High End Gangnam Style – by Silbatone
Die derzeit vielleicht spannendsten Röhrenverstärker kommen aus Korea. Doch Silbatone aus Seoul hat auch Vintage-Fans Einzigartiges zu bieten
Silbatone ist kein gewöhnlicher HiFi-Hersteller. Allein schon die Messeauftritte des koreanischen Unternehmens sprengen jede Konvention: gigantische Hornlautsprecher aus Vorkriegszeiten (unverkäuflich), die zur Not auch mal entzwei gesägt werden, wenn zu kleine Türöffnungen es verlangen; mit raren, längst nicht mehr gefertigten Röhren bestückte Verstärker (verkäuflich, nur leider prohibitiv teuer), mit einem Silberanteil, der den Erwerb auch zum Zweck der Edelmetallspekulation ratsam scheinen lässt; die zwischen Wallfahrt, Party und Fassungslosigkeit pendelnde Stimmung im Vorführraum.
Derweil werkelt im Hintergrund ein erfahrenes Entwicklerteam, denn was da an (Klein-)Serienprodukten das Licht der Welt erblickt, hat tatsächlich nicht nur technisch Hand und Fuß, sondern überzeugt auch mit Optik und Haptik jeden Zweifler an der Ernsthaftigkeit der, ja, man kann schon sagen: Kultmarke.
Silbatone ist das Baby von Michael Chung, einem der weltweit bedeutendsten Sammler von Vintage-Audio-Geräten. Der Schwerpunkt seiner Kollektion liegt auf den Produkten des US-amerikanischen Beschallungspioniers Western Electric, der in den 20er und 30er Jahren die ersten Tonfilmkinos ausrüstete. Was Chung heute unter dem Label Silbatone realisiert, orientiert sich am Western-Electric-Sound, bietet aber dank der Arbeit von US-amerikanischen und koreanischen Entwicklern eigenständige Lösungen, die mit der Technologie der Vintage-Pretiosen kaum noch etwas zu tun haben – von der Verwendung alter Original-Röhren aus eigenem Sammlungsfundus mal abgesehen.
Licht, Platz, Regalmeter
Mein erster Besuch in Seoul datiert auf den Herbst 2011. Dass es mir nun, beim zweiten Mal, nicht langweilig wird, dafür hat Michael Chung jüngst mit zwei Umzügen gesorgt. Der erste betrifft den Firmensitz. Es gibt nun Tageslicht, sowie, viel wichtiger: mehr Platz. Der Hausherr ist schließlich Sammler. Jetzt stehen also noch mehr Regalmeter für audiohistorisch relevante Exponate zur Verfügung als bisher. Chung gibt den Museumsführer. Museum? Ja, das ließe sich mit den hier vorhandenen Einzelbauteilen und Komplettgeräten mühelos eröffnen. Dafür müsste aber erst einmal eine ganze Middle School an Praktikanten ihre Ferien mit Katalogisierung und Beschriftung verbringen. Denn erstens ist auch hier wieder nur ein kleiner Ausschnitt des zweifellos beeindruckend kompletten Sammelsuriums zu sehen. Zweitens verdient wirklich jeder der antiken Trafos, jedes verstaubte Verstärkerchassis, jedes noch so merkwürdig verbogene Horn eine für den Besucher sichtbare Identifizierung und Einordnung in den außerordentlich spannenden Kontext der Geschichte der elektroakustischen Musikwiedergabe.
Himmel unter der Erde
Der Gegensatz zur hautnah erlebbaren Historie findet sich nur einen Raum weiter und könnte kaum krasser sein. Silbatone ist eben doch ein Hightech-Unternehmen und enttäuscht all jene, die aus der starken Western-Electric-Affinität auf Vintage-Baumethoden und 80 Jahre alte Schaltungsrepliken schließen. Schaltungsdesign und -simulation erfolgen am Rechner. Viele Bauteile – Widerstände, Kondensatoren, Spulen – werden maßgefertigt zugeliefert oder selbst hergestellt. Von der vielerorts als besonders klangdienlich geltenden Direktverdrahtung nach alter Väter Sitte keine Spur, die Leiterbahnen verlaufen auf teuren Teflonplatinen. Die Aluminiumgehäuse schließlich sind aus dem Vollen gefräst, wirken allerdings dank geschickter Linienführung und unsichtbarer Schraubverbindungen bei aller Massivität richtiggehend elegant. Da sind Könner am Werk. Wer dann den Lautstärkesteller eines der Silbatone-Verstärker greift und dreht, erlebt sein satt klackendes High-End-Wunder: japanische Stufenschalter mit Einzelwiderständen, die Achse kugelgelagert. Himmel!
Eines dieser Geräte gab es später am Besuchstag zu hören. Michael Chung lud ein: In seine neuen Hörräume (Umzug Nummer zwei). Spektakulär ist gar kein Ausdruck für das, was im Teamwork von Tiefbauunternehmen, Innenarchitekt und Akustiker drei Stockwerke unterhalb des – unter anderem von Chung bewohnten – Appartment-Hochhauses geschaffen wurde: zwei Räume, einer groß, der andere riesig, geschmackvoll modern eingerichtet, bei aller Zweckdienlichkeit und Top-Akustik alles andere als HiFi-Höhlen.
Im rund 100 Quadratmeter großen und sieben Meter hohen Riesenraum versorgte ein Ji-300B Mk III – Silbatones Verstärker-Basismodell, ein maximal acht Watt starker Röhren-Vollverstärker mit 300B-Trioden von, natürlich, Western Electric – die vielleicht rarste Lautsprecherkombi der Welt: das Gespann aus den Western-Electric-Hörnern 12a und 13a.
Wie es klang? So souverän und homogen, dass der beliebte Ausdruck „wie aus einem Guss“ geradezu mit neuer Bedeutung erfüllt wurde. Aspekte wie Räumlichkeit und Ortung spielten angesichts eines Hörabstandes von mindestens zwölf Metern naturgemäß keine Rolle mehr, dafür konnte die schiere emotionale Ansprache der Anlage neue Bestmarken auf der persönlichen Hörerlebnis-Skala des Autors markieren.
Silbatone zu Hause? Aber sicher!
Was die Frage aufwirft: Welchen Anteil hatte denn nun welche Komponente? Haben sich die Hörner mit ihrer vielbeschworenen Magie durchgesetzt? Oder sind die 80 Jahre alten Trichter tatsächlich akustisch so durchlässig, dass die Qualitäten des kleinen Röhrenamps voll zur Geltung kamen? Silbatone-Geschäftsführer Manho Oh reagierte auf mein laut geäußertes Wunschdenken, wie interessant es doch wäre, den Verstärker einmal auch an vertrauten konventionellen Lautsprechern zu hören, mit einem knappen „Sure!“. Kurze Zeit später fand sich das Gerät in meinem Hörraum, angeschlossen an einem Paar Ayon Seagull/c, meinen röhrenfreundlich empfindlichen dynamischen Standlautsprechern von ausgesprochen reinem Klangcharakter. Es folgte: kein Test im üblichen Sinne, eher die öffentlich dokumentierte Fortführung einer persönlichen Hör-Fortbildung. Deswegen gibt es in der Folge weniger detaillierte technische Beschreibungen zu lesen als vielmehr einen Erfahrungsbericht.
Die Fakten zuerst: Der Ji-300B Mk III ist mit einem Preisschild von 15 000 Euro die Einstiegsofferte ins Silbatone-Programm. Sein sinnigerweise „Reference“ benannter großer Bruder kostet mehr als das Dreifache. Der „Kleine“ ist ein klassischer Hochpegelverstärker mit fünf Eingängen, fernbedienungslos, dabei nicht knallhart puristisch: Es gibt einen Mute- und einen Monitor-Schalter (ergo eine Tape-Schleife), und zum Lautsprecheranschluss stehen drei Übertragerabgriffe für 4, 8 und 16 Ohm bereit. Er ist groß (43 cm tief!), schwer (28 kg!) und stabil wie ein Panzer – kein Blech nirgends, nur massives Aluminium. An den Ayons führt er sich auf, als stünde da noch eine Null hinter der Acht bei der Leistungsangabe. Die Röhre hat Power. Und echten Tiefbass. Was sagte Chung? Dass in Korea sehr viele Besitzer exklusiver konventioneller Lautsprecher vom Schlage Wilson Audio oder Kharma jene mit eben diesem Einsteiger-Silbatone antreiben? Das scheint tatsächlich möglich.
Ich höre anfangs höchstens mit Zimmerlautstärke, Tag um Tag rückt dann der Pegelsteller höher, bis klar ist: Das ist keine Blümchenröhre. Die kann richtig rocken. Mit komplexem Material wie Peter Gabriels New Blood erlebe ich ein kleines Wunder: Bei identischer Lautstärke deklassiert der Silbatone meine transistorisierte Naim-Audio-Kombination ausgerechnet in der Disziplin Souveränität. Wer hätte das gedacht? Dann ist da dieser Ton. Die Erwartung wird nicht erfüllt – und das ist eine faustdicke Überraschung. Erwartet habe ich den Sound einer Eintakt- beschalteten Triode – den berühmten mittenzentrierten 300B-Zauber. Stattdessen herrscht Sauberkeit. Klangfarben kommen wie auf dem Tonträger gespeichert. Nur ein ganz feiner, warmer Goldglanz kristallisiert sich nach mehrwöchigem Hören heraus, nicht mehr als eine Spur, eben genug, um sozusagen subkutan das Gemüt zu stimulieren.
Das dritte Date
Dreidimensionalität ist dann wieder eine Schokoladenseite des Verstärkers, mit besonderem Augenmerk auf plastischer Wiedergabe von Stimmen und Einzelinstrumenten. Einzig in der Disziplin Auflösung können manche hochgezüchteten High-End-Amps mehr, etwa wenn man jede Niete auf dem Schlagzeugbecken einzeln hören oder am Applaus die Publikumszahl erkennen will. Will man das?Der Silbatone Ji-300B Mk III ist ein Ohrenöffner. Und Michael Chung hatte recht, als er vor zwei Jahren sagte, es bräuchte drei Besuche bei ihm, um zu verstehen, worum es ihm geht. Ich freue mich auf das dritte Mal.