen Fleischwolf gedreht. War ja eigentlich klar: Wenn Bates Parker spielt, klingt er nicht wie Bud Powell, Barry Harris oder Hampton Hawes. „Birds“ Themen explodieren unter seinen Fingern in ihre Einzelteile, die Motive machen sich selbständig, huschen durch verschiedene Tempi und Harmonien, wechseln in Sekundenschnelle Sinn und Gestalt. Ein Kritiker soll geschrieben haben: „Charlie Parker hätte sich im Grabe umgedreht.“ Doch was wie ein Sakrileg klingen mag, ist in Wahrheit eine Verneigung: Jede Parker-Phrase ist heilig und unkaputtbar. Und in jeder Parker-Phrase steckt der Keim zu einem neuen Stück, einer Ballade, einem Riff. Bates‘ Trio allerdings deutet das nur an. Sein Parker-Tribut ist ein bizarres Mosaik aus Fragmentteilchen, ein Kaleidoskop unverwirklichter Möglichkeiten.
Mit Confirmation gehen die drei einen Schritt weiter. Ausgangspunkt bleibt die fröhlich-freie Dekonstruktion Parkers – diesmal durchgeführt an „Confirmation“, „Donna Lee“ und „Now’s The Time“. Aber jedem der drei Stücke folgen zwei Originals von Bates, so zügellos und grotesk hingezaubert, als sei dem Parker-Puzzlespiel gerade eine komplett neue Klaviertrio-Ästhetik entstiegen. Bei jeder Kehrtwendung wittert man Parker-Phrasen. Fragt man Bates, steckte „Bird“ eben schon immer in allem, was er machte: „Ich bin mit seiner Musik aufgewachsen, sie lief ständig.“ Ob melancholisch-bluesnah in „Senza Bitterness“, kraftvoll in „Giorgiantics“, leichtfüßig in „Dimple“ oder romantisch in „Peonies As Promised“: Dieses Trio interpretiert auf kunstvolle Weise die Zerrissenheit, verfolgt ständig ein Dutzend Fährten gleichzeitig und scheint doch zu wissen, wo es hinwill. Eines von Bates‘ Stücken heißt: „We Are Not Lost, We Are Simply Finding Our Way“. Möge „Bird” ihnen auch weiterhin leuchten!