Tonhalle MAAG Zürich
Dies ist eine Seltenheit. Wir berichten über einen Saal, der ausgedient hat. Die Tonhalle in Zürich wird nicht mehr benötigt, eine weitere Nutzung abseits eines langweiligen Daseins als Eventlocation steht noch in den Sternen. Dabei hätte dieser modular aufgebaute Saal alle Ehren verdient, mit denen sich eine Konzerthalle schmücken kann.
Als von 2017 bis 2021 die Tonhalle Zürich umfassend renoviert wurde, brauchte das renommierte Tonhalle-Orchester dringend ein Ausweichquartier. Jahrelang wurden unterschiedliche Möglichkeiten und Konzepte diskutiert. Letztlich setzte man in eine bestehende Halle in einem ehemaligen Industrie-Areal eine Holzkiste, bestuhlte und verkabelte diese, und fertig war der Ausweichsaal mit 1224 Sitzplätzen. Das Tonhalle-Orchester hat übrigens ein absolut sehenswertes Zeitraffer-Video vom Bau bei Youtube hinterlegt (https://www.youtube.com/watch?v=teVgT-XG14o).
Was als schnödes Provisorium geplant war, entpuppte sich als veritabler Glücksgriff, denn dieser kleine, schnell dahingezimmerte Saal, der gar nicht so viel können sollte, klang und klingt über die Maßen gut und stellt so manche etablierte Weihestätte klassischer Musik quer über den Globus locker in den Schatten. Für das Publikum klingt alles „dicht dran“ ohne übergriffig zu werden, es gelingt eine phänomenale Synthese aus Nähe und Distanz, die einen jeden Ton hautnah erleben, laute Passagen aber niemals unangenehm werden lässt. Die durchaus stupende Durchsichtigkeit der musikalischen Texturen geht allerdings nicht mit dem allzu oft mit eingekauftem harten, sterilen Charakter einher. Da der ganze Saal aus Holz besteht, klingt es so, wie es nur dieser Werkstoff beherrscht: klar und doch warm und organisch.
Als Musiker nähert man sich dieser wunderbaren Bühne leider über lange, schmale und verwinkelte Gänge sowie einige steile Treppen. Da merkt man, dass dieses Gebäude in seiner Grundstruktur nicht für diese Verwendung konzipiert wurde. Hat man den Weg gut hinter sich gebracht (und überhaupt gefunden), entert man die wunderbare Bühne, auf der man sowohl sich als auch die meisten Kollegen mühelos hört. Als Pauker sitzt man in der letzten Reihe vor der Rückwand, darf sich daher etwas entspannen und muss nicht jeden lauten Einsatz mit voller Kraft stützen. Hier kann man die Töne eher locker anstoßen, dann den Saal seine Arbeit machen lassen und gegebenenfalls etwas nachfüttern. Eine sehr angenehme Art, auch komplexere Musik sehr entspannt und mit Blick auf die musikalischen Strukturen spielen zu können, ohne sich zu sehr um die körperliche Arbeit kümmern zu müssen.
Dass es in dem Quartier, in dem die Tonhalle MAAG (Music & Arts AG) situiert ist, von Bars und Restaurants nur so wimmelt und zudem der Nahverkehr bestens vor der Tür fährt, rundet das Bild eines wunderbaren Konzertsaals nur noch ab. Schade, dass ich dort wohl keine Konzerte mehr haben werde. Natürlich spiele ich wieder mit sehr viel Freude in der „richtigen“ Tonhalle, diesen Interimssaal werde ich aber dennoch wirklich vermissen.
Musiktipps – Aufnahmen mit typischem Raumklang
Vom Tonhalle-Orchester Zürich findet man einige Mitschnitte einzelner Konzerte, die während der Ausweichzeit in diesem Saal aufgezeichnet wurden.