Philharmonie Essen
Nach den ganzen Kulturhauptstädten, die in den letzten Ausgaben mit ihren wunderbaren Sälen betrachtet wurden, scheint es zunächst zu verwundern, dass wir mit dieser Folge mitten im wenig glamourösen Ruhrgebiet landen, genauer bei der Philharmonie Essen
Dennoch sollte man sich nicht täuschen lassen! Gerade Essen, der „Schreibtisch des Reviers“, hat eine durchaus respektable kulturelle Tradition, weit mehr als die typischen „Arbeiterstädte“ ringsherum.
Schon 1864 wurde in Essen ein Konzert- und Festsaal errichtet, der Stadtgartensaal. Schon bald merkte man aber, dass man für den Bedarf zu klein geplant hatte, und so wurde dieser Fachwerkbau 1904 durch den ersten Saalbau ersetzt. Hier dirigierte 1906 immerhin Gustav Mahler die Uraufführung seiner Sechsten Sinfonie – kein schlechtes Pflaster also.
Im Jahre 1943 bereitete Bomber Harris diesem ersten Saalbau ein vorzeitiges Ende, fast nichts blieb erhalten. Ab 1949 wurde wieder aufgebaut, ein neuer Saalbau entstand und es gelang sogar, einige der alten, stehengebliebenen Reste zu integrieren. Die wirkliche Geburtsstunde des heutigen Saales der Philharmonie schlug aber in den Jahren 2000–2004, als das Gebäude komplett entkernt und neu aufgebaut wurde. Die Zuschauerkapazität wuchs um 200 Plätze und die Akustik gewann durch die deutlich erhöhte Decke.
Gerade einmal fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt und mit reichlich Parkhäusern versehen, lässt sich die Philharmonie, obwohl in Essens Zentrum gelegen, gut erreichen. Für uns Musiker ist das angeschlossene Hotel ein weiterer Pluspunkt: Man kann sich bequem in seinem Zimmer umziehen und gelangt trockenen Fußes zum Podium. Gerade auf Tourneen in der kalten Jahreszeit ein unschätzbarer Vorteil.
Der Saal selbst ist für Musiker ein Traum: Das Podium ist ausreichend groß, die Ebenen sind sinnvoll gegliedert und automatisch fahrbar, die Beleuchtung ist blendfrei und die Klimatisierung stabil. Man fragt sich immer wieder, warum das alles offenbar so schwer hinzubekommen ist. Viel Platz hinter der Bühne, eine freundliche Kantine und ausreichend viele Schließfächer runden das Bild ab.
Sitzt man endlich auf der Bühne, bedarf es nur einer kurzen Eingewöhnungszeit. Wie in vielen sehr hohen Sälen klingt es auf der Bühne sehr entspannt, auch hohe Lautstärken erzeugen keinen „Druck“.
Außerdem – auch das ist ein Merkmal dieser Saalart – hört man sich selbst sehr prominent, die Kollegen etwas leiser. Daran hat man sich allerdings schnell gewöhnt, da man relativ leicht die komplette Bühne „durchhören“ kann. Es gibt keine „tauben Flecken“, wie man sie beispielsweise in der Elbphilharmonie erlebt.
Dem Publikum kommt der neue Saalbau ebenfalls sehr entgegen: Ich kenne wenige Säle, in denen man von fast allen Plätzen eine so vollständige Sicht auf die Bühne hat. Die Akustik im Saal ist ein wenig vom Sitzplatz abhängig, schenkt allerdings nicht so stark wie in manch anderer Halle.
Ich bevorzuge meistens die erste Reihe hinter der ersten Stufe.
Prinzipiell ist der Essener Saalbau kein Schönfärber, bei dem akustischen Umbau wurde zuerst auf Klarheit des Klanges geachtet. Das wurde zum Glück nicht übertrieben. Wenn eine Streichergruppe ein Pizzicato nicht ganz auf den Punkt bringt, klingt es nicht wie ein durchbrechendes Reisigbündel – man kann die Musik immer genießen.
Außerdem bleibt der Saal auch bei hohen Lautstärken transparent, nur bei größten Besetzungen und im allergrößten Fortissimo „macht er etwas dicht“. Eigentlich ein Fehler des Saales, den ich aber bei Sälen allgemein mag. Denn diese Überlastung an der oberen Grenze der Lautstärke sorgt für einen besonderen Druck im Klang, dass Fortissimo wird spürbar. Für mich ein Gewinn, da die Musik ganzheitlicher aufgenommen werden kann.
Nicht zu vergessen: Nach einem guten Konzert muss der leibliche Schwerpunkt wieder justiert werden. Dazu eignen sich einige Restaurants in der Nähe, allen voran das „Tablo“, ein türkisches Etablissement, das sich auf Fisch und Lamm spezialisiert hat. Immer mindestens einen Besuch wert!
Musiktipp – Aufnahme mit konzertsaaltypischem Klang:
Richard Wagner
Der fliegende Holländer
Capella Coloniensis, Bruno Weil
Deutsche Harmonia Mundi