Teil 1 von 2: Historie, Grundlagen, Hintergründe und Basiswissen
Messungen: Anselm Goertz
Grafiken: Anselm Goertz und Michael Makarski
Der Ursprung des Horns geht weit zurück in die Zeit, wo Hörner ganz allgemein zur Schallverstärkung der menschlichen Stimme und anderer Töne eingesetzt wurden. Schon in der Antike verwendete man ausgehöhlte Tierhörner als Signalhörner. Nicht zu vergessen die vielen Instrumente, die mit Trichtern zur Schallabstrahlung arbeiten, und Emil Berliners Grammofon, das zur Verstärkung der Schwingungen aus der Schalldose mit einem großen Horn daherkam.
Auch die ersten elektrodynamischen Lautsprecher bedurften – aufgrund der seinerzeit schwachen Verstärkerleistungen – der Unterstützung durch Hörner, um hinreichend Pegel möglich zu machen. Legendäre Konstruktionen wie die „Voice of the Theatre“ von Altec Lansing oder auch die Western-Electric-Hörner entstanden in der Röhrenverstärker-Ära und waren durchaus in der Lage, mit nur wenigen Watt Verstärkerleistung auch größere Säle zu beschallen, was schon damals eine Art „Green Technology“ war, nur kannte man den Begriff noch nicht. Klanglich können diese Lautsprecher durchaus auch mit heutigen Ansprüchen mithalten, wie bei so mancher Vorführung gut erhaltener Modelle eindrucksvoll demonstriert werden konnte.
Mehr noch: Viele Zuhörer schwärmen nach einer solchen Vorführung meist von einem besonders „natürlichen“ und „dynamischen“ Klang. Und das liegt weder an einer verklärten Weltsicht noch an einer Massensuggestion, sondern ist technisch begründbar. Richtig konstruierte große Hörner vermögen Lautsprechern zu einem dynamischen Höhenflug zu verhelfen, den man sonst bei Musik aus der Konserve kaum erleben kann.
Auch in der heutigen Zeit gibt es dafür gute Beispiele. Die großen Clubs auf Ibiza etwa statten ihre Hallen nicht ohne Grund mit riesigen Hornlautsprechern aus. Das berühmte Berliner „Berghain“ wird von einer riesigen Function-One-Horn-PA beschallt. Beim Mayday-Event in der Westfalenhalle setzte man jahrelang auf Hörner des Solinger Herstellers FÖÖN, und der japanische Elektronikkonzern Pioneer brachte unlängst ein wahrlich beeindruckendes PA-System für Diskotheken mit kompletter Hornbestückung auf den Markt. Spricht man mit Partygängern oder Techno-Fans über das, was die Hornsysteme ausmacht, dann wird immer wieder das besonders entspannte Hören bei extremen Pegeln genannt.
Allerdings, und das wollen wir nicht verschweigen, gibt es auch ausgesprochene Hornverächter. Manch einer assoziiert Hornlautsprecher schon bei ihrem Anblick sofort mit näselndem und quäkendem Klang. Auf eine Vielzahl von Hörnern, denen man im Alltag begegnet, mag das in der Tat auch zutreffen. Ansonsten ist dieser Vergleich aber eher unpassend, denn auch bei Hornlautsprechern gilt es genauso zu differenzieren wie bei Lautsprechern ganz allgemein.
Dieser zweiteilige Grundlagenbeitrag soll daher ein wenig Licht ins Dunkel bringen – wie Hörner funktionieren, was sie gut können und was nicht, und welche Bedeutung der Treiber am Horn auf das Gesamtergebnis hat. Für die Messungen und Experimente zum Thema wurden wir dankenswerterweise von den Herstellern Lamar Audio aus Bad Reichenhall und Avantgarde Acoustic aus Lautertal großzügig unterstützt. Bilder und interessante Geschichten zum Thema gab es zudem von der Firma FÖÖN aus Solingen.
Grundlagen
Um das System „Lautsprecher plus Horn“ zu erläutern, bedarf es vorab ein wenig trockener Physik und Mathematik, bevor wir dann in die Praxis eintauchen.
Aus akustischer Sicht handelt es sich bei einem Horn um eine Leitung mit stetiger Querschnittsänderung, mit der Zielsetzung, die schallverstärkende Wirkung des Horns zu nutzen. Das Grundprinzip eines Hornlautsprechers basiert auf der Erhöhung des Strahlungswiderstandes für die Lautsprechermembran. Eine einfache Kolbenmembran überträgt ihre Auslenkung als Schnelle auf die angrenzenden Luftmoleküle. Die abgestrahlte akustische Leistung ist dabei proportional zum Realteil des sogenannten Strahlungswiderstandes, vergleichbar der in einem elektrischen Widerstand umgesetzten Leistung.
Ist der Umfang der Kolbenmembran in Relation zur Wellenlänge klein, dann ist der relevante Realteil des Strahlungswiderstandes gering und somit auch die abgestrahlte akustische Leistung. Der Horntrichter bewirkt nun – vergleichbar einem elektrischen Übertrager – eine Impedanztransformation. Damit steigen der Realteil des Strahlungswiderstandes und somit auch die abgestrahlte akustische Leistung an. Als eine Grundform des Horntrichters gilt der Exponentialtrichter, dessen Querschnittserweiterung exponentiell wächst. Daneben gibt es noch viele andere Formen für Hörner wie Kugelwellenhörner, konische Hörner usw. Andere Bezeichnungen wie etwa „CD-Horn“ (CD = Constant Directivity) beziehen sich dagegen nicht auf die Formgebung eines Horns, sondern auf dessen Eigenschaften.
Die Mathematik im Hintergrund
Betrachtet man exemplarisch für alle Hornformen den Exponentialtrichter, dann gilt für die Hornfläche an der Stelle x:
Dabei ist S0 die Fläche am Trichterhals. Die Trichterkonstante , mit der sich das Horn öffnet, wird auch als Öffnungsmaß oder Wuchsmaß bezeichnet. Der für den Treiber wichtige resultierende Realteil des Strahlungswiderstandes am Trichterhals ZTH berechnet sich zu:
Der Strahlungswiderstand entspricht somit für Frequenzen deutlich oberhalb der Horngrenzfrequenz fg in etwa dem Wert einer Quelle in einem schallharten Rohr vom Querschnitt S0 – und ist damit wesentlich höher als für die Kolbenmembran im freien Schallfeld. Nähert man sich der unteren Grenzfrequenz fg, dann bricht der Strahlungswiderstand zusammen; unterhalb von fg ist keine Schallausbreitung mehr möglich. Die untere Grenzfrequenz fg berechnet sich zu:
Diese Betrachtungen gelten für den theoretisch unendlich langen Trichter, näherungsweise auch für endlich lange Trichter, wo dann jedoch auch unterhalb der Grenzfrequenz noch eine Schallausbreitung festzustellen ist. In der Praxis werden die Abmessungen der Trichter meist durch äußere Vorgaben – etwa eine maximale Länge – bestimmt, sodass der Trichter in seinem Verlauf frühzeitig abgeschnitten werden muss. Der Entwickler muss somit einen optimalen Kompromiss zwischen der Trichtergröße und den damit einhergehenden akustischen Eigenschaften finden. In der Regel ist eine tiefe untere Eckfrequenz gewünscht. Das dazu erforderliche kleine Öffnungsmaß bewirkt jedoch, dass am Trichtermund der Öffnungswinkel noch zu klein ist. Ein Teil der Schallenergie wird dann an der Übergangsstelle zwischen Trichtermund und freiem Schallfeld in den Trichter zurück reflektiert und führt zu Kammfiltereffekten. Ein typisches Beispiel zeigt die schwarze Kurve.
Um die äußere Baulänge eines Trichters zu verkürzen, kann das Horn auch gefaltet werden. Gefaltete Hörner werden gerne im Tieftonbereich eingesetzt, z. B. beim bekannten Klipschorn, wo sie wegen der großen erforderlichen Längen des Trichters meist die einzige überhaupt praktikable Lösung darstellen. Vereinzelt sind auch gefaltete Trichter bei kompakten Mitteltonhörnern für Sprachwiedergabe anzutreffen. Allgemein jedoch scheiden gefaltete Verläufe im Mittelhochtonbereich immer dann aus, wenn hohe Ansprüche an die Wiedergabe gestellt werden, denn es können interne Resonanzen und andere Artefakte in nicht mehr zu vernachlässigendem Maße auftreten. Insbesondere die Sprungstellen im Verlauf der Hornfunktion führen zu internen Reflexionen und damit einhergehenden Interferenzen.
Bei den Berechnungen des Exponentialtrichters wurde von einer ebenen Wellenfront im Trichter ausgegangen, was in der Realität jedoch nicht zutrifft. Richtiger wäre es, von einer Wellenform als Ausschnitt aus einer Kugeloberfläche auszugehen. Dem trägt das Kugelwellenhorn Rechnung, bei dem sich nicht die Querschnittsfläche des Trichters selbst exponentiell erweitert, sondern die Oberfläche einer angenommenen kalottenförmigen Welle innerhalb des Trichters.
Schon diese einfachen Beispiele lassen erkennen, dass die Hornberechnung sehr vielfältige Aspekte aufweist und es dementsprechend viele Varianten der Optimierung gibt. Dazu gehört auch, dass Hornlautsprecher nicht nur mit Rücksicht auf eine für den jeweiligen Einsatzbereich ausreichend tiefe untere Eckfrequenz und einen möglichst gleichmäßigen Frequenzgang optimiert werden müssen, sondern auch auf ein bestimmtes Abstrahlverhalten.
Je nach Anwendung kann es wünschenswert sein, einen über einen weiten Frequenzbereich möglichst konstanten Abstrahlwinkel (CD-Horn) oder auch eine zu hohen Frequenzen hin leicht zunehmende Bündelung zu erhalten. Auch wird nicht immer ein identischer Öffnungswinkel für die horizontale und die vertikale Ebene erwartet. Einen vertretbaren Kompromiss für diese Anforderungen zu finden erforderte in der Regel langwierige Entwicklungsphasen mit vielen Musteraufbauten und Messreihen. Wo es früher nur mit viel Erfahrung und empirischen Methoden möglich war, ans Ziel zu kommen, haben hier in jüngster Zeit numerische Simulationsverfahren wie die BEM-Methode zu einer deutlichen Beschleunigung und Verbesserung bei der Entwicklung von Hornlautsprechern geführt. Wo bisher über Wochen oder gar Monate hinweg Muster gebaut und gemessen wurden, entspringt heute oft schon nach einigen Tagen das finale Muster dem 3D-Drucker – mit exakt vorhergesagten Fähigkeiten und Ergebnissen.
Kompressionstreiber
Um den Strahlungswiderstand für eine Lautsprechermembran noch weiter zu erhöhen, als es mit einem Horn möglich ist, kann der antreibende Lautsprecher (der Treiber) in eine Druckkammer eingebaut werden. Die Membran arbeitet dann nicht mehr direkt auf das Horn, sondern zunächst auf das Volumen der Druckkammer, dessen Austrittsöffnung den Schall in das Horn abstrahlt. Wichtig ist dabei, dass die Austrittsöffnung der Kammer kleiner ist als die Membranfläche. Dann erhöht sich der für die Membran wirksame Strahlungswiderstand entsprechend dem Flächenverhältnis von Membranfläche zur Fläche der Austrittsöffnung.
Dieses Verfahren birgt jedoch, obwohl es so einfach klingt, eine Menge Problemstellen. Innerhalb der Kammer können sich bei höheren Frequenzen stehende Wellen und somit störende Resonanzen ausbilden. Eine stehende Welle bildet sich immer dann aus, wenn eine halbe Wellenlänge oder ein ganzzahliges Vielfaches davon zwischen zwei schallharte Wände passt. Abhängig von der Größe einer Kammer gibt es daher eine untere Grenzfrequenz, unterhalb der sich keine stehenden Wellen mehr ausbilden können. Die Kammern müssen folglich möglichst klein ausgelegt werden. Zusätzlich werden sie mit Phaseplugs bestückt. Die durch die Phaseplugs entstehenden Umwege von der Membran zur Austrittsöffnung sind so berechnet, dass am Ausgang der Kanäle eine möglichst ebene Wellenfront austritt, d. h. die Schallanteile von allen Punkten der Membran die gleiche Laufzeit bzw. Wegstrecke zurückgelegt haben.
Durch die hohe Kompression in den Treiberkammern entstehen jedoch extreme Schallschnellen, die breitbandige Strömungsgeräusche nach sich ziehen können. Hinzu kommt bei Schalldrücken innerhalb der Treiberkammer jenseits der 160 dB, dass die Nichtlinearität der Luft zwischen Druck und Schnelle nichtlineare Verzerrungen in erheblichem Ausmaß verursachen kann.
Effekte dieser Art sind bei der Konstruktion von Kompressionstreibern nicht gänzlich zu vermeiden. Diese Problematik setzt sich in den Hörnern fort, wo bei geringen Anfangsquerschnitten ebenfalls schon so hohe Schalldrücke auftreten, dass die Nichtlinearitäten der Luft bei hohen Pegeln zu einer Verzerrung der Wellenform führen. Verzerrungswerte von –20 dB (10 %) und mehr sind bei Treiber-Horn-Kombinationen daher nicht ungewöhnlich.
Daran lässt sich bereits erkennen, dass auch die Entwicklung von Kompressionstreibern voller Schwierigkeiten und Kompromisse steckt – woraus sich wiederum die immer wieder aufgeführten klanglichen Unterschiede dieser Lautsprechertypen erklären dürften.
Die wichtigsten Anforderungen an eine Treiber-Horn-Kombination sind folglich:
1. eine hohe Empfindlichkeit
2. ein gleichmäßiger Frequenzgang
3. geringe Verzerrungen
4. wenig Partialschwingungen und Resonanzen bei hohen Frequenzen
5. eine ausreichend tiefe untere Eckfrequenz
6. ein gleichmäßiges Abstrahlverhalten über einen weiten Frequenzbereich
7. eine kompakte Bauform
Während die Punkte 1 bis 4 allgemeine Grundsätze des Lautsprecherbaus darstellen, ist Punkt 5 in Abhängigkeit vom Einsatz des Hornlautsprechers in Kombination mit anderen Systemen zu bewerten. Punkt 6 hat eine besondere Bedeutung für Beschallungslautsprecher, wo die präzise abgegrenzte Abstrahlung für eine exakte Ausrichtung auf den zu beschallenden Bereich wichtig ist. Insbesondere bei der Bildung von Clustern ist ein gleichmäßiges und genau definiertes Abstrahlverhalten der einzelnen Lautsprecher erforderlich. Punkt 7 dürfte ebenfalls primär für Beschallungslautsprecher relevant sein, insbesondere für mobile Systeme. Eine kompakte Bauform ist im Hinblick auf alle anderen Anforderungen jedoch stets mit Kompromissen verbunden.
Ausblick
Im zweiten Teil dieses Beitrages werden wir diverse vergleichende Messungen an Hornlautsprechern vorstellen und im Detail auf die zu erkennenden Unterschiede eingehen. Besonders gespannt sein darf man auf die Verzerrungsmessungen: Sie berücksichtigen nicht nur die eher einfach zu ermittelnden harmonischen Verzerrungen, sondern auch die klanglich besonders relevanten Intermodulationsverzerrungen.
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