Analoges HiFi: Einfach unkaputtbar
Die HIGH END 2023 brach alle Rekorde – bei den Besucherzahlen genauso wie bei den Ausstellern. Unsere Autoren waren an allen Messetagen in den Hallen des Münchener M.O.C unterwegs und haben ihre Eindrücke für Sie festgehalten. Teil Eins: rund ums Analoge.
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Wie steht es um die analoge Musikwiedergabe? Nimmt man die HIGH END 2023 als Maßstab, lässt sich nur feststellen: besser denn je. 41 Jahre nach Einführung der CD und 15 Jahre nach dem Start von Spotify sah man Plattenspieler, so weit das Auge reichte. Und zwar als Referenz-Signalquellen, um die nicht selten sechsstellig ausgepreisten Verstärker- und Lautsprecherpretiosen der aus aller Welt angereisten Aussteller an ihre Leistungsgrenzen zu treiben. Gefühlt rotierte in jedem zweiten Raum Vinyl, und, so viel lässt sich sagen: Es war gut so. Vinyl ist wiedergekommen, um zu bleiben.
Die Trends der HIGH END 2023
Nach Durchsicht von vier Messehallen und zwei Atrien inklusive angrenzender Gänge zeigen sich Trends. Den Titel „Arbeitsgerät des Jahres“ etwa darf das Laufwerk Stabi R der slowenischen Manufaktur Kuzma für sich beanspruchen. Sein Schlüssel zum Erfolg: Der monolithische Dreher kommt nicht nur kompakt und robust daher, er erlaubt auch problemlos die Montage unterschiedlichster Tonarme.
Trend Nummer 2: Kurven.
Eine RIAA für alle – die Zeiten sind vorbei, wer heute eine ernst zu nehmende Phonostufe baut, bietet die Wahl zwischen mehreren Entzerrungskurven. Das Thema ist komplex, historisch spannend und durchaus nicht unumstritten. Mit neuen Entzerrern wie dem aufwendigen Ausstattungswunder GM-Phono V.3 vom italienischen Hersteller Faber’s Power oder dem trotz Touchscreen-Bedienkomfort sehr erschwinglichen Gold Note PH-5 können sich jedenfalls auch Laien selbst ein Bild machen, ob ihre alten Scheiben mit Entzerrung nach Decca oder Columbia besser klingen.
Trend Nummer 3: Die Digitalisierung des Plattenspielers.
Keine wirkliche Neuheit in diesem Jahr mehr, die Nachricht ist eher, dass man sich an die Bluetooth-Antenne oder die RJ45-Buchse an einem Plattenspieler gewöhnt hat. Jeder Hersteller, dessen Produktpalette im unteren bis mittleren dreistelligen Preisbereich beginnt, hat mindestens ein solches Gerät im Angebot. Im Interesse der Barrierefreiheit und Konnektivität auf jeden Fall eine gute Entscheidung.
Trend Nummer 4: Luftgelagerte Tonarme.
Einst eine exotische Technik, rar und teuer, fielen mir dieses Mal neben dem etablierten dänischen Analogspezialisten Bergmann gleich zwei weitere Anbieter auf, die diese Technologie einem größeren Publikum zugänglich machen: Pre-Audio aus Polen und Holbo aus Slowenien. Beide Hersteller haben auch ein Luftlager für den Plattenteller im Programm, bei Pre-Audio ist es aber nur im Topmodell GL-1102AN zu finden. Holbo hat nur einen einzigen Plattenspieler im Programm, der ist dafür vollständig luftgelagert und wurde in diesem Jahr in einer optisch leicht aktualisierten Version vorgestellt.
Auch mit Luft, ansonsten aber in jeder Hinsicht eine Liga für sich: der neue luftgelagerte Drehtonarm (!) Air Force 10 von TechDAS. Der japanische Hersteller präsentierte das enorm aufwendige Konstrukt, in dem ein Luftlager für die horizontale Bewegung mit einem Keramik-Kugellager für die Vertikale kombiniert wird, in München erstmals der Öffentlichkeit. Verkaufsstart soll Ende 2023 sein.
Viele Premieren
Überhaupt hatten zahlreiche neue Tonarme auf der HIGH END 2023 ihre Premiere. Bei Brinkmann war die neue lange Version des „kleinen“ 10.0-Tonarms zu sehen, die der Namenskonvention des Herstellers folgend schlicht 12.0 heißt. Jürgen Reichmann zeigte stolz Muster des ersten Tonarms für ein nagelneues Laufwerk des bisher auf Elektronik spezialisierten britischen Herstellers Musical Fidelity. Der Vertriebschef selbst brachte seine Analog-Expertise in die Konstruktion ein und schwärmte von den klanglichen Eigenschaften des aus Stahl gefertigten Armrohres.
Bei Zavfino aus den USA holte man sich Unterstützung aus Deutschland: Helmut Thiele, der jüngst mit einem tangential abtastenden Drehtonarm für Furore sorgte, hat exklusiv für die Amerikaner einen optisch schlichten, klassischen kardanischen Tonarm konstruiert. Ein Newcomer ist dagegen Supatrac aus dem Vereinigten Königreich. Der Tonarm Blackbird ist (bisher) das einzige Produkt der in London ansässigen Manufaktur. Er zeichnet sich durch eine clevere Lagerkonstruktion aus, die explizit die Zugkraft, die auf den Tonabnehmer wirkt, zur Stabilisierung nutzt und dadurch hervorragende Abtastfähigkeit erreichen will.
Luxman und Ortofon
Und dann hatten auch noch zwei ganz große Namen neue Tonarme parat: Luxman und Ortofon. Der dänische Tonabnehmerspezialist stellte die Nachfolger des bewährten Duos TA-110 und TA-210 namens AS-212R (9 Zoll) und AS-309R (12 Zoll) vor. Die Neuen werden vollständig im eigenen Haus gebaut und bekommen als Zeichen allerhöchsten klanglichen Anspruchs den Zusatz „Reference“ verliehen. Dementsprechend wurden sie auch präsentiert: montiert auf einem noblen TechDAS-Laufwerk, mit dem hauseigenen Spitzen-MC Diamond in der abnehmbaren Headshell. Luxman hat sich mit dem japanischen Spezialisten SAEC zusammengetan, das Ergebnis der Kooperation ist eine maßgeschneiderte Tonarm-Ergänzung des ebenfalls neuen Laufwerks PD-191A namens LTA-710 – ein eleganter Zehnzöller mit Stahl-Schneidenlager.
Wer das Maximum aus seinen Platten herausholen will und sich das Vergnügen leisten kann, für den hielt die HIGH END 2023 einige Leckereien parat. Allen voran das Nonplusultra-Laufwerk GMT One System von Wilson Benesch. An dessen erste Vorstellung vor vier Jahren kann ich mich noch gut erinnern. Nun sind der Dreher mit dem hochkomplexen „Omega Drive“-Antrieb, für dessen Entwicklung sogar staatliche Fördergelder flossen und Universitätsprofessoren eingespannt wurden, und der passende Tonarm endlich fertig.
Clockeingang am Dreher?
Mega-Laufwerk, die Zweite: Das Esoteric Grandioso T1 ist meines Wissens das erste Laufwerk mit Clock-Eingang. Auch hier wird sich nicht mit gängigen Antriebssystemen begnügt. Die Eigenentwicklung heißt „MagneDrive System“ und kann am ehesten als Reibradantrieb ohne Reibrad beschrieben werden. Der 19 Kilogramm schwere Teller wird von einer induktiv und damit berührungslos angekoppelten Antriebsspindel in Rotation versetzt.
Mega-Laufwerk, die Dritte: Thorens hat wieder einen Reference. Dass neben dem Neuen ein klassischer Reference von 1979 fast zierlich wirkt, liegt am Entwicklungspartner Seismion, einem auf Entkopplung hochempfindlicher Laborgeräte spezialisierten deutschen Unternehmen. Für das Topmodell von Thorens hat man dort eine vollintegrierte Entkopplungslösung konstruiert, deren Effizienz auf der Messe per App-Display optisch demonstriert wurde. Ein schöner Bezug auf die Vergangenheit, denn schon der Ur-Reference war als Mess-Laufwerk konzipiert und hing mit Bleischrot beschwert an vier großen Kegelfedern.
Mega-Laufwerk, die Vierte
Oswalds Mill Audio führte den im vergangenen Jahr schon angeteaserten kleinen Bruder K5 des genialen großen K3 vor. Im nur wenig schlichteren Aluminiumgehäuse aus der Werkstatt des Neuseeländers Richard Krebs werkelt hier eine verkleinerte Version des Direktantriebs aus dem großen Bruder. Der Entwickler versicherte glaubhaft, dass die Gleichlaufwerte an die Grenzen des Messbaren stoßen. Der passende Tonarm ist eine exklusiv von Frank Schröder maßgefertigte Konstruktion. Der für seine originellen technischen Lösungen bekannte Berliner hatte schon den ikonischen Tragwerk-Arm für den K3 entworfen.
An weiteren analogen High-End-Preziosen mangelte es nicht. Mat Weisfeld, der Sohn von Firmengründer Harry Weisfeld, präsentierte persönlich das neue große Direktantriebs-Laufwerk mit dem einzig angemessen Namen Titan. Nagra hatte den nagelneuen Phonovorverstärker HD Phono dabei – selbstverständlich mit der Möglichkeit, zwischen mehreren Entzerrungskurven zu wählen. Dartzeel-Chef Hervé Delétraz beschrieb begeistert die Erfüllung eines langgehegten Traums: die Entwicklung eines eigenen Tonabnehmers.
Einfach lässig
Die Auszeichnung für die lässigste Präsentation verdient Analog-Urgestein Arthur Khoubesserian. Der Brite (Pink Triangle, Funk Firm) führte über Vintage-Lautsprecher von Philips vor, Aktivboxen mit Motion-Feedback, ein Ebay-Fund, „900 Euro mitsamt Subwoofer“, berichtete er stolz. Thema seiner Vorführungen: die Isolation des Abspielvorgangs von unerwünschten externen Einflüssen. Der Name der Projekts, zu dem eine Tellermatte, Entkopplungsfüße und ein Entkopplungsplättchen für die Headshell gehören: Isolation Bubble. Das Headshellplättchen heißt übrigens Houdini.
Bei Rega standen die Extreme im Fokus. Für Analog-Einsteiger hat der britische Vollsortimenter eine kleine Analog-Anlage namens Rega System One zusammengestellt, bestehend aus dem Plattenspieler Planar 1 mit Tonabnehmer Carbon, dem Vollverstärker io und den Kompaktlautsprechern Kyte. Zum Paketpreis von 1299 Euro sind sogar drei Stereometer Lautsprecherkabel dabei. Am anderen Ende des Spektrums findet sich das neue Plattenspieler-Topmodell Naia. Das gefühlt nur aus der absolut nötigen Menge Carbon, Keramik und Aluminium bestehende Laufwerk ist eine direkte Abwandlung des nicht für die Serienfertigung konzipierten Extrem-Drehers Naiad, der vor einigen Jahren Regas Leichtgewicht-Philosophie bis an die äußersten Grenzen trieb.
Der “vinyle Mainstream”
Aus dem Hause Pro-Ject gibt es so viel Neues, dass hier nur die herausragenden Projekte abseits des vinylen Mainstreams angerissen werden sollen: ein Laufwerk voller witziger Einfälle zum 50er-Jubiläum des Pink-Floyd-Albums Dark Side Of The Moon, hinterleuchteter Regenbogen und als Einschalter dienender Lichtstrahl inklusive; eine Hommage an die japanische Kultmarke Micro Seiki namens RPM 12, ein sehr originalgetreuer Direkttriebler mit drei Tonarmbasen; ein für ProJect-Verhältnisse ungewohnt luxuriöses, „Signature 12.2“ benanntes Groß-Laufwerk mit einem ebenfalls neuen, aufwendigen Tonarm. Dieser Dreher hätte genauso gut ins Portfolio der Nobel-Schwestermarke EAT gepasst – wobei man dort auch schon wieder weiter ist und etwa mit einer eindrucksvollen Bandbreite an einzeln erhältlichen Tonarmen in ein neues Marktsegment einsteigt.
Handarbeit auf der HIGH END 2023
Es gab auch spannende Analogneuheiten, die unter dem Radar flogen. Bei den Vintage-begeisterten Koreanern von Silbatone sprach wie gewohnt niemand über die Elektronik, die die gewaltigen, fast 100 Jahre alten Kinohörner so umwerfend zum Klingen brachte. Tatsächlich hatte man aber eine neue Version des Phonoentzerrers SQ-100R im Einsatz (nur RIAA!), der nunmehr mit Silberübertragern von Silvercore aus Leipzig bestückt wird.
Im selben Raum stellte der in Zwickau lebende südkoreanische Opernsänger Dong-Bum Kim („Analogtechnik“) seine handwerklich herausragend fein gearbeiteten Tonabnehmer im Stil der legendären DST-Abtaster von Neumann aus. In mehreren ausgezeichnet beschallten Räumen, etwa bei Living Voice, Oswalds Mill Audio oder Silbatone, fanden sich die inzwischen auch international beachteten MC-Übertrager von Consolidated Audio aus Berlin. Wer den Vorführraum von High-End-Urgestein Heiner Basil Martion fand, konnte dort sogar den Prototypen eines überaus aufwendigen, mit feinsten Röhren und handgewickelten Übertragern aufgebauten Consolidated-Audio-Phonoentzerrers erleben.
Der smarte Bellini
Stichwort Deutschland: Clearaudio nahm in diesem Jahr wieder eine Auszeit und präsentierte sich bei einer Hausmesse. Transrotor hatte das Laufwerk Bellini am Start, ein in der Mittelklasse angesiedelter Dreher mit TMD-Lager, den es – ja, das ist tatsächlich eine Neuheit, und zwar eine enorm praktische – nun auch mit Acrylhaube gibt. Mit Scharnieren! Und Münchens einziger High-End-Laufwerks- und Tonarm-Hersteller Willibald Bauer? Der Macher des dps-Drehers empfing Besucher abseits des Trubels in der Ruhe seines Geschäfts im Südwesten der Stadt.
Und dann waren da noch die analogen Accessoires. Einen Vinylglätter aus Taiwan vom Hersteller Tien Audio gab es zu entdecken, der neben der obligatorischen Heizung auf Vakuum anstelle eines Auflegegewichts setzt – so soll die Platte schonender geplättet werden. Und die Laufwerksmanufaktur AMG hatte neue Phonokabel dabei. Wie gründlich man sich dort auch dieses Themas annimmt, zeigt die Bemerkung zum Schluss meines Besuchs am AMG-Stand: Mit den am Markt erhältlichen Tonarmsteckern sei man einfach nicht zufrieden. Man werde demnächst einen eigenen konstruieren.
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