Koninklijk Concertgebouw Amsterdam
Mit dem Wiener Musikvereinssaal hatten wir schon einen der ganz „großen“ Säle dieser Welt in unserer Reihe.
Fotografie: Stefan Gawlick
Die anderen aus Berlin, Luzern, Boston oder Tokio werden noch kommen, heute ist Amsterdam dran.
Für uns Musiker ist es immer ein besonderes Erlebnis, im Koninklijk Concertgebouw zu spielen, denn die Geschichte, die dieser Saal erlebte und die das hiesige Orchester nach wie vor pflegt, sorgt für fast andächtige Momente auf der Bühne. Immerhin standen Wilhelm Mengelberg, Bernard Haitink, Riccardo Chailly, Pierre Monteux, Bruno Walter, Eugen Jochum, George Szell und viele andere mehr vor dem Hausorchester auf der Bühne – von den unzähligen Gästen ganz zu schweigen. Allein die von Mengelberg begründete Mahler-Tradition hat in der Musikwelt kein Beispiel.
Etwas außerhalb des Zentrums gelegen, präsentiert sich das Concertgebouw schon von außen als wunderbar ätherischer Musentempel. Inmitten der Parks und Museen will dieses Haus so gar nicht zu den vielen lauten, dreckigen und billig-touristischen Ecken Amsterdams gehören, scheint gleichsam auf einer eigenen Insel zu residieren. Viele Bars und Restaurants in unmittelbarer Nähe entschädigen für die Kantine mit dem nur schwer genießbaren Essen. Ein Besuch dieses Kellerraumes (vielleicht gelingt es Ihnen einmal, dort hineinzukommen) lohnt aber dennoch: Die Wände sind lückenlos mit Künstlerfotos und Autogrammen aller möglichen Musiker seit der Eröffnung des Saales im Jahr 1888 bedeckt.
Über schmale und steile Treppen kommen die Orchestermusiker von unten auf die Bühne, Solisten und Dirigenten müssen von oben über eine lange Treppe herabsteigen. Und ich kenne keine Solistin, die nicht jedes Mal Angst davor hat, mit ausladender Abendrobe coram publico diesen Weg zu gehen – ja, es gab schon spektakuläre Stürze.
Wie im Saal in Wien schenkt auch diese Akustik dem Musiker Kraft, denn sie trägt und nährt den Ton. Man muss nicht wie in der Royal Festival Hall um sein Leben spielen, um überhaupt gehört zu werden. Nein, man stößt einen Ton nur an und kann ihn dann in aller Ruhe auf seinem Weg formen, denn Kraft ist hier nicht nötig. Und das, obwohl man immerhin für knapp 2000 Menschen spielt.
Das schlägt sich natürlich in der Instrumentenwahl und Spielart nieder. Nicht umsonst ist das Concertgebouw Orkest eines der wenigen modernen Orchester weltweit, das viele Instrumente aus früheren Generationen nutzt und nicht versucht, größer, schneller, weiter und lauter zu werden. Gerade die meistens gespielten Schnellar-Pauken sind ein Relikt aus der Zeit Gustav Mahlers, als eben dieser Herr Schnellar die Paukenstelle in Amsterdam bekleidete, bevor er wieder nach Wien zurückkehrte.
Auch klingen zwei Bässe hier wie vier oder fünf, Geigen glänzen auch bei hohen Tönen so golden, wie es von Decca-SXL-Fans gerne manchen Aufnahme aus London nachgesagt wird. Im Concertgebouw klappt das ganz von alleine – ohne Röhrenmikrofon.
Das Feedback, das dieser Saal zu geben vermag, ist ebenfalls außergewöhnlich gut. Von der Bühne aus kann man im Nachklang bestens hören, was fehlt oder klanglich „übersteht“, aus dem Zusammenhang fällt. Das erklärt auch die wunderbar verfeinerte Spielkultur des Concertgebouw Orkest. Achten Sie bei deren Aufnahmen einmal besonders auf die extraordinäre Verzahnung und Verblendung der Register; in einem schlechten Saal kann man nicht so zusammenwachsen.
Charmant sind auch die überall im Saal angebrachten Namenskartuschen. Zwischen die großen Namen wie Mozart, Bruckner, Beethoven oder Ravel schoben die Erbauer immer wieder ein paar Lokalgrößen, von denen man außerhalb der Niederlande nur in den seltensten Fällen gehört hat.
Musiktipps – Aufnahmen mit konzertsaaltypischem Klang
Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 4, Concertgebouw Orkest, Mariss Jansons, RCO
Nikolai Rimski-Korsakow, Scheherazade, Concertgebouw Orkest, Kirill Kondraschin, Philips
Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 1, Concertgebouw Orkest, Rafael Kubelik, Philips