Thomaskirche, Leipzig
Dieses Mal kommen wir zu einer ganz anderen Art von Musikraum. Zu einer Art von Raum, die sich allerdings über Jahrhunderte als prägend für die Entwicklung der Kunstmusik im Abendland herausstellte: die Kirche. Ob wir persönlich gläubig sind oder nicht, tut hier gar nichts zur Sache, denn viele der großartigsten musikalischen Werke der letzten fünfhundert Jahre entstanden für kirchliche Feiern oder zumindest im Auftrag der Kirche. Ganz nebenbei wie in vielen anderen Kunstrichtungen auch. Wer einmal vor der Pietà im Petersdom stand (ja, es ist eine Kopie – und dennoch!), bekommt ein Gefühl für die Motivation, die viele der großen Künstler der Vergangenheit beflügelte.
Denken wir an geistliche Musik, kommt uns natürlich als allererstes Johann Sebastian Bach in den Sinn. Hat er doch die Sakralmusik in ihren Grundfesten konkretisiert und gleichzeitig in ihrer Ausarbeitung verfeinert wie kein Zweiter. Für mich zeigt sich das immer wieder in der h-Moll-Messe. Dieses Werk habe ich mittlerweile über vierhundert Mal aufgeführt, benutze schon lange keine Noten mehr, und doch freue ich mich jedes Mal wieder, wenn sie im Kalender steht. Dieses unfassbar großartige Stück nutzt sich nicht ab.
Die Wirkungsstätte Bachs waren die Hauptkirchen Leipzigs, vor allem die Thomaskirche, die seinem Job – Thomaskantor – den Namen gab. 1212 wurden Kirche, Chor und Schule gegründet, die erste Kirche stand etwas über zweihundert Jahre lang. Dann sollte ein Neubau her, da die Stadt zu einigem Wohlstand gekommen war. Ende des 15. Jahrhunderts wurde dann die neue Thomaskirche geweiht, die heute in Grundzügen immer noch in dieser Form existiert. Natürlich wurde im Laufe der Zeit viel umgebaut, namentlich eine große Renovierung im 19. Jahrhundert veränderte das Gesicht des Gotteshauses nachhaltig.
Als Musiker spielt man entweder auf der großen Westempore unter der romantischen Sauer-Orgel oder vorne im Altarraum und Chor, also in unmittelbarer Nähe des Meisters, der hier 1949 nach einigen Umwegen seine letzte Ruhestätte fand.
Hier zu sitzen und seine Musik zu spielen lässt sich kaum mit Worten beschreiben. Man fühlt sich so unmittelbar an der Quelle, im Zentrum dieses musikalischen Kosmos, dass wirklich jedes Konzert in der Thomaskirche ein bleibendes Erlebnis wird. Natürlich gibt es hier keine richtigen Garderoben, keine Kantine, lausiges Licht und dazu eine Akustik, die weitaus halliger ist, als man es als Musiker gemeinhin schätzt. Das alles verliert für unsereinen jedoch vollständig an Bedeutung, wenn man den ersten Ton in dieser Kirche spielt. Wenn man diese unglaubliche Musik zurück nach Hause bringt.
Zudem garniert die Thomaskirche jeden Ton mit dem schönsten Hall, den ich aus Kirchen kenne. Obschon vielleicht etwas lang, klingt er über alle Frequenzen gleichmäßig ab, färbt dadurch den Klang nicht hell oder dunkel ein, wie es sonst fast jede Kirche versucht. Für eine Kirche dieser Größe und Höhe lassen sich Töne jedenfalls verblüffend gut formen, teilweise auch durchaus sportliche Tempi umsetzen.
Dass diese Kirche mitten in einer quirligen und liberalen Stadt residiert, rundet das Bild noch ab, passt es doch, soweit wir es aus seinen wenigen Schriften herauslesen können, bestens zu Bachs Lebensauffassung,
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