HIGH END 2024, Teil 3: Elektronik
Viele Wege führen nach Rom. Nirgendwo bewahrheitet sich dieses alte Sprichwort mehr als bei den zahllosen technologischen Ansätzen, die man auf der diesjährigen HIGH END auf den Ständen der Elektronikhersteller zu sehen und hören bekam. Bei den Quellgeräten und mehr noch bei Verstärkern florieren dabei Konzepte munter nebeneinander her, die augenscheinlich völlig verschiedenen Zeitaltern angehören.
Sind Sie ein Genießer des althergebrachten Röhrenglimmens oder ein Hightech-Jünger, der die Effizienz und technische Finesse DSP-regulierter Class-D-Systeme zu schätzen weiß? Oder irgendwas dazwischen? Im Grunde ist es ganz gleich, wie Sie diese Frage für sich beantworten, auch und gerade die HIGH END 2024 bot so ziemlich alles, was man sich durch alle audiophilen Lager hinweg nur wünschen konnte. Beim Schlendern durch die Hallen und Atrien war die allgegenwärtige Präsenz von Röhrenverstärkern unübersehbar, gleichzeitig waren aber auch transistorbasierte Push-Pull-Systeme verbreitet wie eh und je, während (nicht nur) die Class-D-Fraktion mit einem völlig neuen Spielzeug aufwarten konnte – doch dazu später mehr.
Die gesunde Mitte
Ein kleiner Teil der HIGH END wurde bereits vor einem Jahr in den Drivers Club der dem MOC gegenüberliegenden Motorworld ausgelagert. Auch dieses Jahr gastierten hier AVM und die ebenfalls von Besser Distribution vertriebene italienische Schmiede Gold Note. Deren wichtigste Neuvorstellung, die neue 10er-Serie, zitiere ich an dieser Stelle für einen erfreulichen Trend: Auch wenn die Preisspirale am oberen Ende munter weiterrotiert, wenden sich immer mehr Hersteller der gesunden HiFi-Mitte zu. Als Einstieg in die Welt der italienischen Schmiede ist der Streaming-Vollverstärker IS-10 zwar nicht billig – knapp 2500 Euro dürfte er kosten – aber für eine Komponente, die im Prinzip nur ein Paar Lautsprecher benötigt, um als HiFi-System zu funktionieren, scheint das absolut fair. Für all jene, die in Streaming plus Verstärkung noch keine vollständige Kette sehen, startet die 10er-Serie auch gleich mit einem CD-Player sowie einem Kopfhörerverstärker durch.
Auch Auralic warb mit kompromissloser Klangqualität zum noch überschaubaren Kurs: Den Streaming-DAC Vega S1 kann man sich für ca. 2000 Euro zulegen. Dafür bekommt man immerhin ein Gerät, das auf der Streamingplattform Tesla G3 der größeren Markengeschwister beruht und auch sonst einigen Aufwand treibt, um sich bei der Klangqualität keine Blöße zu geben – etwa mit galvanischer Isolierung zur Rauschunterdrückung und einer aufwendigen Lautstärkeregelung. Nach gewohnter Auralic-Manier können Interessenten, die es mit dem Streaming ernster meinen, für dasselbe Geld auch die Aries-Variante erhalten, die sich nur auf den Musiktransfer aus dem Netz konzentriert und auf eine Wandlerstufe verzichtet. Beide Neulinge kommen übrigens im 22-Zentimeter-Halbformat daher und sparen entweder Platz oder belegen zusammen mit dem optionalen externen PurerPower-Netzteil gleichen Maßes exakt eine Rack-Ebene. Für das Netzteil-Upgrade ruft der Hersteller nochmal etwa 1000 Euro auf.
Dem vielerorts anhaltenden Hang zur Auslagerung in Einzelkomponenten steht als Gegengewicht nicht erst seit diesem Jahr eine immer größere Zahl integrierter Lösungen gegenüber. Arcam beispielsweise hat die beiden Streaming-Vollverstärker SA35 und SA45 vorgestellt; sie bauen die letztes Jahr präsentierte Radia-Serie nach oben aus. Für ca. 3500 bzw. 5000 Euro bieten beide die aus dem bisherigen Topmodell A25 bekannte Class-G-Verstärkertopologie, die hier mit 120 (SA35) und 180 (SA45) Watt an 8 Ohm allerdings noch mehr Leistung bietet. Bei der Streamingfunktionalität setzen die beiden mit voller Ausstattung bis hin zu Dirac-Unterstützung einen ebenso hohen Anspruch um. Wer sein Quellgerät dennoch lieber als separate Komponente haben möchte, wird bei den Briten mit dem dort vorgestellten ST25 einen passenden Spielpartner für den Vollverstärker A25 finden.
Generell kamen diesmal in München Freunde der Integration und Verfechter von Einzelkomponenten gleichermaßen auf ihre Kosten: Während AVM in der Motorworld die neuesten Versionen ihrer All-in-one-Systeme präsentierte, stellte Rega eine neue Vor-/Endverstärkerkombi vor, und auch im Audiolab-Raum konnten die Besucher einer Kette lauschen, bei der ein Paar Leak Sandwich 250 von dem Vorverstärkermodell 9000Q und zwei 9000A-Endstufen angetrieben wurde. Wie vieles auf der Messe war auch diese Kombi zwar schon spielbereit, bis zur Markteinführung werden wir uns aber noch ein wenig gedulden müssen.
Vielfalt für Einsteiger
Auch in dreistelligen Preisregionen tat sich eine Menge: Musical Fidelity etwa stellte mit dem Vollverstärker B1X und dem CD-Player B1XCD eine neue Serie unterhalb des bisherigen Einstiegs vor. Noch ist das Duo Zukunftsmusik, doch als Endkundenpreis peilen die Briten irgendetwas um die 700 Euro pro Komponente an. Imaginiert man sich als audiophiler Windowshopper einen günstigen Plattenspieler (MM-Eingang am Verstärker ist vorhanden) und ein Paar vernünftiger Lautsprecher hinzu, kann man sich gut ein vollständiges System zusammenspinnen, das Streaming, CDs und Vinyl abdeckt und dabei in einen 2500-Euro-Rahmen passen kann.
Auffällig ist bei alledem, dass viele Hersteller der guten alten Silberscheibe ungebrochen die Treue halten und munter neue CD-Player und -Laufwerke auf den Markt werfen. Mission etwa stellt seinem Vollverstärker 778S neben einem Streamer eben auch ein neues CD-Laufwerk zur Seite, das gleichzeitig eine weitere Tendenz aufzeigt: Während integrierte D/A-Wandler nicht nur in Streamern, sondern inzwischen auch in so gut wie jedem Vollverstärker Standard sind, verzichtet man bei der CD zunehmend auf den internen Chip und bringt stattdessen reine Laufwerke. Das macht natürlich Sinn: In einer Welt, in der HiFi-Systeme ohnehin mindestens einen, häufig sogar mehrere DACs mitbringen, würde ein vollwertiger Player fast zwangsläufig nur für Redundanz sorgen. So oder so ist die Lage sehr erfreulich: Ganz gleich, ob man zeitgemäß streamt, die Silberscheibe bevorzugt oder der Magie des Vinyls erlegen ist – bei der Quellenwahl fällt im Jahre 2024 wirklich niemand hinten runter.
Ebenso erfreulich ist gerade bei Mission auch die Preisgestaltung. Die Preise stehen noch nicht fest, aber das Laufwerk Mission 778CDT soll sich im Bereich um 500 Euro einpendeln, der passende Streamer (mit DAC) wird sich wohl in Richtung 1000 Euro bewegen.
Gerade im bezahlbaren Preissegment betreten nicht nur neue Modelle, sondern auch (relativ) junge Marken zunehmend das Rampenlicht bzw. erkämpfen sich die Salonfähigkeit. Eversolo etwa ist nach Marken wie FiiO, iFi, Oppo oder Topping der nächste Emporkömmling, der sich in der jungen HiFi-Szene zunehmend Respekt verschafft. Auf der HIGH END bespielte der Streaming-DAC DMP-A6 mit regelbarem Ausgang im Verbund mit der Class-D-Endstufe AMP-FT2 abwechselnd ein Paar Epos ES14N und ein Paar Epos ES7N – übrigens lebensnah im Kallax-Regal angerichtet.
Trotz der bewusst akustisch bewusst feindseligen Umgebungsvariablen bot sich eine echte HiFi-Vorstellung. Und das Beste daran: Der Netzwerkplayer, der auch als Vorstufe fungiert (noch so eine Zusatzfunktion, die mittlerweile zunehmend Standard wird) und die Endstufe kosten zusammen nicht viel mehr als 1500 Euro.
Neue Technologien
Seien wir ehrlich: HiFi scheint im Wesentlichen ausentwickelt. Wirklich bahnbrechende Neuerungen erwartet man heute nicht mehr ernsthaft. Anfang der 2000er haben das Aufkommen von Streaming, DSP und die ersten richtig gut klingenden Class-D-Endstufen kräftig Bewegung in die Branche gebracht – zumindest in Teile davon –, doch diese Entwicklungen sind auch schon wieder eine ganze Weile her und schlagen heute keine allzu großen Wellen mehr. Sie haben sich ihren festen Platz in der Branche gesichert, der technologische Fluss scheint sich beruhigt zu haben. Eine kleine technische Revolution macht seit kurzer Zeit jedoch die Runde und ist auf der diesjährigen HIGH END erstmals nennenswert vertreten: Galliumnitrid-basierte Feldeffekttransistoren, kurz GaNFETs, finden sich mittlerweile in einer nicht zu knappen Anzahl der ausgestellten Komponenten – eine neue Art von Gain Device betritt nicht alle Tage das Rampenlicht!
Mytec nutzt das neue Bauteil in seiner neuen Class-D-Endstufe Empire Stereo Monoblock – der ambivalente Name deutet darauf hin, dass sich der Verstärker in beiden Betriebsmodi gleichermaßen wohlfühlt. Wie mir die Entwickler am Stand erklären, ist der neue Transistortyp etwa 30-mal schneller als ein MOSFET. Was das bringt? Das Bauteil ermöglicht die Wiedergabe einer Rechteckswelle mit nahezu ideal senkrechter Flanke, ohne Vor- und Nachklingelartefakte zu provozieren. Im Zusammenspiel mit einer röhrenähnlich linearen Kennlinie begünstigen sie Verstärker, die im Hochton extrem geschmeidig agieren – wenn der Entwickler weiß, wie er mit den blitzschnellen Teilen umgehen muss. Aus meinem Höreindruck lässt sich schließen, dass die Mytek-Leute das Ding bestens im Griff haben.
Das neue Bauteil macht sich nicht nur in der Verstärkung nützlich: Im Innuos-Raum durfte ich mich einem A/B/C-Vergleich zwischen dem Zenith, dem neu vorgestellten Zenith NG (für Next Generation) und dem Flaggschiffmodell Statement unterziehen. Gerade bei Digitalgeräten fasziniert es mich immer wieder, wie klar sich klangliche Unterschiede zwischen verschiedenen Geräten zeigen: Während der NG seinen Vorgänger mit einer deutlich größeren und besser definierten Bühne hinter sich ließ, legte der Statement zusätzlich mit wesentlich mehr Druck und Autorität nochmal ein sprichwörtliches Pfund obendrauf.
Wie mir Chefentwickler Nuno Vitorino erklärte, sind die klanglichen Fortschritte vor allem durch zwei Faktoren bedingt: Zum einen ist das Mainboard des Streamers nun noch stärker individualisiert als bisher. Bereits beim Zenith hat der Zulieferer diverse für den Anwendungsfall irrelevante Baugruppen deaktiviert, was an sich schon zu einer Klangverbesserung durch verringerte Störeinflüsse führte. Beim Neuen konnte Innuos die Zusammenarbeit noch weiter vertiefen und lässt die Hauptplatine nun an zahlreichen Stellen mit eigens spezifizierten, klanglich überlegenen Bauteilen bestücken.
Der zweite Faktor ist – Sie ahnen es – der Einsatz der bereits besungenen Galliumnitrid-Transistoren im Netzteil. Deren rasend schnelle Schaltarbeit erlaubt ein flinkeres und damit glatteres Befüllen der Kondensatoren, was letztlich zu besserer Spannungsstabilität führt und auch in dieser Anwendung Verzerrungen insbesondere im Hochton minimiert – mehr Klarheit und schärfere Bühnenabbildung ohne Ohrenbluten ist das Ergebnis, das ich nach oben genannter Hörprobe durchaus bestätigen konnte.
Die HIGH END heißt nicht ohne Grund HIGH END
Dass wir uns bislang weitgehend in halbwegs bis sehr vernünftigen Preissegmenten bewegt haben, liegt daran, dass in diesen Segmenten tatsächlich ein Gutteil der spannenden Neuigkeiten zu verbuchen ist – aus meiner Sicht ein richtig gutes Zeichen. Dominiert wird die Messe allerdings nach wie vor von spektakulären Boliden, in deren Kreisen Komponenten mit fünfstelligen Preisschildern als Mittelklasse kategorisiert werden. Hier drehen sich die Uhren natürlich etwas langsamer, wirkliche Neuheiten liegen zeitlich meist deutlich weiter auseinander – lange Produktlaufzeiten haben schließlich auch etwas für sich.
Dennoch war dieses Jahr auch in diesen Sphären Bewegung drin. Nach 13 Jahren schickt etwa der japanische Hersteller TAD seine Referenz-Vorstufe C600 in den Ruhestand. Der Nachfolger C700 trägt einen markanten Knick in der Gehäusefront und nimmt bezüglich des konstruktiven Aufwandes keine Gefangenen: Jeder der Line-Ausgänge wird von einer eigenen Verstärkerschaltung beschickt, das in ein eigenes Gehäuse ausgelagerte Netzteil basiert auf einem Ringkerntrafo mit 400 VA (wir reden hier von einem Vorverstärker!). Klanglich gab sich der Bolide im Showroom nach gewohnter und geschätzter TAD-Manier im besten Sinne tendenzlos und zugleich enorm musikalisch.
Bei den Endstufen schien dieses Jahr die Zahl 800 angesagt: In zahlreichen Räumen, unter anderem bei Avalos, diente die Stereo-Endstufe Telos 800 aus der Schweizer Edelschmiede Telos als Antrieb für die jeweiligen Lautsprecherboliden – gerne als gebrücktes Mono-Duo.
Leistungsmäßig noch einen obendrauf legte Linn mit seiner neuen Mono-Endstufe Klimax Solo 800: 800 Watt an vier und 1200 Watt an zwei Ohm sollten für nahezu jeden Lautsprecher mehr als ausreichend sein. In seiner Vorführung wollten es die Schotten aber wissen und haben der Linn 360 pro Kanal gleich drei der Wuchtbrummen zur Seite gestellt. Klanglich begeisterte das Gespann mit knochentrocken-explosiver Dynamik und unbedingter Neutralität.
„Diversity in Audio“ lautete der Wahlspruch der HIGH END. Darüber, ob das Wording glücklich ist, kann man sich freilich trefflich streiten, aber ich gebe zu: Ich war selbst etwas überrascht, wie gut es den Charakter der Messe trifft, wenn man das Buzzword auf die Technik bezieht. Von einem Mangel an Vielfalt konnte auf der Münchner Messe keine Rede sein.