Die heimlichen Meisterwerke des Jazz – For Musicians Only
Stan Getz, Dizzy Gillespie und Sonny Stitt, 1956
Der Jazz ist unübersichtliches Gelände – leicht kann man da Bedeutendes übersehen. Hans-Jürgen Schaal präsentiert unbesungene Höhepunkte der Jazzgeschichte.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs griff der Bebop um sich, der erste moderne Jazzstil. Seine Kennzeichen waren hohe Tempi, sprunghafte Melodien, komplexe Akkordfolgen, enorme Virtuosität. Nicht alle Jazzfans fanden diese Entwicklung toll, einige namhafte Swingmusiker sprachen dem Bebop jedwede Musikalität ab. Er klinge „wie eine Eisenwarenhandlung bei einem Erdbeben“, hieß es einmal. Oder: „Bebop hat die Musik um 20 Jahre zurückgeworfen“ (Tommy Dorsey). Eine der freundlicheren Kritiken lautete, Bebop sei „for musicians only“. Denn die jungen Jazzmusiker liefen dem Bebop in Scharen zu.
Im Oktober 1956, als dieses Album entstand, waren einige der besten Bebop-Solisten bereits tot: Charlie Parker, Charlie Christian, Fats Navarro, Clifford Brown. Die Provokation war längst Schnee von gestern, aber die Message allgegenwärtig. Cool Jazz, Westcoast Jazz, Hardbop bauten auf dem Bebop auf. Die ehemaligen Bebop-Pioniere waren Stützen der swingenden Mainstream-Mode. Hier setzt dieses Album an: Der Trompeter Dizzy Gillespie, einst Wortführer und Symbolfigur der Bebop-Bewegung, setzt der modernen Revolution ein Denkmal. Das Album könnte „Bebop Lives“ heißen, „Bebop Forever“ oder „Bebop All Over“. Gillespie nannte es mit überlegener Ironie For Musicians Only. Schon die Liner Notes verraten, dass der Titel 1956 gar nicht mehr verstanden wurde. Bebop steckte ja in allem. Bebop hatte längst gesiegt.
Namensgeber eines ganzen Genres
Als der Bebop jung und revolutionär gewesen war, gab es noch keine Longplayers. Man kennt von Charlie Parker und Fats Navarro fast nur Drei-Minuten-Aufnahmen. Dieses Album zeigt Bebop dagegen in reifer, blühender Dimension, seine vier Stücke sind durchschnittlich über zehn Minuten lang. Hier wird geboppt und geboppt und geboppt. Gillespies Stück „Bebop“, das (halb unfreiwillig) dem Stil den Namen gab, macht den Anfang. Später folgt „Wee“, eines der legendären, heiligen Ur-Themen des Bebop. „Dark Eyes“ (das russische Volkslied) ist das „langsamste“ der vier Stücke, aber mit etwa 240 bpm immer noch ein hochrasanter Swinger. Dizzy Gillespie, der Mit-Erfinder des Stils, Sonny Stitt, der beste Charlie Parker neben Charlie Parker, und Stan Getz, der virtuoseste aller Cool-Musiker – drei Meister boppen hier um die Wette, als hinge ihr Leben davon ab. Ein klingender Nachruf auf „Bird“ und „Brownie“? Mehr: die Apotheose des Bebop.
Stan Getz, Dizzy Gillespie und Sonny Stitt
For Musicians Only
Verve (Universal Music)