L´Opéra Royal, Château de Versailles
Das Jubiläum von FIDELITY verlangt nach einem festlichen Saal. Da etwas Passendes vorzustellen, sollte zunächst einmal nicht schwer sein, denn so ziemlich alle Konzerthäuser dieser Welt versprühen mehr Charme als ein Parkhaus. Wenn es aber unter diesen ganzen Preziosen etwas Besonderes sein soll, fällt die Wahl deutlich schwerer. Nicht zuletzt, weil wir nun wirklich schon einige prächtige und repräsentative Säle vostellen durften hatten. Also befragte ich mein Konzertreisengedächtnis und einige meiner Kollegen: Welcher Saal ist außergewöhnlich für dich? Heraus kam die Opéra Royal im Schloss Versailles.
Alles an diesem Haus sprengt die üblichen Maßstäbe, etwas ganz Besonders ist es allerdings, mit einem Backstage-Ausweis durch die Eingeweide dieses Molochs von einem Schloss wandern zu dürfen.
Der Zugang ist eher unprätentiös: ein graues, nur mit einem kleinen Klingelknopf versehenes Tor neben einem Parkplatz ohne Schild erlaubt Zugang. Nach diversen Sicherheitskontrollen bekommt man endlich seinen persönlichen Ausweis und kann über steile Treppen zum Opernhaus emporsteigen. Der erste Anblick überwältigt, denn man betritt den Saal über den Bühnenraum, der nicht nur enorm tief und hoch ist. Nein, sämtliches Trägerwerk ist noch in der originalen Gestalt erhalten, ein immenses Skelett aus kunstvoll miteinander verbundenen Holzbalken trägt das Dach und die diversen Bühnenmaschinen. Ähnlich museal geht es weiter, wenn man unter die Bühne klettert, wo man die originalen Bühnenaufzüge sehen kann, mithilfe derer die Schauspieler an vielen Stellen der Bühne plötzlich „erscheinen“ können. Sehr speziell an dieser komplett aus Holz gefertigten Konstruktion ist auch, dass sie ständig in Bewegung ist. Steht man während einer Probe oder Aufführung ganz still zwischen den Kulissen der Seitenbühne, kann man das Geschehen nicht nur hören und sehen, sondern auch deutlich spüren, wie die Maschinerie arbeitet.
Die Garderoben sind keiner Erwähnung wert – eng, verwinkelt, über schmale Treppen zugänglich. Allerdings sind sie auch nicht der Grund, warum man hier spielen möchte.
Noch nicht einmal der bei Bedarf überraschend geräumige – bis zu 80 Musiker finden hier Platz – und nicht sonderlich komfortable Graben reizt. Es ist die gesamte Atmosphäre, die dieses Gebäude aus jeder Fuge atmet. Denn obwohl jedes Opernhaus einer deutschen Kleinstadt über mehr als die hier gebotenen 700 Plätze verfügt, hat man hier ständig das Gefühl, an etwas sehr Großem teilnehmen zu dürfen.
Die Akustik ist eine äußerst gelungene Mischung aus klarer Artikulation (wegen der zahlreichen Ornamente an den Wänden, die jegliche glatte Fläche verhindern, und dem vielen Samt) und angenehmem Hall (wegen der durchaus beachtlichen Raumhöhe). Im Graben kann man die Sänger bestens hören und sogar verstehen, was beileibe nicht in jedem Opernhaus der Fall ist.
Die Aufführungen beginnen erst einige Stunden, nachdem das Schloss seine Pforten für die Öffentlichkeit geschlossen hat. In der Zwischenzeit kann man mit seinem Backstage-Ausweis weite Teile des nunmehr im Halbdunkel liegenden Schlosses erwandern, kein Tourist steht im Bild, kein Lärm blockiert die Fantasie. Diese Momente sind absolut unbezahlbar und lassen mich immer wieder Dankbarkeit verspüren, genau diesen Beruf gewählt zu haben.
Und als wäre das noch nicht genug, verfügt Versailles über ein erstklassiges Angebot an Restaurants, sofern man die eher touristisch orientierten Etablissements im direkten Umfeld des Schlosses ignoriert und seine Schritte zumindest bis zum sehr charmanten Marktplatz und den umliegenden Gassen lenkt.
Musiktipps – Aufnahmen mit typischem Raumklang