Hat Surround-Sound eine Zukunft im Jazz?
Surround-Sound und Immersive Audio werden in der Popmusik immer häufiger eingesetzt. Aber sind diese Technologien auch für Jazz-Aufnahmen sinnvoll?
Eine Kooperation zwischen FIDELITY und dem Copper Magazine
Der Originalartikel erschien im Copper Magazine, Ausgabe 188.
Seit den späten 1950er Jahren hat der Stereoton dem Jazz gute Dienste geleistet; man kann kaum behaupten, dass Kind of Blue oder A Love Supreme besser gewesen wären, wenn sie mehr als zwei Tonkanäle gehabt hätten. Aber jetzt, wo alle viel Wirbel um “immersiven” Sound machen – Sound, der von überall um den Zuhörer herum kommt, sogar von oben -, erfreut sich die Idee, Surround-Sound in irgendeiner Form mit einzuflechten, in der Audioproduktionsbranche großer Beliebtheit. Viele neue Pop-, Hip-Hop- und Rock-Veröffentlichungen werden jetzt in Dolby Atmos Immersive Audio veröffentlicht und können über Apple Music, Amazon Music und Tidal gestreamt werden.
Im Jazz wurden diese neuen Technologien bereits ein wenig erprobt, vor allem in einigen immersiven Mixes, die von Blue Note Records erstellt und zum Streaming veröffentlicht wurden. Diese Bemühungen haben jedoch viel weniger Aufmerksamkeit erregt als beispielsweise die Tone Poet-Reihe von Blue Note mit Wiederveröffentlichungen auf Vinyl.
An der jüngsten Veröffentlichung von Nora, einem Album des Schweizer Trompeters Franco Ambrosetti, das im SACD-Format mit 5.1-Kanal-Surround-Sound erhältlich ist, zeigt sich sowohl das Potenzial als auch die Herausforderungen einer Jazzproduktion in immersivem oder Surround-Sound. Klanglich ist es ein Meisterwerk – aber es ist viel umfangreicher als eine normale Jazz-Combo-Aufnahme, und nur wenige Hörer werden es tatsächlich in Surround-Sound zu hören bekommen.
Jeff Levenson, der Produzent von Nora, sagte: “Ich glaube, dass Surround-Sound definitiv die Klangqualität verbessert, aber ich bin nicht überzeugt, dass traditionelle Jazz-Combo-Aufnahmen davon profitieren, vor allem wenn man die zusätzlichen Kosten bedenkt.”
Unverblümt und ohne Umschweife
Klären wir zunächst mal die Terminologie. “Surround-Sound” bezieht sich im Allgemeinen auf Aufnahmen in “5.1” mit linkem, mittlerem und rechtem Frontkanal, linkem und rechtem Surroundkanal sowie einem eigenen Subwooferkanal. Bei “7.1”-Aufnahmen kommen zwei weitere Surround-Kanäle hinzu. Immersive Audio bietet sogar noch mehr Kanäle, die in der Regel verwendet werden, um ein Gefühl von Höhe zu vermitteln. Ein typisches Immersive-Sound-System ergänzt eine 5.1- oder 7.1-Anlage um zwei oder vier Deckenlautsprecher.
Diese “Besser-als-Stereo”-Formate werden jedoch in der Regel nicht über komplexe Heimkinosysteme mit mehreren Lautsprechern gehört, wo sie voll zur Geltung kommen, sondern über einfachere Systeme wie Soundbars, Kopfhörer oder einteilige Smart Speaker wie den Apple HomePod und Amazon Echo Studio. Immersive Sound-Technologien wie Dolby Atmos können die zusätzlichen Kanäle für die Wiedergabe auf diesen Geräten “zuordnen”, aber je einfacher und kleiner das Soundsystem ist, desto weniger dramatisch sind die immersiven Effekte.
Warum Surround?
Die Idee, Nora in Surround-Sound zu produzieren, stammt von den Toningenieuren Jim Anderson und Ulrike Schwarz, die bereits frühere Surround-Sound-Projekte für die Saxophonistin Jane Ira Bloom (Picture the Invisible: Focus 1, vorgestellt in Copper Ausgabe 181 und Ausgabe 182), die Sängerin Patricia Barber (Clique!) und andere produziert haben. Auf dem Album werden Ambrosettis Flügelhorn, die Gitarre des Gastmusikers John Scofield und eine traditionelle Klavier/Bass/Schlagzeug-Rhythmusgruppe vor dem üppigen Hintergrund eines 22-köpfigen Streichorchesters eingesetzt. Dieses Arrangement bietet viel mehr Möglichkeiten, die Instrumente so zu platzieren, dass sie den Zuhörer nicht überrumpeln. “Wir wollten, dass es so aussieht, als würden sich die Streicher um dich herum drehen und du und Franco in der Mitte stehen”, so Anderson.
Anderson und Schwarz erreichten dies nicht so sehr, indem sie bestimmte Instrumente auf alle zusätzlichen Kanäle “lenkten”, sondern indem sie viele zusätzliche Paare von Stereomikrofonen hinzufügten, um mehr von der Atmosphäre des Studios einzufangen. “Indem wir mit den Zeitverzögerungen spielen, die die zusätzlichen Mikrofone erzeugen, können wir ein natürliches akustisches Erlebnis schaffen”, so Anderson. Die Stereomischung von Nora haben sie in ihrem Haus in Brooklyn gemacht, die 5.1-Surround-Sound-Mischung bei Skywalker Sound, dem Studio, das für die Soundtracks unzähliger Blockbuster-Filme bekannt ist. Anderson sagte, dass er keinen immersiven Atmos-Mix gemacht hat, weil die Decke des Studios, in dem Nora aufgenommen wurde, zu niedrig war, um eine gute Atmosphäre zu erzielen. Er hat aber vorgeschlagen, einen vollständig immersiven Mix zu machen, indem er das geräumigere Studio von Skywalker Sound effektiv als Hallraum nutzt, um den Eindruck zu erwecken, dass die Musiker in einem weniger beengten Raum spielen.
Geld-Dschungel
In einem Genre, in dem Alben in der Regel innerhalb von ein oder zwei Tagen aufgenommen und abgemischt werden, mag der Gedanke an zusätzliche Ausgaben für das Abmischen und Mastern von Musik in immersivem Sound unrealistisch erscheinen. Aber laut Anderson ist das nicht der Fall. “Der eigentliche Aufnahmeprozess kostet nichts, weil man nur weitere Mikrofone hinzufügt”, sagt er. “Beim Patricia-Barber-Projekt hat die zusätzliche Abmischung für den Surround-Sound nur einen Tag im Studio gekostet, obwohl natürlich auch das Mastering mehr Zeit in Anspruch genommen hat. Und wir haben mindestens eine 20-prozentige Umsatzsteigerung festgestellt, wenn wir eine Surround-Sound-Veröffentlichung hinzugefügt haben.”
“Ich war der Meinung, dass dieses Projekt eindeutig die Surround-Sound-Behandlung verdient hat”, so Levenson. “Aber als Produzent muss ich mich fragen: Haben wir das Geld, um Surround-Sound zu machen? Werden die Hörer es anerkennen und schätzen? Und werden die Plattenfirma und der Künstler es zu schätzen wissen? Ich glaube nicht, dass alle Projekte gleich konzipiert sind, wenn es um die Verwendung von Surround-Sound geht. Dennoch denke ich, dass ein besserer Klang immer ein Pluspunkt im Leben ist, also sollten wir es tun, wenn wir es können. Lasst uns diese Musik mit den feinsten Seidenfäden schmücken, die es gibt.”
Brent Butterworth ist seit 1989 professioneller Audiojournalist und hat bereits Tausende von Rezensionen und Kolumnen verfasst. Derzeit ist er leitender Redakteur bei Wirecutter. Zuvor war Brent Butterworth Redakteur der SoundStage Solo-Kopfhörer-Website, technischer Redakteur der Zeitschrift Sound & Vision, Chefredakteur der Zeitschriften Home Theater und Home Entertainment und arbeitete als Marketingdirektor für Dolby Laboratories. Außerdem war er als Berater für die Entwicklung, Abstimmung und Messung von Audioprodukten für große Unterhaltungselektronikmarken und OEM/ODMs tätig.
Unser herzlicher Dank geht an das Copper Magazine.