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Vinyl Corner - Jazz on Vinyl

Jazz on Vinyl

Vinyl-Corner

Jazz on Vinyl

Ob Reissue oder Neuerscheinung – audiophile Neuerscheinungen sind aktuell Wanderer zwischen den Welten.

Beginnen wir unsere aktuellen LP-Empfehlungen mit zwei Neuerscheinungen, die in ihrer geschmackvollen Gediegenheit auch weniger jazzaffine Hörer ansprechen werden. „Jazz on Vinyl“ ist nicht nur der Titel unseres aktuellen Vinyl-Corners, sondern auch der Name eines auf Jazz spezialisierten kleinen Labels, das durch rein analoge Produktionsweise besticht.

Vinyl Corner - Jazz on Vinyl
Patrick Bebelaar – How Insensitive, Jazz on Vinyl (180-g-Vinyl)

Für seine live, aber ohne Publikum mitgeschnittenen Aufnahmen verwendet Dominique Klatte, Inhaber und Chef von Jazz On Vinyl, alte analoge Vintage-Mikrofone von Neumann, Schoeps, AKG oder Sennheiser, deren Signale in einen Mischer vom Typ Studer 961/962 wandern. Aufgezeichnet wird alles auf einer generalüberholten Viertelzoll-Bandmaschine vom Typ Studer A 807, die für jede Aufnahmesession neu justiert wird. Doch damit nicht genug: Selbst der Tonschnitt wird bei Jazz On Vinyl bisweilen mit Schere und Rasierklinge am analogen Masterband umgesetzt – und nicht an einer digitalen Audioworkstation, die eine AD/DA-Wandlung nötig machen würde. Nachbearbeitungen mit künstlichen Hallräumen oder Overdubs mit nachträglich hinzugefügten Instrumenten gibt es bei der in Erding gelegenen Firma nicht. Insofern unterscheidet sich auch die aktuelle Neuerscheinung mit dem Pianisten Patrick Bebelaar angenehm von jenen künstlich aufgeblasenen audiophilen Produktionen mit übertriebenem Hall oder aufgeblasenem Oberbass. Bebelaar präsentiert uns auf seiner aktuellen Produktion meist balladesk gestimmten europäischen Klavierjazz, gemixt mit einigen Phrasen Worldmusic und der ein oder anderen Bluesskala. Ein angenehm und entspannt zu goutierendes Album, perfekt zum Fünfuhrtee oder als Abschluss eines langen Hörabends, wofür sicherlich auch die natürliche und unaufdringliche Tontechnik des Labels verantwortlich ist.

Unglaublich lässig, aber ebenso konservativ zurückhaltend klingt unsere nächste Veröffentlichung im Vinyl-Corner, mit der sich der Saxofonist Jerome Sabbagh einen Jugendtraum erfüllt. 1988 kam der damals 15-jährige Saxofonschüler in den Genuss, Zuschauer eines Stan-Getz-Konzertes in Paris zu sein. Auf der Bühne mit dabei: Pianist Kenny Barron. Zutiefst beeindruckt vom Zusammenspiel dieser zwei Musiker, hatte das Konzert nachhaltigen Einfluss auf Sabbaghs musikalische Entwicklung und Karriere. 32 Jahre später ließ der Saxofonist nun seinen Traum wahr werden – eine eigene Aufnahme mit Barron am Piano. Das Ergebnis ist das Album Vintage, eine Hommage an die „guten alten“ Helden des traditionellen Jazz.

Vinyl Corner - Jazz on Vinyl
Jerome Sabbagh – Vintage, SSC (180-g-Vinyl)

Und so lauschen wir einem eleganten Spiel, das auch weniger jazzbegeisterte Hörer verführen wird, zumal die Produktion mit audiophiler Klangqualität zu überzeugen weiß. Die Aufnahmen fanden 2020 bei Oktaven Audio auf analogem Mehrspurband statt, die Abmischung erfolgte auf einem Ampex-Röhrenbandgerät Modell 351 auf ½-Zoll-Band; und über allem schwebte der Mastering-Geist von Bernie Grundman. Eine Aufnahme mit Herz und Verstand.

Wie aufregend und revolutionär dagegen Jazz zu Beginn der 1960er Jahre geklungen hat, zeigen die aktuellen Reissues von Impex und MFSL; und zwar sowohl in Sachen musikalischer Ausdruckskraft als auch in der dynamischen Aufnahmequalität. Auf der Suche nach Titeln, die sich für eine Wiederveröffentlichung eignen, stößt man gelegentlich auf ein Juwel, das aus irgendeinem Grund bislang nicht die Popularität erlangt hat, die es verdient. Dieses Impex-Remaster von Kenny Dorhams Matador ist so ein Fall.

Vinyl Corner - Jazz on Vinyl
Kenny Dorham – Matador, Impex (180-g-Vinyl)

Blickt man in die diskografische Historie dieser Produktion, so finden sich dort erstaunlich wenige Reissues – bei denen es sich zudem meist um japanisches Vinyl handelt, das entsprechend teuer gehandelt wird. Matador wurde 1962 an einem einzigen Tag aufgenommen. Neben Dorham an der Trompete übernimmt Jackie McLeans bissiges Altsaxofon den zweiten Bläserpart. Nuanciert unterstützen Bobby Timmons (Klavier), Teddy Smith (Bass) und J. C. Moses (Schlagzeug) den Austausch virtuoser und harmonisch exzentrischer Soli von Trompete und Saxofon. Eine Aufnahme, die in ihrer harmonischen und rhythmischen Komplexität weit über das Entstehungsjahr 1962 hinausweist. Schön, dass man bei Impex die direkte und geradezu explosive Aufnahmetechnik, die die beiden Bläser herausfordernd aus den Lautsprechern hervortreten lässt, beibehalten und schlackenlos aufpoliert hat.

Das Album Seven Steps To Heaven gilt im Œuvre Miles Davis’ als Übergangswerk, was bereits an den zwei unterschiedlichen Besetzungen und den beiden unterschiedlichen Aufnahmeorten zu erkennen ist.

Vinyl Corner - Jazz on Vinyl
Miles Davis – Seven Steps To Heaven, MFSL (180-g-Vinyl)

1962/1963 arbeitet Davis mit wechselnden Musikern zusammen, und erst am Ende dieser Periode schälte sich mit Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams die Band heraus, mit der er in den nächsten fünf Jahren so legendäre Alben wie E.S.P., Nefertiti oder Miles Smiles einspielen sollte. Seven Steps To Heaven war das letzte Miles-Davis-Album, das noch stark auf Standard-Material basierte, aber vor allem die drei in New York aufgenommenen Tracks mit Hancock, Carter und Williams weisen bereits hier auf den avantgardistischen Weg der Zukunft hin, während die in Hollywood produzierten Aufnahmen doch recht handzahm grooven. Für all die empfindsamen analogen Seelen, die bis heute vom sogenannten „MOFI-Gate“ – dem Verschweigen des „bösen“ digitalen Zwischenschritts beim Remastering bei MFSL – traumatisiert sind, sei gesagt, dass hier selbstverständlich der Zwischenschritt via DSD256 auf dem Cover angegeben ist, was aber angesichts der grundsätzlichen klanglichen und presstechnischen Güte des Albums vollkommen irrelevant ist. Vergleicht man es etwa mit der vor einigen Jahren erschienen 45-rpm-Ausgabe der Kind Of Blue, so scheint man sich bei MFSL mittlerweile ein wenig mehr hin zu einem klareren und weniger mit audiophiler Wärme bedachten Klangbild bewegt zu haben, was der dynamischen Kraft der Aufnahme einen großen Gewinn verschafft.

Die angezeigten Preise sind gültig zum Zeitpunkt der Evaluierung. Abweichungen hierzu sind möglich.